Das Ende der Wegwerfgesellschaft
S. M. Druckepennig
Als nach dem letzten großen
Kriege der Torso des Deutschen Reiches für vier Jahrzehnte zwei
deutsche Staaten gebar, nahmen diese von der ersten Minute ihres Bestehens
völlig unterschiedliche Entwicklungen.
In der DDR wurden - gleichwohl man sich permanent und lautstark von
ihnen distanzierte - die preußischen Tugenden revitalisiert,
von denen sich Westdeutschland mit einem Jubelschrei zu lösen
begann. Die Rheinrepublik war glücklich, durch die historischen
Umstände dem Würgegriff Berlins entronnen zu sein und wirtschaftete
unter der Anleitung Professor Erhards los, was das Zeug hielt.
In Ostelbien wurden die Karten anders gemischt. Wo drüben die
Amis reinbutterten, saugten hierzulande die Russen ab, was nicht niet-
und nagelfest war. Das Fünfjahrplan(un)wesen der Russen und der
Nazis bildete die Grundlage eines Wirtschaftssystems, dem der Mangel
beinahe von der ersten Minute an ein ständiger Begleiter war.
Was man besaß, das verlangte nach Pflege, nach Erhaltung, nach
Umsicht. Denn der Konsum war eingeschränkt. Das führte letztendlich
dazu, daß die DDR-Bürger große Summen ostdeutschen
Geldes auf ihren Konten bunkerten, das seine Kaufkraft zwar weniger
in einem inflationären Werteabfall einbüßte, dennoch
aber durch das schlichte Nichtvorhandensein von käuflichen Gegenwerten
zu belächelten Alu-Chips verkam. Etwas wert war nur die Mangelware,
so man es fertigbrachte, sie zu ergattern. Man hegte, man pflegte,
man putzte und schraubte und reparierte - das geht doch noch, das
hält doch noch, das kann man doch noch wiederverwenden. Notfalls
wurde ein Ersatzteil selbst gebastelt, ein Kabel überbrückt,
eine Bruchstelle verklebt - der Ostdeutsche war im Allgemeinen Meister
in der Erhaltung von Gebrauchsgegenständen.
Ja, da überkam die reiche Verwandtschaft aus dem Westen das briete
Grinsen: Diese armen Flickschuster...! Genüßlich zerdrückten
sie die Blech-Bierdose vor den begehrlichen Augen der Vettern aus
dem Osten, während sie berichteten, wie sie sich gerade eben
wieder einen neuen Toaster gegönnt hatten. Der fiel beim Kauf
des neuen Wagens mal eben so mit ab - der alte war ja nun schon über
ein Jahr alt und sah einfach mal nicht mehr chic aus. Neu, neu, neu.
Alles mußte neu sein.
Wer unter den mit Westverwandtschaft geschlagenen Ossis kennt nicht
das beschämende Hochgefühl, wenn einem dann mit generöser
Geste der Ausgediente überreicht wurde. Nunmehr konnte man mit
einem Westtoaster prahlen - fast neu - und doch kam man aus dem Staunen
nicht heraus, wie gut es wohl denen Drüben gehen mochte, daß
sie so herumaasen konnten.
Fragte man sie nach dieser Verschwendung, so erhielt man meist die
Antwort, das müsse so sein. Nur die Binnennachfrage kurble eine
Wirtschaft an. Kredite und Konsum - das seien die Schlüsselbegriffe
des Erfolgs. Und wer wollte daran ernsthaft zweifeln - gehörten
doch die reichen Vettern vom Rhein zu den Wirtschaftsmusterknaben
der Welt. Genüßlich ließen sie ihre Wänste im
Jahr zweimal bei den Negern bräunen. Und die brachten den Cocktail
an den Swimmingpool: "Hat der Massa, Sahib, Señor noch
einen Wunsch?"
Und da wären wir bei einem der wichtigsten Erfolgsgründe
der westdeutschen Nachkriegswirtschaft: Der Kolonialismus begann sich
gerade eben erst zurückzuziehen, der Neokolonialismus strebte
seiner Machtentfaltung entgegen, die Rohstoffe waren billig, Neger,
Kuli und Latino vegetierten in bitterster Armut und garantierten so
den aberwitzigen Reichtum des Nordens.
Um die Jahrtausendwende begannen sich die Dinge zu wandeln. Was in
der Geschichte der Menschheit bislang ohne Beispiel war, zeichnete
sich in Asiens Osten ab: Eine Großmacht der Vergangenheit kehrte
zurück. China erwachte. Das bevölkerungsreichste Land der
Erde ließ seine Nationalwirtschaft boomen und saugte mit einem
riesigen Rüssel, was an Ressourcen auf den Märkten des Planeten
feilgeboten wurde. Vor allem fossile Brennstoffe standen auf dem Speiseplan
der Chinesen. Das führte zu einer enormen Verteuerung dieser
Energieträger mit durchschlagendem Effekt auf die verwöhnten
westeuropäischen Nationalökonomien. Koinzident traf dieser
schwere Schlag auf eine gewisse, schon den Ansatz des Morbiden zeigende
Dekadenz, die den traditionellen Wirtschaftssupermächten schon
seit einigen Jahren schwer zu schaffen machte. Die U.S.A., Japan,
Westeuropa begannen einzuknicken. Ganze Wirtschaftszweige brachen
unter großem Getöse weg, wie beispielsweise die amerikanische
Automobilindustrie um Detroit herum, die Kohlezentren in Wales und
Nordrhein-Westfalen. Rien ne va plus.
Dennoch klebte die Mentalität der einstigen Herren der Welt an
ihren in den fetten Jahren angezüchteten Vorstellungen. Kredit
und Konsum - das oberflächliche Dahinleben auf Pump und großem
Fuße waren nach wie vor Staatsraison.
Doch nun hat wohl auch der letzte Deutsche begriffen, daß die
Dinge sich grundlegend gewandelt haben. Eine Tendenz beginnt einzusetzen,
wie sie jedem gedienten Ossi noch immer geläufig ist. Ade, du
Wegwerfgesellschaft, die du einst der einzige Garant für immer
neuere, immer leistungsfähigere, immer schickere Produkte warst
und den Wirtschaftsmotor am Brummen hieltest. Das Handwerk kann sich
auf eine Renaissance freuen und die Landsleute von der Weser bis zur
Donau werden staunend alte Bastelfähigkeiten wiederentdecken.
Schuh kaputt? Fort damit und neugekauft? Das war einmal. Ab jetzt
wird der Schuster wohl wieder mehr Besuch bekommen. Doch husch zurück
in die Gute Stube: Im Fernsehen läuft gerade eine der Selbermachersendungen,
wie sie derzeit aus dem Boden schießen, wie Pilze nach einem
Spätsommerregen. Und so zieht sich der Rote Faden durch die Republik.
Die Haushaltsgeräte werden älter. Desgleichen die Automobile
auf der Straße. Die Leute halten ihr Geld zusammen - nicht ahnend,
daß ihnen der Sparstrumpf im Falle eines Börsencrashs oder
einer Währungsumstellung auch nichts mehr nutzt. Es ist wohl
auch mehr ein Akt der Verzweiflung.
All das, diese ganze Entwicklung, war für einen nüchternen
und kühlen Beobachter seit der Mitte der Siebziger Jahre völlig
klar. Es mangelte nicht an warnenden Stimmen. Rücklagen wurden
gefordert, schonenderer Umgang mit den vorhandenen Ressourcen, Eindämmung
der Verschwendungssucht. Einige zaghafte Schritte wurden begonnen.
Das Duale System und Recycling wurden Schlagworte, erneuerbare Energie
war bald in aller Munde. Aber es reichte nicht. Zu tief saß
der alte Dünkel.
Jetzt steht der Bundesrepublik Deutschland das Wasser bis zum Halse.
So, wie der Gemeine Ossi vor fünfzehn Jahren auf "Wessi"
umschulen mußte, so beginnt jetzt das erzwungene große
Umdenken im Westen der Heimat. Mit dem Unterschied, daß Sparen
lernen saurer ist als Verschwenden. So traurig das Ganze ist, so verbirgt
sich für uns Ostelbier dahinter eine gewisse Genugtuung. Die
Zeit der westdeutschen Großmäuligkeit, die sich in nichts
so prägnant und abstoßend formulierte, wie in Egon Bahrs
Ausspruch, daß man sich mit westdeutscher Wirtschaftskraft im
Falle der Wiedervereinigung die DDR als Vorgarten zulegen könne,
ist abgelaufen. Jetzt können die vormals reichen Vettern hübsch
bescheiden zwischen Rügen und Erzgebirge in die Schule gehen
- und lernen, wie man aus Kehricht Gold macht. Es bleibt zu hoffen,
daß diese Roßkur der Nation heilsam anschlagen möge.