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Schiffers Claudia, die gotischen Kathedralen und der Welthunger

S. M. Druckepennig
Sie lesen die Überschrift und werden sich erschüttert fragen: Was um Himmels Willen hat der verrückte Jude da schon wieder ausgeheckt? Was hat die blonde und schwerreiche Vorzeigegermanin mit gotischen Gotteshäusern und die wiederum mit dem Hunger in der Welt zu schaffen?
Nun, schauen wir mal! Also, zunächst haben wir da eine frohe Botschaft. Frau Claudia Schiffer hat jüngst entdeckt, daß sie nicht nur über einen makellosen Leib, ein Gesicht, welches allen Bedingungen und Anforderungen eines modernen Schönheitsideals entspricht, zwei Kinder, einen Traummann und ein großen Hauses in England verfügt, sondern – man staune – auch über ein Herz. An dieser Stelle ist nun nicht von jener muskulären Blutpumpe die Rede, die zum Überleben einer fast jeden Kreatur der Fauna essentiell ist, sondern vielmehr um das sich sorgende Gewissen, das sich dem unglücklicheren Nächsten zuwendet.
Frau Schiffer erhebt ihre zarte Stimme und traktiert ein Mikrophon mit den Worten: „Herr Schröder, wir zählen auf Sie!“
Herr Schröder ist gerade eben noch amtierender Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und vertritt selbige momentan auf dem G8-Gipfel in Schottland. Bekanntes Ziel dieses Gipfeltreffens ist die Koordination der optimalen Ausbeutung der Welt unter Inkaufnahme der notwendigen Verelendung immer größerer Teile der Weltbevölkerung.
Frau Schiffer aber meint, eine solche Konferenz müsse das Gegenteil dessen anstreben und versucht naiver Weise den Herrn Bundeskanzler für ihre Kampagne gegen den Hunger in der Welt zu gewinnen. Das ist sehr ehrenwert und paßt auch sonst in die der Welt von unzähligen Hochglanzphotographien bekannte Physiognomie der edlen Dame. Sie erinnern sich gewiß des Walt-Disney’schen Kindchenprinzips mit der hohen Stirn, dem zierlichen Näschen, dem im Verhältnis zum Körper überproportionierten Köpfchen, welches alles im männlichen, begehrenden Betrachter nicht nur den Willen auslösen soll, dieses Frauenleibes zu genießen – es werden vor allem Beschützerinstinkte im maskulinen Unterbewußtsein angesprochen, die ihn nach vollendeter Kopulation bewegen sollen, das im besten Falle geschwängerte Weibchen auch weiterhin mit den Früchten seiner Arbeit zu versorgen. Soweit zur Verhaltenspsychologie. Fazit: ein Schuß Naivität macht hübsche Frauen für die Allgemeinheit noch begehrenswerter.
Spielt Frau Schiffer jetzt öffentlich diese Karte aus? Warum? Sie hat doch bereits alles. Wenn es ihr, die mittlerweile auf den Laufstegen dieser Welt von jüngeren Kleiderständerinnen abgelöst wurde, nicht darum ginge, mit einem Barbie-Sprüchlein zurück ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu drängen, worum geht es ihr dann? Ernsthaft um den Hunger und das Elend in dieser Welt?
Ich werde stutzig. Ihr Vermögen wird mit einer zweistelligen Millionensumme angegeben. Und es war sicher nicht von italienischen Lire die Rede, die gibt’s nicht mehr.
Wenn sie also auf den Herrn Bundeskanzler zählt, warum nicht zuerst auf sich selbst? Da plaudert sie generös, wie leichtherzig sie sich von ihrem kaum genutzten Anwesen auf der Insel Mallorca trennen konnte. Wie vielen Negerkindern hat denn der Erlös aus dem Hausverkauf das Leben gerettet? Oder anders gefragt, wieviele Pfund Sterling reichen Frau Schiffer und ihrer Familie aus, ein gesichertes Leben zu führen und wieviele Dollars sind darüber hinaus gewissermaßen überzählig und fallen damit der Kategorie „verzichtbarer Luxus“ anheim?
Wir neiden ihr das Vermögen nicht. Wir sehen nur auf den Kontrast zwischen dem Lippenbekenntnis und den tatsächlichen Verhältnissen. Und hier kommen nun die im Titel des Artikels erwähnten gotischen Kathedralen ins Spiel. Haben Sie sie vor Augen – diese himmelstürmenden, riesigen Bauwerke zum Höheren Lobe Gottes? Zum Höheren Lobe Gottes? Ha, ha, ha! Zum prahlerischen, angeberischen, selbstsüchtigen Höheren Lobe des Bauherren! Die christliche Religion, die eine Religion der Armen hatte sein sollen, schuf Tempel, die gewaltige Rauminhalte umschlossen, während Abermillionen Verlierer der Gesellschaft nicht mal ein Strohdach über dem Kopf hatten. Die Baukosten für solche Jahrhundertprojekte waren enorm – und die Zielgruppe des in diesen „Gotteshäusern“ Stein werdenden Glaubens verreckte derweil im Schatten dieser Bauten an Hunger und Krankheit. Waren die Vorhallen des irdischen Paradieses dann fertiggestellt, so sah man zu, daß das Bettlerpack schön außerhalb der Mauern dieser Gottesfeste blieb. Dabei heißt es doch im Evangelium, daß den Armen dieser Erde das Himmelreich sei und eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gelange, denn ein Reicher in den Himmel.
Sie sehen also, es ist eine kontinuierliche Tradition des Abendlandes, die von den Bauherren der gotischen Kathedralen bis zur Modekönigin Claudia Schiffer reicht: Das Predigen von Wasser beim gleichzeitigen Weinsaufen.
Aber, aber. So behalten Sie doch Platz! Wer wird denn so entrüstet sein! Natürlich wissen wir, daß Frau Schiffer auch erkleckliche Summen für die Elenden dieser Welt spendet. Das tut besagter Tradition keinen Abbruch. Auch die irdischen Hausherren der riesigen Kathedralen brachten so manchen Almosen unter das Volk. Nicht ansatzweise soviel, wie sie aufgrund ihres Vermögens und in Einklang mit ihrer Verkündigung hätten geben können – Gott bewahre! Aber immerhin! Sie gründeten sogar Spitäler und die ärmsten unter denen Christen, Mönche und Nonnen, Laien und Beghinen widmeten sich tatsächlich den Ärmsten der Armen mit ganzer Hingabe. Das Kuriose daran: Viele dieser tatsächlichen Nachfolger Jesu hatten sich ein Schweigegelübde auferlegt! Sie erkennen die feine Ironie?
Die einen trompeten und tun verhältnismäßig wenig, die anderen opfern sich auf und das in aller Stille!
Das alles bedenkend, rufen wir dem amtierenden, stockkonservativen Heiligen Vater zu Rom zu: Eure Heiligkeit, überdenken Sie die idiotische Regel, nach der in der alleinseligmachenden, katholischen Kirche nur Männer das Priesteramt bekleiden dürfen. Wir hätten da eine prima Erzbischöfin von wahrhaft mittelalterlichem Format für Sie – und eine von engelsgleichem Aussehen noch dazu! Greifen Sie zu, Menschenskind! So eine Gelegenheit kommt nicht zweimal in hundert Jahren!
Und Frau Schiffer hat schon so viele schöne Textilien spazieren getragen, die ihr durch die Bank weg alle standen… Da kann man getrost davon ausgehen, daß sie auch im Bischofsornat eine respektable Erscheinung bietet. Und was brauchen die Armen dieser Welt Brot? Das kostet nur Geld. Etwas für die Sinne muß es sein! Eine hübsche große Kathedrale, eine bunt angemalte Gottesmutter, eine blonde Erzbischöfin umweht von weihevollen Sprechblasen, oder eine Schnulzensoap für die brasilianischen Favelas. Das reicht, das sättigt, das läßt das arme Volk stille halten. Zumindest solange, bis sie so entkräftet sind, daß sie sich eh nicht mehr rühren können. Dann mögen sie getrost auffahren zu ihrem Vater im Himmel, allwo sie getrost und getröstet allen irdischen Leides vergessen mögen – und gleichsam aller lebenslang erfahrener Verhöhnung durch bigottes Gefasel.
Amen

6. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005