Diaspora
im Gazastreifen
K. K. Bajun
In der zweiten Augustwoche des
Jahres 2005 müssen jüdische Siedler im Gaza-Streifen wieder
einmal all ihre Habe packen und den Boden verlassen, der sie über
viele Jahre – manche ein ganzes Leben lang – beherbergte,
ernährte, der ihnen Heimat war.
Herr Druckepennig wollte an das Thema nicht ran. „Bringt nichts“,
winkte er ab, "die Leser werden denken, ich sei parteiisch."
Nein, das ist er nicht. Herr Druckepennig betrachtete das Geschehen
mit fahler Mine. Aber es ging ihm nicht in erster Linie darum, daß
es schon wieder Juden sind, die von ihrer Scholle vertrieben werden.
Nein, es sind Menschen, die ihren Besitz aufzugeben gezwungen werden.
Warum? Weil sie einer anderen „Nation“ angehören…
Zum Henker, Menschen, packt doch endlich dieses schwachsinnige, archaische
Stammesdenken in die hinterste Schublade der Geschichte! Hat dieser
Irrsinn nicht genug Blut gekostet? Wie oft muß denn Kain noch
seinen Bruder Abel erschlagen, bis der Nackte Affe zur Vernunft kommt?
Man ist versucht, ihm die Fähigkeit zu Einsicht generell abzusprechen.
Erinnern wir uns unserer jüngsten europäischen Vergangenheit:
Im ehemaligen Jugoslawien rotteten fanatische Serben ihre muslimischen
Nachbarn aus, um sie aus ihrem Siedlungsgebiet zu vertreiben. Ethnische
Säuberungen haben eine lange, unselige Tradition. Wir werden
den Holocaust an dieser Stelle nicht zitieren – diese Ausgeburt
des Grauens hat eine Qualität, die sich sogar einer Gleichsetzung
mit den „gewöhnlichen“ Vertreibungen und Völkermorden
entzieht.
Doch lenken wir den Blick auf den in der Geschichte sich vielfach
wiederholenden Exodus der Juden aus ihrer Heimat, gedenken wir der
von den Türken vertriebenen und ermordeten Armenier! Es führt
eine Gerade zu den willkürlich ihrer Heimat beraubten Deutschen,
die nach dem letzten Weltkriege planmäßig aus den deutschen
Ostgebieten und anderen deutschen Siedlungsgebieten verjagt wurden.
Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß dieses fürchterliche
Schicksal viele dieser Menschen nicht unverschuldet traf. Einen Nazi
oder einen Sympathisanten der braunen Brut traf diese Strafe zu Recht.
Sie wurden von den eigenen Hunden gebissen. Aber was ist mit den vielen
Unbeteiligten, die auch nur bloße Opfer des Verbrechersystems
waren, die keine Alternative hatten, die Widerstand leitsteten und
die insofern doppelt bezahlten?
Doch nichts veranlaßte die Völker und ihre Machthaber,
den Gegenstand der Vertreibung wirksam als völkerrechtswidrig
und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu brandmarken. Es ging
immer so weiter! Ich hier und du dort!
Wenn sie sich gegenseitig umgebracht haben, dann vermischt ihre Knochen!
Und dann führt die Vertreter der verfeindeten Völkerschaften
an dieses gemeinsame Grab und laßt sie die bleichen Knochen
sortieren! Dann sollen die Aufhetzer Farbe bekennen! Dann sollen sie
sagen, worin die Unterschiede zwischen den Menschen bestehen! Seht
sie Euch an, die Erbärmlichkeit der verlogenen Bestien: Sie werden
hilflos scheitern und ihre Haßtiraden werden ihnen, anschaulich
ad absurdum geführt, auf die Füße fallen.
Doch wie oft ist genau das nun schon passiert? Woher nehmen die Verbrecher
immer wieder neue Legionen hirnloser und williger Gefolgschaft? Ich
sag’s Ihnen: Aus den Abgründen der menschlichen Verhaltenspsychologie
beziehen sie ihre dümmlichen Vollstrecker. Gruppendynamik und
Abgrenzungsstrategien aus der Frühzeit der Menschwerdung determinieren
noch immer die politischen Prozesse, die zu solchen Katastrophen führen.
Juden müssen im Sommer 2005 ihr Heim im Gazastreifen aufgeben,
weil der Grund und Boden, auf dem ihr Haus steht, den Palästinensern
zugesprochen wurde. Jahrzehnte vorher mußten Hunderttausende
Palästinenser ihre angestammte Heimat verlassen, weil die überlebenden
Juden Europas keine Zuflucht mehr hatten, von den mitschuldigen Nationen
der Welt das Heilige Land zugewiesen bekamen und ein gemeinsames Leben
mit den „andersartigen“ Zuzüglern unmöglich
schien. Schafft man so Frieden? Stellt man Frieden so auf eine solide
und stabile Grundlage, indem man Menschen in Gruppen aufteilt, konzentriert
oder divergiert? Nein! Das ist aberwitziger Unfug. Der dumme Nackte
Raubaffe bedarf eines Feindbildes. Verschwindet das eine, wird es
alsbald durch ein anders substituiert. Es spielt letztendlich überhaupt
keine Rolle, ob der Feind „fremden“ oder „eigenen“
Blutes ist.
Diese Erkenntnis ist das Einzige, was geeignet ist, den Teufelskreis
aus Gewalt zu durchbrechen. Sie ist darüber hinaus milliardenfach
billiger als die Folgekosten von Vertreibung, „Umsiedlung“
und ethnischer Säuberung. Denn sie lehrt, daß man nie vor
Problemen fliehen kann – man schleppt sie immer mit sich; wohin
man auch geht. Es gilt, wie auch sonst überall im täglichen
Leben, sie an Ort und Stelle ihres Auftretens zu bewältigen.
Wer nicht lernt, mit dem Nachbarn zu leben, wer meint, er könne
den Druck aus der Situation nehmen, indem er flieht oder den anderen
verscheucht, der wird eine böse Überraschung erleben: Durch
die Trennung wird der ehemalige Nachbar noch fremder. Die Vorurteile
wachsen. Die Bereitschaft zur gewaltsamen Konfrontation steigt, die
Schwelle, den anderen anzugreifen, sinkt rapide! Die Zinsen einer
solchen Fehlentscheidung steigen ins Unermeßliche. Die Geschichte
beweist es! Heimat ist nicht zu ersetzen und das Blut der Schöpfung
Gottes schon gleich gar nicht. Aber genau dafür wird jeder Einzelne
dem Creator Mundi am Tag der Tage vollständig responsibel sein
– Rede und Antwort stehen müssen, erbarmungslos! Jeder
Tropfen von Abels Blut wird dann das Gewicht des Alls haben, wenn
er in die Waagschale gelegt werden wird. Ich weiß, daß
Herr Druckepennig genauso denkt. Aber ich, Kotofeij Kryisowitsch Bajun
von Kidan in Sibirien, ich werde es von der Kanzel herabdonnern, die
mir geliehen wurde. Und wenn mich der Dr.Thomas Müntzer aus Mühlhausen
von dort hört, wo er jetzt sicher zur Rechten seines Himmlischen
Vaters sitzt, dann möge er mir sein Feuer zur Verfügung
stellen, seinen unerschütterlichen Glauben, seine Aufrichtigkeit.
Denn die Sache ist gerecht! Sie hält Stand vor dem Angesicht
Gottes!