Zum 14. Julei 2005,
dem französischen Nationalfeiertag
Don Miquele Barbagrigia
Als Monsieur Lemarcou heute
morgen das Kalenderblatt in der Redaktion abriß und die Nummer
14 des Julei zum Vorschein kam, verkündete er: „Heute,
meine Damen und Herrn, begeht die Grande Nation ihren Nationalen Feiertag!“
Ein Blick zum im Hintergrund mitlaufenden Fernsehapparat bestätigte
ihn. Eine gewaltige Militärparade, schob sich vom Arc de Triomphe
die Avenue des Champs Elysees in Richtung der Tuilerien hinunter.
Das 55- Millionen-Volk unserer westfränkischen Vettern braucht
zum Geburtstag immer einen donnernden Schuß Selbstbestätigung
in Form eines überdimensionalen Muskelspiels. Die Initiatoren
dieser Feier werden den Umstand bedauern, daß die Seine nicht
breit und nicht tief genug ist, damit auch noch ihre Atom-U-Boote
und Flugzeugträger an der Parade teilnehmen können.
Aber was feiert man eigentlich in der Gott-weiß-wievielten-Republik?
Monsieur Lemarcou erläuterte uns, daß am 14. Julei 1789
die Bastille erstürmt wurde, was für die Franzosen in etwa
symbolisch so bedeutsam sei, wie für die Russen die legendäre
Ballerei des Panzerkreuzers Potemkin auf der Newa in den revolutionären
Novembertagen des Jahres 1917.
Was damals geschah? Nun, die Pariser hatten Hunger. Die Truppen des
Königs standen wieder einmal vor der eigenen Hauptstadt –
Paris und die Pariser und der Rest des Landes und das Verhältnis
der Pariser zu ihrer Herrschaft – ach, das ist alles so durch
und durch heroisch und von großen und gewichtigen Taten begleitet.
Und vor allem muß Blut fließen, sonst zählt das alles
nicht.
Also, den Parisern ward angst und bange. Sie erinnerten sich der Bastille,
in der eine kleine königstreue Besatzung verstärkt von ein
paar Schweizer Gardisten lag, die über ein paar alte Kanonen
und sonstiges Waffengerät verfügten. Der hysterische Mob
beschwor die Gefahr eines Zweifrontenkrieges, malte gar das apokalyptische
Gemälde von einem in Schutt und Asche gelegten Wohnviertel unterhalb
der alten Festung, zerschossen von den todbringenden Feldschlangen
auf den Zinnen des dräuenden Gemäuers.
Das war alles völliger Blödsinn. Selbst die kommunistischen
Historiker Heinz Köller und Bernhard Töpfer kauten noch
1976 in einem Verlag, der sich VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften(!)
nannte, diesen Schwachsinn unreflektiert nach. Der Kommandant des
mittelalterlichen Festungswerks, das eh schon auf der Abrißliste
stand, war ein alter, entschlußunfreudiger Mann, dem aber auch
gar nichts an irgendeiner Form des Blutvergießens lag. Nachdem
man dann aufgrund der Kapitulation dieses alten Mannes die Festung
betreten – von wegen erstürmt…- hatte, brachte man
den Kommandanten entgegen allen Zusicherungen der Übergabebedingungen
bestialisch um und trug seinen abgeschnittenen Kopf durch die Pariser
Straßen. Ein ehrloser, tückischer und feiger Pöbel
bildet also die Basis der hochgelobten Revolution! Das ist das Kruppzeug,
dessen heute mit so großartigen Paraden gedacht wird! Dieser
selbe Mob brachte in den darauffolgenden Jahren systematisch unter
großem Gejohle seine politischen Führer nacheinander um,
nachdem es sich selbst in den Jahren des Regimes Terreur von denen
unter stetigem Gejohle hat guillotinieren lassen. Danach waren die
französischen Kindsköpfe ihrer blutigen Spielchen überdrüssig.
Sie kehrten in den Schoß der Monarchie zurück und –
da man den König geköpft hatte – mußte es diesmal
gleich ein Kaiser sein. Indem sie fortan Tod und Verderben nicht mehr
nur über sich selbst, sondern gleich über ganz Europa brachten,
bildeten sie sich ein, als Nation noch größer zu werden.
Doch sie blieben, was sie schon in den Straßen von Paris waren
– marodierende Banditen!
Das alles feiern sie nun Jahr für Jahr am 14. Julei. Sie feiern
um so lauter, um so mehr ihnen die Schmach im Nacken sitzt, in den
Jahren, da ihre Größe wirklich einmal gefordert war, so
schmählich versagt zu haben. Es ist kaum sechzig Jahre her, daß
Frankreich von den deutschen Nazis besetzt war und zu Kreuz kroch.
Selbst das unbesetzte Frankreich kollaborierte weitflächig und
lieferte unter anderem großzügig seine Juden an die Gestapo
zur Vernichtung aus. An der Befreiung Europas nahm die französische
Nation nur mäßigen Anteil. Sie mußten sich von den
Amerikanern befreien lassen. Als dann alles getan war, da war die
Grande Nation auch wieder da. Vollmundig wie beim Wiener Kongreß
trat sie wieder in Erscheinung, bei welchletzterem sie die ungeheure
Chuzpe hatte, sich von Talleyrand-Perigord vertreten zu lassen. Und
man nahm ihr jedesmal die Schmierenkomödie ab, ließ sie
sich wieder einreihen in den Reigen der Großmächte –
und Frankreich durfte zur Selbstbestätigung und Überwindung
der gekränkten Eitelkeit Atombomben bauen und den Südpazifik
zerstückeln. Von Deutschland bekamen sie auch ein Stück
ab – und eine eigene Zone noch dazu. Man muß sich nur
lange genug aufführen wie ein besoffener Kneipengast, dann wird
man letztendlich auch respektiert. Wieviel man in Scherben schlägt,
wie sehr man sich selbst und andere dabei zu Schaden bringt, wieviel
Blödsinn man auch immer anrichtet – man denke an den idiotischen
Vertrag von Versailles, der den nächsten Weltkrieg entscheidend
vorbereiten half – welch jämmerliche Figur man auch darbietet,
wenn man plötzlich selbst im Schwitzkasten landet – es
spielt alles keine Rolle! Vive la France! Das haben sie den ungeliebten
ostfränkischen Vettern, den Deutschen voraus.
Während wir uns wieder unserer redaktionellen Arbeit zuwandten,
ertönte plötzlich unter röhrendem Pathos ein Tenor,
der die Marseilleise über das paradierende und gaffende Volk
hinwegschmetterte. Selbst Herrn Lemarcou wurde es mittlerweile unangenehm.
Dennoch – vergleicht man diese Darbietung mit dem erbärmlichen
Gewimmer, welches von einem dieser Sternchen im Bardengewande jüngst
in einer süddeutschen Arena zum Schlechtesten gegeben wurde,
in dem es gar dem Deutschen Vaterlande riet, „im Glanze dieses
Glückes zu brühen“, dann ziehen wir wiederum den Hut
vor unseren Vettern von der Seine. Denn eines ist mal klar: Hätte
die kleine, zweitklassige Rockröhre diesen Fauxpas unter dem
Eiffelturm gebracht, ein Schinderkarren hätte sie stantepede
zur Place de Greve gefahren, wo eine Guillotine flugs dafür gesorgt
hätte, daß solche Peinlichkeiten der Superlative nicht
noch mal ihrem gestylten Mündchen entfleuchen. Soviel Ehrgefühl
und Selbstbewußtsein ist den Franzosen allemal zueigen.
Wenn sie nicht gerade in revolutionärer Stimmung sind, dann sind
die Franzosen äußerst angenehme Zeitgenossen. Auch unser
Vater Tucholsky war dieser Meinung. Hatte er doch das für ihn
größtmögliche Vergnügen, als Korrespondent der
Weltbühne und der Vossischen eine Zeit lang in Paris leben zu
dürfen. Was er allerdings am 14. Julei 1924, 1925, 1926 tat,
das entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht trank er einen Schoppen
Rotwein mit Blick auf Sacre Coeur. Wir wünschen es ihm nachträglich
und unseren französischen Vettern für die nächste Feier
etwas mehr Bescheidenheit und historische Ausgeglichenheit. Dann zählten
sie gewiß zu den sympathischsten Völkern dieser Erde.
Eine Klassenfahrt nach Dänemark zum Beispiel könnte da sicher
sehr lehrreich sein.