Ein Pirol singt
nicht mehr
zum Tode Vicco von Bülows
Kotofeij K. Bajun
Der deutsche Humor hat einen seiner ganz großen Vertreter verloren.
Tot ist Vicco von Bülow, der sich selbst Loriot nannte. Liest man diesen
Namen rückwärts, so lugt verschmitzt ein französischer Pirol durchs
Geäst, ein Pirol, der kleine, gelbe Wappenvogel derer von Bülow.
Am 22. August vollendete sich das Leben des 1922 in Brandenburg an der
Havel geborenen Preußen mit dem eleganten Witz, der scharfen Beobachtungsgabe
und der großartigen Dezenz.
Intelligenter Humor gehört in Deutschland nicht zu den unerschöpflichen
Ressourcen. Es gab ihn, aber er führte immer ein Schattendasein. Er
blühte im Berlin der Goldenen Zwanziger, er behauptete sich als Flüsterwitz-Kultur
unter den Nazis und er feierte sich als unterschwelliger, feinsinniger,
diktaturimmanenter, scharf pointierter Schalk in der DDR. Wohlstand
ist selten ein Förderer klugen Humors. Letzterer flacht ab, verkriecht
sich unter die Gürtellinie und wird nur noch verstanden, wenn er sich
mit den menschlichen Ausscheidungen und dem Sexualleben, rsp. den Verwicklungen
zwischen den Geschlechtern plump befasst.
Vicco von Bülow war ein Vertreter des echten, des guten, des klugen
Humors. Er war nicht allein, sicher. Es gab Leute wie Dieter Hildebrand
oder Dieter Krebs und Beatrix Richter. Später kamen Matthias Richling
und der gereifte Dietrich Hallervorden hinzu. Von Bülow aber hatte ein
Alleinstellungsmerkmal. Er griff nie frontal an, sondern beobachtete
feinsinnig und reflektierte mit minimaler Überzeichnung das Wesen seiner
Mitmenschen. Loriot ätzte nicht. Seine Waffe war nicht der Vorschlaghammer.
Er focht mit dem Florett und einem Lächeln.
Man nannte von Bülow den Aristokraten unter den deutschen Humoristen.
Das war er und er behauptete dieses Prädikat keineswegs aufgrund seiner
Ahnenrolle.
Vicco von Bülow war der Sproß einer führenden preußischen Familie und
hatte Zugang zu Bildung und Umgangsformen. Er besaß Kultur und darüber
hinaus ein feinsinniges Gespür dafür, ab welchem Punkt die Darstellung
dieser Kultur des zwischenmenschlichen Umgangs albern zu werden beginnt.
Exakt dort setzte er an. Formen und Stil besitzt man oder man äfft sie
bestenfalls nach. Loriot wandte sich nie jenen zu, die eine innere Größe
besaßen. Er nahm die aufs Korn, die nachahmten und ihm die unfreiwillig
komischen Situationen frei Haus lieferten. Darüber hinaus karikierte
er die kleinen Nachlässigkeiten, Gedankenlosigkeiten und Oberflächlichkeiten,
die ständige Rechthaberei, die den menschlichen Machtkampf bis hinein
in die Mehrzahl aller Familien trägt. Diese Verhaltensweisen, die für
so viele vermeidbare Missverständnisse ursächlich sind, zeichnete er
mit milder und witziger Hand – und er zeichnete mit so zurückhaltender
Ironie, dass er den Menschen die Möglichkeit eröffnete, sich in seinen
Figuren wiederzufinden ohne das Gesicht zu verlieren.
Dieser letzte Punkt war es, der ihn zum Aristokraten machte. Doch sein
enormer Erfolg ruhte auf einer weiteren Säule. Vicco von Bülow war ein
glücklicher, ein zufriedener Mensch. Er ruhte in sich. Er hatte Stil.
Und von all dem konnte er seinen Mitmenschen abgeben und er gab ab.
Dafür wurde er geachtet und dafür wurde er geliebt.
In der Hauptkirche der Altstadt Brandenburg an der Havel St. Gotthardt
befindet sich die Taufkapelle Vicco von Bülows. Dort wurde er vor 88
Jahren in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Der Preuße mit
dem goldenen Humor hatte vor wenigen Jahren mit seinem Engagement dazu
beigetragen diese Taufkapelle zu restaurieren und damit seiner Geburtsstadt
einen großen Dienst erwiesen.
Wir denken an ihn, sooft wir diesen Raum betreten – und sooft uns vom
Rande einer Badewanne eine Quietschente grüßt und sooft sich zwei Eheleute
anbrüllen, dass sie gar nicht brüllen und – wo immer affektierte Zeitgenossen
die Pointen eines wahrhaft großen Preußen fortschreiben.