Böses von der blauen Isar
Jules-Francois S. Lemarcou
Schon im September des 2005er
Jahres soll nun die überhastete Neuwahl zum Deutschen Bundestag
stattfinden; da hört man wütendes Gekläff vom Isarstrand.
Der Schöne Eddy, der sich zu seinem übergroßen Verdruß
eingestehen muß, daß es in diesem Leben wohl nichts mehr
werden wird mit der deutschen Kanzlerkrone, belfert über die
Elbe hinweg in die mitteldeutschen Gaue. Er läßt zweideutig
anklingen, daß er das frustrierte Volk der Ossis für nicht
geeignet hält, noch einmal zur Zusammensetzung eines deutschen
Parlamentes zu votieren. Die Botschaft kam an. Von Rügen bis
zur Zugspitze.
Aber nicht doch! So war’s doch gar nicht gemeint! „Die
Frustrierten“ – das war doch an die Adresse der Herrn
Lafontaine und Gysi gerichtet, nicht wahr! Der blau-weiße Gott
bewahre!
Mal ehrlich, liebes Auditorium: Hält hier irgend jemand den schönen
Edmund ernsthaft für blöde? Wer das tut, sollte es zumindest
nicht so laut sagen. Denn das könnte ganz fürchterlich nach
hinten los gehen. Nur heillose Narren können glauben, daß
einem Vollprofi und Strategen der Extraklasse wie Herrn Stoiber ein
so plumper Ball vom Fuß rutscht.
Die Bild-Zeitung probt den Aufstand? Ick lach mir dod! Sie ist in
diesem Falle das verlängerte Sprachrohr der bayerischen Staatskanzlei
und transportiert genau die Inhalte, die ihr anheimgegeben wurden:
Die Absicherung steht wie eine bayerische Eiche: Gemeint waren die
Herrn Lafontaine und Gysi und nicht das ostelbische Stimmvieh –
das hatten wir schon. Wenn sich dieses angesprochen fühlt, dann
möge es bitteschön nur mal überprüfen, ob ihm
der unmißverständlich geäußerte Sinn der Aussage
gegen die beiden „abgehalfterten“ Newcomer klargeworden
ist, in der aber auch nirgendwo vom braven Ossiwähler die Rede
war. Nicht? Na also! Wirklich ’bißken unterbelichtet,
was?
Tja, das ist der Vorteil, wenn man eine scheinbar unbedachte Äußerung
so lala in einer Grauzone plaziert. Man lockt die Paranoiden aus der
Reserve, die natürlich erst durch die BILD lauthals darauf hingewiesen
werden müssen, daß sie soeben möglicherweise beleidigt
wurden.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir eine Milchmädchenrechnung
aufmachen wollen: Addiert man zu dem gehabten Effekt, der den Jammer-Ossis
ihre geistige Insuffizienz schlüssig nachgewiesen hat, nun die
sich über fünfzehn Jahre noch immer prächtig haltenden
Ressentiments aus dem Westen gegen das kolonisierte ostelbische Wildenreservat,
dann kommt unter dem Strich eine prima Summe zustande: Während
ich vielleicht die unartikulierte Stimme zweier Wilder aus dem Reservat
verliere, fliegen mir mit Sicherheit die Stimmen von fünf zu
kompetenter Überlegung fähiger Zivilisierter aus dem Westen
zu, von denen eventuell vier noch zauderten. Die Argumentation ist
genial, denn sie nutzt die dünn-dumpfen Vorbehalte der westdeutschen
Landsleute seit der Wiedervereinigung: die Ossis haben die westdeutschen
Renten- und Sozialsysteme kaputtgemacht, die Ossis sind Schuld an
der für Deutschland widernatürlichen, anhaltenden Wirtschaftskrise.
Damit haben sie bereits mehr als genug Schaden angerichtet –
gebt ihnen nicht die Chance, per Votum das Land endgültig zu
ruinieren!
Kein Wort davon, daß die Bundesrepublik viele Jahre vor der
Wiedervereinigung bereits einen Lebensstil pflog, der weit über
ihre Verhältnisse ging. Kein Wort von den natürlichen Effekten
der Globalisierung. Nein, der Böse Dumm-Ossi muß als Schlagwort
herhalten. Auf den Bösen Juden können wir ja seit jenem
unglücklichen Holocaust vor mehr als einem halben Jahrhundert
nicht mehr zurückgreifen.
Der Wahlkampf wird unwürdig. Unwürdig, weil er auf Machtversessenheit
hinweist. Niemand traut dem rechten Filz eine Umgestaltung und Hinwendung
zum Besseren zu. Was man ihnen jedoch durchaus zubilligt, ist die
pure Machtgeilheit, das herrschen Wollen um jeden Preis.
Wir bestreiten nicht, daß die Rechnung des schönen Eddy
aufgeht. Dazu ist er nun mal viel zu sehr Profi in der Ersten Liga,
als daß wir auch nur hoffen bräuchten, daß ihm mal
so ganz aus Versehen mitten in der heißesten und entscheidenden
Phase des Wahlkampfes ein derart gigantischer Fauxpas unterkommt.
Tun wir ihm den Gefallen und verweigern ihm die Stimme! Soll er mit
Hilfe von ein paar nord-, west-, oder süddeutschen Hohlköpfen
versuchen, aus dem Reich ein einziges großes Bayern zu machen.
Nur eben – ohne uns! Diese Option müßten wir ihm
schon der Fairneß halber einräumen. Denn leidet Bayern
nicht bis auf den heutigen Tag unter den saupreußischen Verhältnissen,
die zweiundsechzig Jahre lang, von 1871 bis 1933 das Reziprok dessen
darstellten, was Herr Stoiber nunmehr anstrebt? Gönnen wir also
der verwundeten bajuwarischen Volksseele diesen Traum! Erst nachdem
die Krachledernen 1972 anläßlich der Münchner Olympischen
Spiele von ihren Almen heruntergekraxelt kamen, dürfen sie überhaupt
träumen. Und die Amis und knipsfreudigen Japaner lullen sie darin
noch kräftiger ein, indem sie – in Unbildung und Ignoranz
verharrend – schon jetzt den Freistaat sinnbildlich für
das Reich halten.
Also was soll’s? Lassen wir Edmund den Verhinderten schwadronieren!
Im Grunde genommen ist es nichts weiter als ein künstlicher Sturm
im Wasserglas. Nicht der Rede wert!