Parforcejagd im Bundestag
Wie „Demokraten“ mit Meinungsabweichlern umgehen
B. St. Fjøllfross
Sie standen da wie arme Ketzer vor dem Inquisitionstribunal des Tomás
de Torquemada, das Autodafé vor Augen: die Euroskeptiker und Abweichler,
die sich als Abgeordnete des Siebzehnten Deutschen Bundestages ein Rederecht
ertrotzten und gegen den insuffizienten Heils- und Rettungsweg ihrer
Fraktionen predigten. Frank Schäffler und Klaus-Pater Willsch stotterten
ihre Rechtfertigungen und auch der CDU-Mann Wolfgang Bosbach, der gegen
die Linie seiner Fraktion stimmte, kämpfte augenscheinlich mit seiner
Fassung angesichts einer ihm feindlich gesonnenen Meute. War das ein
Lehrstück der Demokratie? Einer Demokratie, welcher Voltaire einst das
edelste verbale Fundament gegossen hat, das ihr je beschieden war, als
er sagte. "Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu
meinem letzten Atemzug kämpfen, daß Sie Ihre Meinung frei äußern können"?
Nein, das, was wir da erlebten, das war Volkskammer, Ja-Sager-Bude,
nicht einmal "Reichsaffenstall", wie sich Kaiser Willi II.
einmal despektierlich vernehmen ließ, sondern vielleicht eher Bundes-Hammelherde.
Eines aber war es nicht: ein ehrerheischender Deutscher Bundestag. Dass
heißt, wenn man von den wenigen Aufrechten absieht, die mit ihrer Haltung,
mag sie sachlich richtig sein oder nicht, dem Hohen Hause die Würde
als Hort der Demokratien bewahrten. Norbert Lammert gewährte Abgeordneten
ein Rederecht, die eine konträre Position zum Ausdruck bringen wollten
– das war demokratisch! Aber diese Männer standen vor uns, ein Bild
des Jammers, angeschlagen und doch tapfer – denn sie ahnten, welches
Spießrutenlaufen vor ihnen lag, obwohl sie doch lediglich von ihrem
heiligen Recht Gebrauch machten, als Abgeordnete und Volksvertreter
bei einer Abstimmung nur ihrem Gewissen Folge leisten zu müssen. Wenn's
hart auf hart kommt, dann gilt eben kein Fraktionszwang. Nun machen
die "Sieger" den "Verrätern" die Hölle heiß. Mit
welchem Recht? Mit dem Recht der Sieger? Wo leben wir denn? Sind die
Triumphierenden wahnsinnig geworden?
Sie bangen um Europa – die Griechenland-Retter, weil sie den Kontinent
in einem Malstrom untergehen sehen, wenn die absaufenden Hellenen den
Stöpsel ziehen. Gleichzeitig aber gefährden sie die Demokratie im gesamten
Abendland, indem sie als demokratisch gewählte Volksvertreter ihre demokratischen
Masken fallen und ganz undemokratische Fratzen zum Vorschein kommen
lassen!
Wir stimmen dem zu, dass Griechenland in den Brunnen gefallen ist und
herausgezogen werden muss, ehedem wie alle an dem vergifteten Brunnenwasser
eingehen. Aber das erfordert eine handlungsfähige europäische Wirtschaftsregierung
über alle verdammten, nationalen Ressentiments hinweg, die sowieso nur
noch Müll von vorgestern sind. Die Staaten, allen voran diejenigen,
die bei der Aufnahme in die Europäische Union tricksten und seit diesen
Tagen nie aufhörten eine Schluderwirtschaft auf Kosten der Zukunft anzustellen,
haben im Gegenzuge für diese Hilfe nationale Entscheidungsrechte abzutreten;
zumindest solange, bis sie wieder schwarze Zahlen schreiben. Das geht
jedem Privatschuldner aus gutem Grunde genauso und hat seine natürliche
Berechtigung. Das hat die Bundesregierung durchzusetzen – und nicht
alle Nase lang eine Erweiterung des Rettungsschirmes. Wehe dir, Deutschland
– auch deine Verbindlichkeiten betragen mittlerweile über zwei Billionen
Euro und das Schicksal Griechenlands könnte schon morgen das Deine sein!
Das Menetekel steht bereits an der Wand. Denn auch hier ist nicht abzusehen,
wie dieser Schuldenberg jemals abgetragen werden kann. Nur die Zinslast
nagt stets und ständig im steigenden Umfang am Bruttosozialprodukt und
weist zielsicher in Richtung eines Staatsbankrotts, einer "Währungsreform"
oder einer Inflation wie 1923. Das kann sich jedes Kind ausmalen, das
die Grundlagen der Algebra begriffen hat.
Nichts anderes argumentierten die Abweichler. Nun sieht sich Wolfgang
Bosbach einer Front aus Haß und Verachtung gegenüber, die ihn überlegen
lässt seine politische Karriere zu beenden. Na, da hätten wir's ja dann.
Ein Mutiger, der vielleicht nicht recht hatte oder vielleicht auch doch
– aber immerhin ein Mutiger, der die Courage hatte sich gegen die überwältigende
Mehrheit der Abgeordneten und seiner Fraktion zu stellen, streicht die
Segel – niedergebrüllt von Leuten, die mutmaßlich dem nächsten Gleichschaltungsversuch
nicht entgegentreten würden, weil sie schon jetzt nur so tapfer sind
wie jener Esel, der wacker gegen den toten Löwen trat. Das nennen wir
einen heroischen Sieg für die deutsche Demokratie! Allen Lippenbekenntnissen
zum Trotz verdeutlicht diese Schande – denn nichts anderes bedeutet
das Verhalten der Parforce-Jäger im Bundestag – wo wir heute wirklich
stehen. Demokratie bedeutet nicht zwangsläufig das Vorhandensein von
Gewaltenteilung, Mehrparteiensystem, Grundgesetz und legaler Vertrieb
des "Eulenspiegels". Demokratie fängt da an, wo man einen
Andersdenkenden reden lässt, solange er sich im demokratisch vertretbaren
Rahmen bewegt und – ihm zuhört. Demokratie endet dort, wo man ihn für
seinen Redebeitrag hinterher zu Paaren treibt. Die Reaktion auf die
Haltung der Herren Schäffler, Willsch und Bosbach verdeutlicht, dass
wir uns, wie der Landbote schon oft konstatieren musste, schon meilenweit
von einem demokratischen Selbstverständnis entfernt und längst auf den
Weg zu einem Neo-Feudalismus begeben haben. "In meinem Reich herrscht
Meinungsfreiheit", brüllte der Löwe, "bei mir kann jeder sagen,
was ich will!" Gut gebrüllt, Löwe, gut gebrüllt! Hoffentlich wird
der doofe Michel endlich wach von deinem Gebrüll!