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Terror in der Tube oder die verheerende Macht der Ohnmächtigen
Zum Terroranschlag in der Londoner U-Bahn am 07. Julei 2005

B. St. Fjøllfross
Es ist einem wahrhaft zum Heulen zumute: New York, Madrid und nun auch London! Dieser gottverfluchte Irrsinn! Die armen Menschen! Vater verläßt morgens das Haus, um Geld zu verdienen und kehrt nicht wieder. Die Tochter, die gerade ihren Abschluß gemacht hat, und nun in die City will, um sich mit ein paar wirklich schönen Schuhen zu belohnen, verschwindet in den Tiefen der Londoner Tube – das ist die U-Bahn der britischen Metropole – und kehrt nicht wieder. Viele Londoner Kinder werden am Nachmittag dieses schrecklichen Tages vergeblich auf die Heimkehr ihrer Mütter warten. Ist es das, was die gottlosen Terroristen wollten. Ja, das ist es. Genau das ist es!
Ich will nicht behaupten, daß allen Verbrechern das Schicksal der Menschen, die sie töten und verstümmeln und zu Hinterbliebenen bomben, scheißegal ist. Aber sie nehmen diesen Horror bewußt und billigend in Kauf, um, wie sie glauben, politische Signale zu setzen.
Man kann es sich leicht machen, und diese Untaten ein paar geistesgestörten Killern in die Schuhe schieben, deren Existenz im Gesamtorganismus der Menschheit so unvermeidlich zu sein scheint, wie die von Krebszellen bei einem Teil der Bevölkerung. Gottgewolltes Unglück? Nein, so einfach liegen die Dinge nicht.
Schon bei unserer Reflektion um die Tragödie von Madrid mußten wir uns mit dieser herzerschütternden Problematik befassen. Herr Druckepennig, der den damaligen Beitrag „Die Assassinen von Madrid“ (2.Volumen) verfaßte, verneinte jeden rechtfertigenden Grund für solche Ungeheuerlichkeiten. Dem stimme ich natürlich auch heute noch – unter dem Eindruck des erneuten schweren Angriffs auf die Menschlichkeit zu.
Dennoch glaube ich, daß man nachgerade verpflichtet ist, die Ursachen solch unerhörter Barbareien näher zu betrachten. Denn an den Bomben, die in den westlichen Metropolen dieser Welt völlig unbeteiligte Menschen zerreißen, haben noch mehr Leute gebastelt, als es zunächst den Anschein hat!
Betrachten wir die Wurzel dieser stinkenden Pflanze namens „islamisch begründeter Terrorismus“, dann stoßen wir auf eine Dynamik, wie sie prophetisch schon von Samuel Huntington in seinem Jahrhundertwerk „Clash of Zivilisations“ beschrieben wurde. Ein Buch übrigens, daß es wert wäre, in den alttestamentarischen Kanon aufgenommen und den großen Kündern Jesaja, Jeremia und Micha beigesellt zu werden.
Wir stoßen auf sich immer stärker abzeichnende globale Verteilungskämpfe um enger werdende Ressourcen von Rohstoffen zur Energiegewinnung. Energie – das ist das Schlüsselwort! Ohne eine suffiziente Energieversorgung kann man die Länder der sogenannten Ersten Welt in kürzester Zeit auf ein Steinzeitniveau zurückfallen lassen. Das wissen die Führungspersönlichkeiten dieser Länder und ihre Beraterstäbe nur allzu gut. Ihre wichtigste Aufgabe besteht also in der Sicherstellung des Zugangs zu Energiequellen. Staatspräsidenten, Ministerpräsidenten, Kanzler und andere Potentaten sind also nichts anderes als CEOs (Chief Executive Officers; Oberste Ausführungsbeamte) ihrer Wirtschaftseinheiten U.S.A., Großbritannien, Japan, Spanien, Deutschland, Frankreich und so weiter. Sie werden von den Lobbyisten ihrer jeweiligen Wirtschaftsvertreter beauftragt, die „demokratischen“ Entscheidungsprozesse den Erfordernissen der Global Players anzupassen. Das führt dann schon mal zu solch skurrilen Erscheinungen wie der Person des amtierenden amerikanischen Präsidenten, oder eines Labour-Premierministers, der diesem erzkonservativen Präsidenten liebedienert und die Truppen Britanniens ins Feld führt – gegen alle Interessen der Arbeiterklasse. Fadenscheinige Begründung: Auch der letzte Amerikaner, auch der letzte Brite, Spanier, Pole braucht Energie, die muß ihm verkauft werden können, also müssen wir sie uns beschaffen. Es koste was es wolle!
Es kostet in erster Linie Tote. Zuerst sind es die Toten, die als Lebende das Pech hatten, in die Gegend um die arabischen Ölfelder dieser Welt herum geboren worden zu sein. Es spielt keine Rolle, daß sie in diesen Ländern die eigentlichen Hausherren sein sollten. Wer die Macht hat, hat Recht! Und die Macht hat, wer die besseren Waffen, die stärkere Armee, die bessere Logistik, den stärkeren wirtschaftlichen Hintergrund – also kurz: den längeren Atem hat. 1:0 für die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Paladine. Aber dabei wollen es die Verlierer dieses Danse Macabre nicht bewenden lassen. Sie sehen irgendwo nicht ein, daß es ihre gottverdammte Pflicht ist, das Ihrige zu einem Spottpreis herauszurücken, selbst am Hungertuch zu nagen, auf daß sich irgendwelche schwerreichen Zeitgenossen fernab von ihnen die feisten Wänste noch voller schlagen können, und dabei noch nicht einmal wissen, auf wessen Knochen sie da fettleben. Im nahen Schottland sitzen derweil die Regierungschefs, pardon die Ober-CEOs der sogenannten G8-Staaten beisammen und beraten über nichts weniger als ihr Dauerthema: die Verteilung des Kuchens „Welt“, respektive derer verwertbarer Ressourcen. Sie tun das ungeniert über die Köpfe derer hinweg, um deren Bodenschätze oder gar Länder es geht. Diese Menschen zählen überhaupt nicht ins Kalkül! Es ist eine ungenierte Neuauflage des Kolonialismus. Man sublimierte halt die Methoden weitestgehend. Nur wenn der „Bimbo“, der „Kaffa“ oder der „Kuli“ sich überhaupt nicht mehr bändigen lassen wollen, dann rollt die Kriegsmaschinerie an.
Haben Sie Bush jun. gehört, als er sein Statement zu den Ereignissen von London abgab? Da palavert Ihre Amerikanische Unsäglichkeit von einem Ziel des Treffens, das darin bestünde, die Armut und den Hunger in der Welt auszurotten, sowie den Umweltschutz voranzutreiben. Man könnte sich den Bauch vor Lachen halten, wenn’s nicht so traurig wäre. Das Gegenteil, Mr.President, das Gegenteil! Sie und Ihre Kumpanei beraten, wie Sie die Gegensätze in der Welt noch verschärfen, wie Sie unbeschränkt Wale umbringen und Alaska verseuchen können, und – wie sie das störrische Zweistromland endlich in den Griff bekommen. Darum geht’s. Um nichts anderes.
Man ist geneigt zu glauben, daß Bush und seine Auftraggeber nicht mit dem Vorsatz antreten, andere Menschen ins Unglück zu stürzen. Es geht den Amerikanern und ihren Gefolgsleuten in aller Welt lediglich um ihren Reichtum. Daß andere dafür mit ihrer Lebensqualität zu bezahlen zu haben, ist eher ein störendes Beiprodukt. Reichtum ist per definitionem nun mal: Die Ersparnisse Vieler in den Händen Weniger. Ich glaube auch, daß der Anblick der Favelas und ihrer Bewohner bei den Nutznießern von deren Armut nicht gut ankommt. Das ist so störend wie ein Misthaufen neben dem Blumenbeet. Störend, verstörend – aber letztlich unumgänglich. Es würde nicht einmal nutzen, das Gros dieser armen Teufel auf den Mars zu exportieren. Dann hätte man ja niemanden zum Ausbeuten mehr. Das wäre fatal. Na ja, aber ein gut Teil wäre schon entbehrlich, nicht wahr? Die Alten, die Kinder, die Hilflosen, alle jene, die nicht zupacken können, um mit ihrem kurzen und erbärmlichen Leben das Paradies der Ersten Welt zu erschuften.
Und wenn Sie jetzt einen Funken Phantasie haben, dann vergegenwärtigen Sie sich das Innenleben eines jungen Mannes oder einer Frau, die zu neunt, zehnt, elft, zwölft in einer jämmerlichen Wellblechhütte aufwuchsen, ihre geliebten Großeltern am Elend verrecken sahen, ihre Mütter wer weiß wie oft auf den Friedhof begleiteten, um ihre Geschwisterchen zu verscharren, die nicht einmal das erste Lebensjahr erleben durften. Um sie herum vielleicht noch ein Hauch von billigem Fusel und dümmlicher Schmalspurunterhaltung, wie sie in den Vororten der brasilianischen Großstädte gang und gäbe ist. Derweil sehen Sie, wie Scharen von dümmlichen, aber wohlgenährten Touristen in Ihre Heimat eingeflogen werden. Diese Bande glaubt, ihr Geld würde sie zu einer elitären Kaste aufwerten, die das Recht hätte, sich von Ihnen die Schuhe putzen zu lassen und Sie dabei noch zu photographieren. Irgendwann platzt der Kragen. Irgendwann reicht es definitiv! Sie schließen sich einer Bewegung an, deren führende Köpfe Ihrem Haß auf diese Ungerechtigkeit eine Stimme verleihen. Und diese Leute sagen Ihnen dann, man könne etwas tun. Sicher, gegen die Superpanzer, -helikopter und –flugzeugträger mit all ihren Raketen und Marschflugkörpern wäre nichts ausrichten. Aber es gäbe da noch etwas anderes: „Bindet euch Sprengstoff um den Leib und stellt euch in die Mitte der verhaßten Großkotze! Markt, Bus, Theater - - jeder Ort, an dem sich viele von ihnen aufhalten, zählt! Daß es womöglich nicht dieselben sind, die in eurer Heimat an den abgeteilten Stränden ihre wohlgenährten und gebräunten Körper wälzten – was spielt das für eine Rolle? Die Masse hat kein Gesicht. Und ein paar von denen werdet ihr schon treffen. Erschüttern und ihre Selbstsicherheit zerfetzen, das könnt ihr allemal. Euer Leben hat wegen diesen Leuten keine Perspektive. Einzig durch euren Tod könnt ihr ihm einen Sinn verleihen: Für eure Lieben, für eure Leidensgenossen. Und gegen Menschen, die bereit sind zu sterben, gibt es keine Abwehr. Gegen eine Festung mag ein Flugzeugträger, ein Atom-U-Boot oder ein Jagdbomber effizient sein – gegen eine Invasion von Ameisen haben diese enormen Waffensysteme nicht die geringste Chance!“
Das ist die verhängnisvolle Botschaft, die von den Vorbetern des Hasses vermittelt wird. Sie kann nur dort auf fruchtbarem Boden ausgesät werden, wo die Not brüllend ist. Oder ließen Sie sich bei Entenbraten, Lagerbier und „Wetten das…?“ im Fernsehen zu einem Selbstmordattentat überreden. Gerade jetzt, wo es draußen im Garten so schön blüht und das neue Auto nächsten Monat abbezahlt ist?
Ein anderer gewaltiger Prophet alttestamentarischen Formats, der Deutsche Dr. Thomas Müntzer, donnerte einst die folgenden Worte einer legendären Apologetik seines Kampfes: Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sein unser Herrn und Fürsten, nehmen alle Kreaturen zum Eigentum: die Fisch im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muß alles ihr sein (Jes. 5). Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: „Gott hat geboten: Du sollst nicht stehlen.“ Es dient aber ihnen nicht. So sie nun alle Menschen verursachen, den armen Ackermann, Handwerkmann und alles, das da lebt, schinden und schaben (Micha 3. Kap.). So er sich dann vergreift am allergeringesten, so muß er hängen. Da saget denn der Doktor Lügner: Amen. Die Herren machen das selber, daß yhne der arme Mann feyndt wird. Die Ursach des Aufrurs wöllen sie nit wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? So ich das sage, muß ich aufrührisch sein ! Wohlhin !
Lesen Sie sich das ganz genau durch! Immer und immer wieder. Die „Hochverursachte Schutzrede“ des Allstädter Theologen und Bauernführers ist ein halbes Jahrtausend alt – aber ihre Aktualität ist ungebrochen. Und auf wen die Bezeichnung Dr. Lügner heute am ehesten zutreffen würde, bedarf wohl keines näheren Fingerzeigs, wenn man denn von dem akademischen Titel absieht, da der Mann zu wenig Schmalz im Oberstübchen hat, um von irgendeiner ernstzunehmenden Fakultät dieser Welt promoviert zu werden.
So wie die Untaten der räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern damals nicht zu rechtfertigen waren, so wenig sind es die feigen Assassinate der Entrechteten von heute.
Gegen solche Mordbrenner muß hart vorgegangen werden. Dieselbe Härte aber muß zwingend gegen die Verursacher im Nadelstreifen zur Anwendung kommen – sonst führt dieses gestörte Gleichgewicht unweigerlich in die globale Nemesis. Die Hilflosigkeit der sogenannten Ersten Welt im Angesicht der Neuen Gefahr ist ein erstes, sehr ernstes Symptom.
So wie das Deutsche Reich unter Hitler den Völkern Europas das Elend brachte, welches diese dann im Kriegsverlauf an den Ursprungsort zurücktrugen, so trifft es jetzt die modernen Kolonialherren. Nein, nicht die eigentlichen Drahtzieher, das ist mir schon klar. Die sitzen sorgsam verbunkert in schwerbewachten Villen. Aber die Nutznießer, die sich selten genug am Tag Gedanken machen, woher ihr für die armen Schweine der Dritten Welt so unvorstellbarer Reichtum kommt, die statt dessen mit ihren kleinen Alltagsproblemchen befaßt sind, die sind die Vorhut beim Zahlen der Zeche.
Es muß ein globales Umdenken geben, das zum Ziel hat, die Verteilung gerechter zu regeln. Nur dann stoßen solche Untaten auch in den Heimatländern der Mörder auf Ächtung und Ablehnung. Nur dann besteht, die Chance, solchen Taten auf Dauer den Boden zu entziehen. Verrückte wird es immer geben. Bewußt herbeigeführte Katastrophen werden sich nie vermeiden lassen. Dennoch bestünde zumindest theoretisch die Chance, ihnen den Lebenssaft, das Programmatische, das ihnen anhaftet, zu entziehen. Die Inangriffnahme dieser Zielstellung sollte parallel zu den Aufräumarbeiten in der Londoner Tube beginnen.

6. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005