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Es steht eine Halle im Norden…
eine Reflektion zur Umnutzung der Großen Halle von Brand

Jules-Francois Savinien Lemarcou
„Es steht eine Halle im Norden…“ So beginnt ein Vers aus der Edda, des Buches der germanischen Götter- und Heldenlieder.
Wenn man sie von ferne sieht – und, fahren Sie beispielsweise mit einem Ballon, dann sehen Sie sie schon bei gutem Wetter aus über hundert Kilometern Entfernung – dann erschauert man vor ihren gigantischen Dimensionen.
Heißt es nicht, sie wäre gar die größte freitragende Halle der Welt? Ihre Ausmaße sind wahrhaft schwindelerregend: 360m lang, 210m breit, 107m hoch könnte sie den Pariser Eiffelturm liegend, Miß Libby – die New Yorker Hafenbraut – stehend, und die Hochhäuser des Berliner Potsdamer Platzes nebeneinander aufnehmen. Donnerwetter!
Gebaut wurde sie einst als Montagehalle für den Cargo-Lifter, eine moderne Ausgabe des Zeppelins. Revolutionär war die Technik, vielverheißend…, und es erfüllte das Brandenburger Herz mit Stolz, Hoffnung und Zuversicht, das dieses Zugpferd innovativer und zukunftsträchtiger Technologie auf märkischem Boden stand und vielleicht den Startschuß geben sollte für ein zweites Wirtschaftswunder nach bayerischem Modell.
Es herrschte Aufbruchstimmung im preußischen Kernland: Die Lausitz bekam eine Formel 1-taugliche Rennbahn – den Lausitzring, die Trasse der Magnetschwebebahn sollte von Berlin nach Hamburg durch den Norden Brandenburgs verlaufen – hier war was los!
Doch dann kam der Absturz – das jähe Seifenblasenplatzen. Die Magnetschwebebahn wurde zerlabert, sie fährt heute in China. Die Formel 1 kümmerte sich nicht weiter um den Lausitzring und zog ebenfalls ins Reich der Mitte. Und die Halle?
Wer vermag zu sagen, wie das im Einzelnen vor sich ging? Aber plötzlich stand das Projekt Cargo-Lifter vor dem Aus und die Halle leer! Wir konnten von Glück reden, daß wir damals arme Studenten waren. Wir hätten unser Vermögen in die Beteiligungen am Zeppelin gesteckt; …und wären alles los geworden. Wie die, die das Geld hatten und seinerzeit mit glühender Begeisterung investierten.
Was für ein Desaster. Das war der Untergang der Titanic auf gut märkisch erzählt. Auf einem Land, das solche Rückschläge in so geballter Zeit hinzunehmen hatte, schien ein Fluch zu lasten.
Seit einiger Zeit steht die Halle nun nicht mehr leer. Ein Großinvestor aus dem asiatischen Raum hat sie zu einem „Freizeitparadies“ umgestaltet. Badespaß und tropische Landschaften, „Wellness“ -Angebote und horrende Eintrittspreise.
Zumindest das soll dem Vernehmen nach gut angenommen werden. Selbst die Berliner Bevölkerung pilgert in die riesige Halle, (Kunststück, wo doch ein bankrotter Berliner Senat ein öffentliches Schwimmbad nach dem anderen schließt) – der Rubel rollt.
Doch was geht hier wirklich vor sich? Wofür steht dieses völlig andere Nutzungskonzept der majestätischen Halle?
Bringen wir das Symptomatische an diesem Geschehen auf den Punkt: Freizeitangebote statt aktiver Produktion. Vergnügung statt Kampf um einen Spitzenstandort der Weltwirtschaft. Erinnert das alles nicht in fataler Weise an die letzten Tage des Alten Roms?
Die Arbeitslosigkeit im Land Brandenburg galoppiert. Statt neue Wirtschaftsmotoren zu installieren, die einzig den Konsum und damit den Lebensstandard wieder anzukurbeln vermöchten, gibt es auf der politischen Leitungsebene nur noch Gezänk um die Kanalisierung der spärlichen verbleibenden Ressourcen. Wer bekommt von dem traurigen Rest noch wieviel? Das ist so gut wie alles.
Wertabschöpfung statt Wertschöpfung – machen sich schon die Aasfresser über den noch warmen Kadaver her? Cargo-Lifter heißt jetzt „Tropical Island“. Nichts für die täglich zunehmende Masse von Hartz-IV-Empfängern. Und es riecht, wenn der Vergleich erlaubt ist, als hätte das Parlament den imposanten Wallotbau des Deutschen Reichstages leergezogen und lediglich in einer Ecke neben dem Foyer eine kleine Bockwurstbude für die Touristen belassen. Es riecht trotz aller tropischen Wohlgerüche nach Verfall.
Nichts dagegen, daß man sich der Halle überhaupt angenommen hat. Ein paar Arbeitsplätze wurden geschaffen. Ein regionaler Anziehungspunkt mit Berühmtheitswert wurde ausgebaut. Es wird Geld verdient. Alles richtig. Alles unbestritten. Alles besser als nichts!
Aber es ist nicht dasselbe. Und es hat in einer täglich mehr verarmenden Gesellschaft keine langfristige Perspektive. Nicht die, die ein innovatives Wirtschaftsunternehmen mit quasimagnetischen Eigenschaften hätte.
Mit dem Zusammenbruch von Cargo-Lifter wurde dem Land Brandenburg eine tiefe Wunde geschlagen. Tropical Island erinnert an die bunte Bemalung eines Wundverbandes, mit dem sich manche Kinder über den Schmerz und die Leiden ihrer Verletzung hinwegzutrösten suchen: eine liebe Sonne auf das Pflaster, ein paar bunte Blumen – „na siehst du, kleiner Mann, alles halb so schlimm!“
Oh nein, es ist noch viel schlimmer! Die Wunde unter dem Verband schwärt und vernarbt. So oder so: Sie hinterläßt in keinem Falle etwas wirklich Sehenswertes.

6. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005