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Brandenburg an der Havel –
die halbvergessene Slawenmetropole

 

K. K. Bajun
Man schrieb das Jahr 1929. Die Lange Brücke, die seit Jahrhunderten die beiden Städte Brandenburg über den Havelstrom hinweg verband, wurde neu und in Stein gebaut, und anläßlich ihrer Einweihung in Jahrtausendbrücke umbenannt.
Man feierte in diesem Jahre nämlich das eintausendjährige Bestehen Brandenburgs. Doch das ist im Grunde genommen alles Mumpitz! Im strengen Winter 928/929 kapitulierte die slawische Hauptfestung Brandenburgs zwar den Truppen des sächsischen Königs Heinrich I., aber von einer Stadtgründung war man noch weit entfernt. Der Sachse diktierte zunächst einmal einen milden Frieden und beließ die Brandenburg – so hieß die Burg damals – in wendischer Hand. Knez Bolilut, der amtierende Fürst (Knez – slaw. Fürst), durfte zunächst unter sächsischer Oberhoheit Erster seines Volkes bleiben. Er stellte seine Tochter Dragomira und seinen Sohn Tugumir als Geiseln an Heinrichs Hof. Damit war gewährleistet, daß die Stodoranen, oder von den Deutschen „Heveller“ genannt, noch ein kleines Weilchen unbehelligt blieben. Deren Gott Triglaf konnte noch für ein paar Jahre dem Harlunger Berge präsidieren, ehe sein Tempel auf diesem markanten Hügel von einer wunderschönen, viertürmigen Basilika verdrängt wurde. Seither hieß der Harlunger Berg dann auch nach der Schutzpatronin jener Kirche Marienberg.
Soweit, so schlecht! Zumindest für die einheimische Bevölkerung. Die neuen Oberherren festigten ihren Einfluß zunächst mit Bestechung, dann mit Mord und später mit einer gigantischen Besiedlungswelle aus Richtung Westen. Doch noch einmal erhoben sich die slawischen Stämme gegen ihre Besatzer und den ihnen völlig wesensfremden christlichen Glauben, der ihnen der Unterdrückung wegen übergeholfen wurde. Für beinahe einhundertundfünfzig Jahre konnte man das sächsisch-christliche Joch abschütteln. Doch mit dem Übertritt des letzten Wendenfürsten Pribislaw-Heinrich zum Christentum ging den Slawen die Luft aus. Als Pribislaw-Heinrichs Nachfolger Albrecht der Bär das Ruder in der Mark übernahm, gaben die Glocken des Brandenburger Doms, der auf den Trümmern der einst stolzen Wendenburg erbaut wurde, den Slawen das Totengeläute. Das Land Stodor, das seit der Völkerwanderung den Havelslawen Heimat gewesen war, hört auf zu existieren. Was blieb, waren die Orts- und Flurnamen des Heveldun, wie der Stodoranengau auch genannt wurde, die in eingedeutschter Form überlebten.
Doch hat ein Volk nicht mehr Achtung und Respekt von den Nachgeborenen verdient? Für jeden etwas prominenteren Bürger der späteren Stadt steht eine Straßenbenennung zu Gebote. Aber was ist mit den früheren Kindern des Landes, die von fremden Invasoren zu Tode assimiliert wurden. Warum gibt es in der vereinigten Dreistadt Brandenburg an der Havel mal gerade eine winzige, versteckte Hevellerstraße, die noch dazu die deutsche Bezeichnung dieses slawischen Stammes trägt. Ein Triglafweg erinnert an die einst mächtige Gottheit und das war’s! Keine Stodoranenstraße. Kein Bolilutweg im Angedenken an den letzten Verteidiger der Brandenburg. Sucht man ein Denkmal für die unglückliche Dragomira, die – ein junges Mädchen noch – als politische Schachfigur mißbraucht und an König Heinrichs Hof als Geisel geschickt, dort dem Prinzen und späteren Kaiser Otto anverlobt und von diesem geschwängert, dann aber auf Lebenszeit in ein Kloster gepfercht wurde, weil sie Ottos Heirat mit der englischen Prinzessin Edith im Wege stand – sucht man nun nach einer puren Erinnerung an dieses arme Slawenmädchen – dann sucht man vergebens. Gerade mal das Slawenboot, das von den Leuten der Beschäftigungsgesellschaft BAS zusammengebaut wurde, trägt ihren Namen. Doch ohne jede Erläuterung, ohne jeden Kommentar.
Brandenburg ist nicht 928 gegründet worden; nicht mit dem Verrat von Boliluts Sohn Tugumir, nicht um Elfhundert und ein paar Zerquetschten. Brandenburg existierte weitaus früher. Nicht als Stadt im heutigen Sinne. Aber was macht das denn schon? Brandenburg ist trotz seiner vielen Kirchen keine christliche Stadt, auch wenn sämtliche Historiker darauf hinweisen. Brandenburg hat eine fast ebensolange heidnische Tradition. An der Stelle von Triglafs Tempel stand vor der Völkerwanderung ein Heiligtum der Frigga, der Hera des Nordens. Es gibt einen Triglafweg, gut! Aber wo ist die Friggastraße, der Hermundurenweg, die Suebenallee?
Es tut not zu begreifen, daß diese Leute einst mit uns das Land teilten, das uns heut Heimat ist. Auch wenn sie wegzogen, wie die germanischen Sueben; auch wenn sie zu Tode assimiliert wurden wie unsere slawischen Mütter und Väter, ihre Seelen teilen noch immer dieselbe Scholle mit uns. Wenn wir das vergessen, werden wir nie dieser Scholle zugehören, obgleich wir ihr entstammen. Es sei denn, wir finden uns damit ab, diesen Boden auf eine Art und Weise in Beschlag zu nehmen, wie es die grasenden und widerkäuenden Rinder auf der Weide tun: mit leer glotzendem Blick, ausdruckslos, seelenlos.
Heimatlosigkeit ist ein Fluch, eine Verkrüppelung, eine schwere Behinderung. Aber Heimat besteht nicht nur aus dem vertrauten Anblick der Flüsse, See und Wälder, der Dörfer und der Städte des Umkreises, in dem man aufwuchs. Das wäre zweidimensional, das wäre schal, das wäre gehaltlos. Heimat setzt sich in die Dimension der Zeit fort. Sowohl in die Vergangenheit, als auch in die Zukunft. Zu dieser Heimat gehören eben auch die Menschen und Tiere und Pflanzen, die einst von diesem Lande lebten. Derjenige aber, der diesen Umstand nicht versteht, wird kaum in der Lage sein, seinen Nachkommen mehr als das schon seit den keltischen Ahnen berüchtigte Öde Land zu hinterlassen. Deshalb meine Anregung: Revitalisiert die Heimatliebe und -forschung der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts! Gebt der Erinnerung an die Alten in den künftigen Straßenbenennungen mehr Raum! Laßt das Wissen um die Ahnen und ihre Welt wieder Allgemeingut werden!
Das derzeit am rechten Havelufer entstehende Brandenburger Slawendorf, unweit des alten Dorfes Luckenberg, ist ein guter Anfang in die richtige Richtung!

6. Volumen
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