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Plauer Fischerjacobi

J.-F. S. Lemarcou
Köln und Mainz haben ihren Karneval, die Arbeiterschaft hat den 1. Mai und die Plauer haben seit altersher ihren "Fischerjacobi", ein jährlich wiederkehrendes Volksfest zu Ehren St. Jakobs.
Des Havelstädtchens Wurzeln liegen im Fischreichtum der großen umliegenden Gewässer, der seit jeher die Bewohner hauptsächlich ernährte. Lange Zeit, quasi das gesamte Mittelalter hindurch, hielt das mächtige Zisterzienserkloster Unserer Lieben Frau am See zu Lehnin in der Mark die Rechte an der Abfischung des Plauer Sees und seiner angrenzenden Fischgründe. Damit die frommen Brüder den einstigen wendischen Bewohnern und Herren des Landes ihre dem nordeuropäischen Wesen fremde, mediterrane Religion überstülpen konnten, mußten sie bei Kräften bleiben. Fisch aus der Havel und ihren Seen waren daher an der klösterlichen Tafel immer hochwillkommen. Also zwang man die Ansässigen nicht nur, ihren alten Göttern und Flurgeistern abzuschwören, sondern sich darüber hinaus in die Ruder zu legen, Netze auszuwerfen, um die neuen Herren nach Kräften zu mästen. Welch gottgefälliges Werk! Waren doch auch einige Jünger des Reb Joshua aus Nazareth gelernte Fischer. Wir erinnern uns da besonders des ersten Bischofs von Rom, einen gewissen Shimon, genannt Petrus. Daß es dem Rabbi und den Seinen vornehmlich um Seelenfischerei ging, paßte ganz gut ins Konzept: Wenn es der heidnischen Seele recht lausig ging, dann stiegen ihre Chancen, in den ungeliebten christlichen Himmel einzugehen - meinte die christliche Geistlichkeit. Und während sie diese These den armen Teufeln von Plaue und Briest, Derrenthin und Planow, Schmölln und Möser verkündete, schob sie schon mal den nächsten Happen gut gewürzten und eingelegten Karpfens in den Mund.
Was den Bekehrten blieb? Denen zu Planow, Schmölln und Derrenthin nicht einmal die nackte Existenz. Ihre Dörfer verschwanden von der Landkarte. Die zu Plaue aber bekamen eine kleine und interessante, wunderhübsche Kirche auf ihren Berg gestellt, die von einem separaten "Campanile" als Glockenturm begleitet wird. Und in diesem Kirchlein wurde ihnen das Heil des christlichen Glaubens verkündet und - daß man ihr altes Pantheon mit all seinen Göttern, Flurgeistern, Nixen und Dämonen ausgetauscht habe gegen ganze Regimenter christlicher Heiliger und Schutzpatrone. Wenn es ihnen fürder dreckig ging, dann sollten sie in ihrem Elend eben statt zu Perun oder zu Triglaf zur Heiligen Jungfrau brüllen. Ein paar Subalterne wie der Heilige Jacob taten es zur Not auch. Und Not war in den Fischerhütten zu Plaue ein nur all zu bekannter Gast.
Also Sankt Jacob! Gemeint ist der Apostel Jesu, nach dem so berühmte Städte und Pilgerstätten wie Santiago de Chile, Santiago de Cuba und Santiago de Compostella benannt wurden. In der darstellenden Kunst sind die Jacobsmuschel und der Pilgerstab seine Attribute. Geboren wurde St. Jakob als Sohn des Fischers Zebedäus und dessen Frau Salome als älterer Bruder des nachmaligen Jüngers Johannes. Die beiden Brüder scheinen eifrige Anhänger ihres Rebben gewesen zu sein. Nannte sie dieser doch "Donnersöhne".
Im Jahre 43 n. Chr. jedoch hatte es sich für Jacobus ausgedonnert. König Herodes Agrippa I. von Judäa lies den Apostel enthaupten und schuf damit fatalerweise dem um seine Existenz kämpfenden Christentum den ersten Märtyrer.
Warum nun die Plauer gerade St. Jacob zu Weihe und Segnung der Fischbestände heranzitierten, wird wohl im Dunkel der Geschichte bleiben, zumal eigentlich St. Petrus der Schutzpatron der Fischer ist. Dessen Tag, der 29. Juno, würde sich ebenfalls für eine Zeremonie an der frischen Luft prädestinieren. Doch der 25. Julei, der im Heiligenkalender der katholischen Kirche von St. Jacob beansprucht wird, macht sich auch ganz gut. Blöd wird's nur, wenn das Land sich zu einem Konfessionswechsel entschlösse, was ja in der Historie Brandenburgs durchaus nicht ungewöhnlich wäre: Die Orthodoxen feiern den Heiligen Jakob am 30. April, die Kopten am 12. April, die Armenier gar am 28. Dezember. Huuh, wie kalt und frostig! Da fröre am Ende der segnenden Geistlichkeit das Weihwasser ein, und der festliche Umzug gemahnte an die Brandenburger Weihnachtsmannparade.
Doch diese Gefahr besteht in unseren Zeiten, da sich in der ostelbischen Mark sämtliche Religiosität auf dem Rückzug befindet, eher nicht. Es ist etwas anderes, was uns Landboten bei Gelegenheit solcher Feste Sorgen bereitet: Seit altersher wird eine Kirmes, ein Götterfest oder was auch immer dergleichen gewesen sein mag, von recht irdischen Feiern begleitet. Die Menschen kommen zusammen, es wird aufgespielt, man trinkt, man säuft, man... Das alles mag recht und billig sein. Doch in diesem Gelage geht regelmäßig eines unter: Die Besinnung auf den Grundgedanken der Zeremonie. Ein Priester segnet einen See. Es ist bedrückend mitanzusehen, daß dieses Element zur Showeinlage verkommt ohne daß sich die Mehrheit der Zuschauer auch nur im Mindesten über die Aussage dieses Ritus im Klaren ist. Es gehört halt zum Kulturprogramm, in dessen weiterem Verlauf eben jenem Gelage gefrönt wird. Aber hier geht es um etwas anderes. Es ist der Bezug des Menschen zu der Natur in der er lebt und die ihn ernährt, solange er ihr mit Achtung und Respekt begegnet und dabei die heilige Pflicht nicht verkennt, sich als Geschöpf in die Gemeinschaft der Geschöpfe zu integrieren. Genau dieser Aspekt aber geht in einer auf Vergnügung orientierten Spaßgesellschaft verloren. Daher sind wir der Meinung, daß die Bedeutung dieses Rituals, der den Plauer Fischerjacobi einläutet, ob er sich nun an Götter oder Heilige richtet, nicht genug vermittelt werden kann.
Doch sind wir uns darüber im Klaren, daß wir an den Realitäten vorbei monieren. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Volk fordert einen weitestgehend entseelten Ablauf ein und wenn es ihn nicht bekommt, dann bleibt die Geldbörse eben zu. Das hinwiderum wäre fatal für Plaue. Obschon die Plauer Fischer vor ein paar hundert Jahren dem inzwischen selbst untergegangenen Kloster Lehnin die Fischereirechte auf dem Plauer See abgekauft hatten, wurden sie dennoch keine reichen Leute. Härteste Arbeit bei kargem Leben blieb ihr Los. Heute, da der Staat Bundesrepublik Deutschland unaufhaltsam seinem Staatsbanquerott entgegensteuert, ist es für eine kleine Kommune doppelt wichtig, jede verfügbare Einnahmequelle zu erschließen, die sich ihr bietet. Viel Platz für theologische oder sophistische Sentimentalitäten bleibt da nicht. Zumal die kleine Fischerstadt, die erst im letzten Jahrhundert der Stadt Brandenburg zugeschlagen und eingemeindet wurde, von ihrer jetzigen Obrigkeit hängen gelassen wurde. Für deren Festivitäten, wie Dominsel-, Havel- oder Altstadtfest läßt der hochlöbliche Magistrat der zwangsvereinigten Dom- und Hansestadt Brandenburg an der Havel noch immer ein paar Groschen aus dem stetig mehr zusammen schnurrenden Geldsäckel springen - Plaue dagegen muß nun selbst sehen, wie es klar kommt.
Besonders schade ist es um das Kinderviolinorchester der Partnerstadt Magnitogorsk aus Rußland. Man hätte den zwölf Kindern und ihrem Dirigenten nur den Flug bezahlen müssen. Doch schon diese Summe überforderte den auf sich allein gestellten Bürgerverein völlig. Die Kinder hätten sich gefreut und ihre Darbietung wäre eine wohltuende Alternative zu dem ohrenbetäubenden Gegröle und Rummelgejaule gewesen, welches das mehrtägige Fest eh schon begleiten wird.
Trotzalledem, wie Karl Liebknecht gesagt hätte, Trotzalledem! Es ist den Organisatoren höchste Anerkennung auszusprechen, sowohl für ihr selbstloses Engagement als auch für die unter Beweis gestellte Fähigkeit, allen Schikanen und Budgetkürzungen zum Trotz eine Attraktion auf die Beine zu bringen, die dem Städtchen Plaue seit der sogenannten Wende wieder überregional einen Ruf schafft und somit den Bekanntheitsgrad dieses kleinen, wehrhaften Ortes am idyllischen Havelknick steigert.
Vielleicht will es St. Jakob in diesem Jahr, daß einer der Besucher sowohl die Vision als auch das Geld hat, das marode Schmuckstück der Plauer, eines der schönst gelegenen Schlösser Deutschlands aus seinem tödlichen Dornröschenschlaf wach zu küssen. In diesem Falle würde sich auch der Landbote wieder entschließen können, Kirchensteuer zu zahlen - denn eine solche heilige Tat würde nicht nur den Niedergang Plaues umkehren, sie würde auch unseren ewigen Skeptizismus nach Punkten niederringen.

6. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005