Sitzblockaden auf der Brooklyn Bridge
Kotofeij K. Bajun
Nun endlich gehen sie auf die Straße - die Yankees. Wir hielten sie
bislang für gelinde gesagt etwas unterbelichtet, das Volk von Oprah
Winfrey und Sarah Palin. Aber zumindest in denen Städten scheinen sie
aufzuwachen. In New York beispielsweise. Die NYSE - die New York Stock
Exchange, also die Börse an der Wallstreet wollen die Protestierer stürmen.
Die Angst um ihr letztes bißchen Hab und Gut steht ihnen ins Gesicht
geschrieben und so sitzblockieren sie die Brooklyn-Bridge und lassen
sich von der demokratischsten Polizei des demokratischsten Staatenverbundes
der Welt demokratisch zusammen knüppeln. Das NYPD, das New York City
Police Department lässt alle freiheitlichen Masken fallen und die Knüppel
auf die Demonstranten niedersausen. Es sind dieselben elenden Büttel,
die sich seit dem 11. September 2001 als amerikanische Helden feiern
lassen. Aber nun gilt es die Freiheit der gewissenlosen Gauner zu verteidigen,
die anderen ohne Rücksicht auf Verluste vermittels Währungswetten, Future-Bonds,
Anleihen und Optionsscheinen in die Taschen fassen wollen und dafür
den libertären amerikanischen Traum bemühen. Bislang war den Amis das
alles von Herzen recht. Hauptsache, der eigene Cadillac stand vor dem
eigenen Häuschen und man lag nicht selbst bei den Pennern unter der
Brooklyn-Bridge. Hauptsache, der amerikanische Traum, der besagte, jeder
könne es selbst nach oben schaffen, blieb ihnen erhalten. Aber der ist
nun zerplatzt. Bislang faselte man etwas vom Kreationismus und heulte
sich bei Oprah aus und gut war's! Selbst Matt Groening konnte dieses
Volk mit seiner Ironie und seinen Spitzen nicht wachrütteln - sie waren
einfach zu mall, um die Spitzen zu verstehen, die Groening auf sie abschoss.
Nicht Groening, sondern das sich mehr und mehr verspekulierende Großkapital,
das dabei die Anlagen Hunderttausender, ja von Millionen Sparern vernichtete,
trieb ihnen jetzt den Angstschweiß auf die Stirn und die patriotischen
Leiber auf die Brücke über den Hudson. Jetzt geht's ihnen an den Kragen.
Vorbei die fetten Jahre, als der Weltsheriff sein sorgenfreies Vorstadthäuschen
bewohnte, das auf dem Rücken der Kulis und Neger der Dritten Welt gebaut
war. Und wie vor fünfzig Jahren, als die Yankees in Vietnam auch auszubluten
begannen, nachdem sie ihre Neger verheizt hatten, finden sie wieder
den Weg auf die Straße. Sie protestieren. Wie süß! Wie niedlich! Wie
bescheuert! Als ob sich je ein Hedgefonds-Verbrecher von solchen Demonstrationen
hätte beeindrucken lassen. Wäre der psychopathische „Gorilla“ Richard
Fuld in sich gegangen? Sie sind verzweifelt und wir wollen ihrer Verzweiflung
nicht höhnen. Dennoch bedrückt es uns, dass diese Leute, deren Vorfahren
so unendliche Strapazen auf sich genommen hatten, um ihren Nachkommen
ein lebenswerteres Dasein zu ermöglichen, sich dieses Erbe so leichtfertig
und vor allem so leichtgläubig aus der Hand nehmen lassen und das immer
erst dann registrieren, wenn es längst zu spät ist. Ein Gutes aber hat
die Sache: Von diesen Demonstranten geht augenscheinlich keine Gefahr
aus. Es sind friedliche Leute. Daher ist es umso wertvoller beobachten
zu können, wie sich die NYPD verhält. Und? Sehen wir Unterschiede zu
den Schergen Gaddafis? Warten Sie, da müssen wir wohl erst unsere Brille
suchen - oder vielleicht eine Lupe, oder gleich ein Mikroskop...?