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"Briefe an Barbara"
Leo Meter

K. K. Bajun
Die "Wohlthat'sche Buchhandlung" in Spandau stellt morgens bei Ladenöffnung große portable Bücherkisten vor die Tür und lädt mit diesen etwas billigeren Angeboten Kundschaft zum Nähertreten ein.
Man bleibt stehen, besieht sich die Auslagen – und findet fast immer etwas!
Diesmal erregt ein kleines Büchlein meine Aufmerksamkeit, nicht eben dick, ganze 64 Seiten stark. Es ist noch eingeschweißt. Auf der Folie prangt der Verkaufspreis von einem Euro! Dennoch kommt das Auge nicht los!
Der Einband wird von Buntstiftzeichnungen geziert, die eine Stadt am Fluß mit Bahnhof und Schiffen und einen nächtliche Wache schiebenden Wehrmachtssoldaten zeigen. Daneben einen Hahn und einen Hasen, die ihre Unterleiber vertauscht haben und unten einen galizischen Panjewagen, gezogen von einem halbverhungerten Pferdchen. „Briefe an Barbara“ – so ist das kleine Buch betitelt.
Das sieht alles nach einem liebenden Vater aus, der im Felde steht und seiner kleinen Tochter Feldpostbriefe sendet. Gekauft!
Und richtig! Kaum ist die Folie entfernt, das Buch geöffnet, beginnt das ungläubige Staunen.
Diese Briefe sind nicht von gewöhnlicher Art. Hier tritt einem etwas Besonderes entgegen. Dieser Vater ist kein 08-15- Landser.
Die Briefe in sauberem Sütterlin, der Text vielfach unterbrochen von Zeichnungen, ach was – Zeichnungen! Kleinen Kunstwerken! Ein Bilderbuch. Ein richtiges kleines Bilderbuch für ein vierjähriges Mädchen, gemalt und geschrieben von ihrem Vater, der sie sehr, sehr lieben muß. Der über das Grauen hinweg, das er täglich durchleidet, seiner kleinen Tochter etwas Freude, etwas Licht bringen will – in dieser dunklen Zeit.
Wer ist dieser Vater? Aus der Nachschrift der Tochter erfahren wir, daß Leo Meter 1909 in Köln am Rhein geboren wurde und früh mit sozialistischem Gedankengut in Kontakt kam. Er wurde ein Mann der Kunst, nahm Zeichen- und Malunterricht. Wurde Bühnenbildner und Regieassistent in Berlin und machte sich die Nazis feind. Als die an die Macht kamen, fackelten sie auch nicht lange und steckten den jungen Sozialisten für ein Jahr in ein KZ bei Köln. Nach seiner Entlassung begannen die üblichen existenzgefährdenden Schikanen, bis es Herrn Meter gelang, sich nach Amsterdam ins noch unbesetzte Holland abzusetzen, wo er seine spätere Frau, die Jüdin Elisabeth Plaut kennenlernte. Der Rassenirrsinn der braunen Machthaber in Deutschland zwang das junge Paar, in Brüssel zu heiraten. Denn Leo Meter heiratete die Tochter aus dem Hause Davids - seine Liebe und sein Charakter waren über jeden Zweifel erhaben. Er bot den Antisemiten die Stirn. Und das nenne ich einen Mann, einen Soldaten! Ich werde im Folgenden noch einmal darauf zurückkommen.

Man ließ ihnen nicht viel Zeit, wie so vielen jungen Ehen damals. Der Krieg brach aus und auch Herr Meter mußte, ob er wollte oder nicht, die Uniform und das Gewehr zur Hand nehmen und Soldat sein.
Er war ein intellektueller Mensch. Man sieht es den gut getroffenen Selbstporträts an, die er in die Briefe hineingezeichnet hat. Ein gütiges und schönes Gesicht mit einer runden Brille blickt uns entgegen. Es ist, als hätte das Naturell, das zu uns aus jedem seiner Briefe und kleinen Malereien spricht, entscheidenden Anteil an der Formung seiner Gesichtszüge genommen. Ein solcher Mensch hat keine Freude am Krieg. Man hieß ihn einen „schlechten Soldaten“. Nein, ich weiß es besser. Ein Mann ist nicht deshalb ein schlechter Soldat, weil er in die Luft schießt, wo er doch auf andere Menschen schießen soll. Ein Soldat, der den Krieg als die ultimative Ausgeburt der menschlichen Dummheit haßt, hat alle Anlagen, ein phantastischer Soldat zu sein. Ich denke, Leo Meter war sogar ein preußischer Soldat. Kein stumpfes Schlachtvieh, kein Heldengedöns, kein Einzelkämpfer und Ritterkreuzträger. Er war ein Mensch. Einer von den wenigen, von denen Gorki sagte:


Ein Mensch, wie stolz das klingt!

(Ein Mensch – wie stolz das klingt!)

Er muß ein einfühlsamer Mensch gewesen sein. Dieser Mann konnte sich in die Geisteswelt seiner kleinen Tochter hineinversetzen und fand Worte, die auch ein Kind dieses Alters problemlos verstand. Dennoch verlor er sich nicht in infantilem Gebrabbel.
Er befand es auch nicht für nötig, der kleinen Barbara die Schattenseiten dieses Krieges vorzuenthalten, um die kindliche Seele nicht zu belasten. Er erzählte von den zerschossenen Häusern, den armen Menschen in zerlumpten Kleidern, den ärmlichen Gegenden. Doch alles mit Maßen. Immer wieder flocht er Unterhaltsames, Märchenhaftes mit hinein, beschrieb wohl auch den Weg, den der Brief an die Tochter nehmen würde und immer, immer wieder diese hinreißenden Bilder. Welch ein kluger Mensch! Welch eine Seele!
Es möchte einen der kalte Zorn packen, wenn man dann die Ewig Gestrigen mit dem steifen rechten Arm sieht, wie sie den herrlichen Kriegstagen hinterher trauern, den Tagen voller Stolz und nationaler Größe. Und man möchte den Weltenlenker fragen, warum er dieses Gesindel hat überleben lassen, während Kinder wie die kleine Barbara Meter aus Amsterdam ein Leben lang auf das Geschenk verzichten mußten, das ein solcher Vater ihnen bedeutet hätte. Ich fürchte, selbst die Darlegungen des Philosophen Hans Jonas helfen an dieser Stelle nicht mehr weiter.
Dieser Mann hätte nicht nur seiner Tochter noch viel zu geben vermocht. Viele Kinder, viele Erwachsene hätten noch Freude haben können an diesem warmherzigen und guten Menschen mit seinem großen Talent zum Malen und zum Glücklichmachen.
Was uns bleibt, ist dieses kleine Buch, das sich sein Autor nicht einmal erträumt hat.
So gesehen haben die, die ihn umbrachten im historischen Rahmen doch noch verloren. Erfüllt uns das mit Genugtuung? Nein, denn verloren haben auch wir. Den Mann, Künstler und liebevollen Vater einer kleinen Tochter: Leo Meter. Sehen wir zu, daß nie wieder Verbrecher die Möglichkeit bekommen, uns um solche Menschen zu bringen. Sollte dieses Buch seinen Lesern zu dieser Erkenntnis verholfen haben, dann ist es der bestinvestierte Euro gewesen, der für den Kauf in die Kassen von Wohlthat wanderte.

Leo Meter
"Briefe an Barbara"
Gertraud Middelhauve Verlag
Wiener Platz 2
D-5000 Köln 80
ISBN 3-78 76 92 63 0


 

 

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003