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Sehende Augen – Zeichnende
Hände
Zur Eröffnung der Ausstellung „Diesseits
und Jenseits von Arkadien – Goethe und Grass als Landschaftszeichner“
K. K. Bajun
Ja, liebe Leser unseres „Landboten“
– heute gibt’s was Erlesenes zur morgendlichen Lektüre
– versprochen! Also alles andere aus der Hand gelegt und aufgemerkt!
Das Haupt der Deutschen
Hanse, die Stadt Lübeck auf der Traveinsel, beherbergt neben ihren
seit altersher bekannten Schätzen wie Dom, Rathaus und Holsten-Tor
seit circa zwei Jahren noch einen weiteren, kleinen Edelstein in ihren
Mauern – das Günter-Grass-Haus. Nun ist der Meister der deutschen
Sprache und bekannte Romancier nicht etwa unter die Handelsherren und
Patrizier gegangen – nein, Gott bewahre! Er öffnet sein Haus
der Öffentlichkeit zum Zweck der Bildung und der Förderung von
Talenten.
Im vorderen Teil des Anwesens Glockengießerstraße 21 kann
man Werke des Hausherren und einige nützliche und hübsche Accessoires
kaufen, sowie erlesene Weine. (Nur den Pfeifenknaster, den der Große
Alte von der Trave raucht, suchte unser Volontair Herr Hübner vergeblich
– aber was versteht unser verflixter Ladenschwengel schon vom Tobak?!)
Herr Grass bei der Pressekonferenz, Herr
Hübner (re.)
Der hintere Teil des Hauses nimmt Ausstellungen auf – so denn auch
die, zu deren Eröffnung der „Landbote“ durch die Vermittlung
von Frau Ohsoling vom Sekretariat des Herrn Grass und Frau Fritzen von
der Presseabteilung eingeladen war. (Mesdames, Ihnen gilt unser Dank und
unsere zierlichste Reverenz!)
Wir entsandten unsere
Photographin und Rezensentin Frau Katzentraum und – wie schon erwähnt
– den Herrn Hübner.
Herr Grass, Frau Katzentraum
Beide nun kamen erschöpft
aber strahlend und glücklich von der Reise zurück, so daß
wir schon dachten, sie hätten unser mageres Spesenkonto… aber
nein, kein Grund zur Sorge, der gelieferte Report macht die beiden über
jeden Zweifel erhaben!
Und hier ist er:
Eine Ausstellung. Grass & Goethe. Blasphemie, so jaulen die Mucker.
Wie kann man die beiden nur vergleichen?! Man kann! Und wie man kann:
Beider Namen fangen mit einem großen „G“ an –
ist doch schon mal was! Nicht wahr, meine Herrn Brüllaffen? Aber
Scherz beiseite.
Worum geht es in diese
Exhibition? Zwei Multitalente, zwei deutsche Dichterfürsten werden
in Teilen ihres Schaffens verglichen. Beide Aufklärer von Format,
unterscheiden sie sich doch in Ausdruck und Darstellung erheblich. Dennoch
verbindet sie hinwiderum nicht nur das literarische Schaffen von Weltruf
sondern auch der Hang zu Landschaftsdarstellung mit Bleistift, Kohle,
Graphit und Pinsel. Trennendes, Verbindendes, Trennendes, Verbindendes
– Kontraste, Gleichklänge – wer immer die Idee zu diesem
Konzept hatte, den hat die Muse geküßt. Unbestätigten
Informationen zufolge war wohl Hr.Dr.Artinger, der Leiter des Grass-Hauses,
das treibende Agens und die „gute Seele von’s Geschäft“.
Es kostete ihn einige Mühe, den anfänglich etwas skeptischen
Direktor der Museen der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen,
Hrn.Dr.Güse für das Konzept zu gewinnen. Das Ergebnis jedoch
heiligte allen Aufwand – Dr.Güse zeigte sich begeistert.
Und Begeisterung vermag
die Ausstellung bei jedem Feingeist und Freund der Kunst zu wecken.
In ausgeklügelter und wohlbedachter Hängung sehen wir Exponate
aus der Hand des Weimarer Geheimrates denen des Schöpfers der „Blechtrommel“
gegenüber. Hie Elysium – dort die zerstörte Umwelt. Hie
der Traum von Arkadien – dort die fürchterliche Realität.
Hie die gefällige Idealisierung der Landschaft, wie sie seit dem
Barock a la mode war – dort deren komplette Vernichtung, wie sie
die entfesselte Industriegesellschaft der Moderne als Tribut für
hemmungslose Profitgier und Herrschaft des Kapitals einfordert.
Der Geadelte aus Weimar – der Nobelpreisträger aus Lübeck,
der Autodidakt auf zeichnerischem Gebiete und der studierte Absolvent
einer Kunsthochschule. Beide verkörpern in ihren Werken dasselbe
Anliegen – nämlich der Aufklärung; beide nähern sich
diesem Ziel auf unterschiedliche Art und Weise.
Goethe will die Herzen seines Publikums öffnen, indem er ihm Wohlgefälliges
darbietet. Berauschend schöne, einsame Landschaften von Majestät
und Ausstrahlung. Er fängt mit dem Zeichenstift das Mondlicht über
dem Brocken ein, dem höchsten Berge des Harzes. Nebelschwaden geistern
durch die Täler der Ilm, eine eingestürzte Schachtanlage vermittelt
selbst in ihrem desolaten Zustand noch pittoreske Romantik. Diese Bilder
wecken Sehnsüchte, laden zum Träumen ein.
Nicht so der Gefährte „der Rättin“. Er trommelt!
Wie er es immer getan hat. Keine Beschwichtigung, keine Beschönigung!
War nie seine Art. Den Finger in den Salznapf und dann rein in die blutende
Wunde! Das Volk soll „Aua“ schreien, denn nur, wenn es „Aua“
schreit, ist es wirklich wach. Und es ist so nötig, daß es
aufwacht, daß der Prinz aus Danzig-Langfuhr es wach küßt
aus seinem Schlaf der Unvernunft. Denn während es schlief, entschliefen
auch sachte und unmerklich neben ihm seine demokratischen Instanzen, die
unter anderem über den Erhalt des Lebensraumes der Menschen zu wachen
bestellt waren.
Skrupellose und profitorientierte Lobbyisten, Konzerne und Industriemagnaten
üben schamlos
enormen Druck auf die gewählten Regierungen der „Demokratien“
aus, und setzen ihre Interessen gegen die der Allgemeinheit mit einem
kalten Lächeln durch. So wie es die Regierungen der ehemaligen Ostblockstaaten
aus „Staatsraison“ taten.
Und der Mensch opfert seinesgleichen. Auf den Müllhalden von Kalkutta,
wo die Paria, die Kastenlosen, den Müll der anderen umwühlen
um noch etwas brauchbares zu ergattern, was ihnen helfen könnte,
den nächsten Tag zu erleben. Die Menschen, die auf und vom Müll
leben – Herr Grass hat sie mit eigenen Augen gesehen und gezeichnet
– sind am Ende selbst zum Müll gemacht worden. Zum Müll
ihrer Gesellschaft, wiederum von ihresgleichen. Hier zerrinnt jeder Traum
von Arkadien. Hier verlieren Goethes Ruinen ihren Charme.
Zurück bleibt das „Kranke Land“, das Land, das vom schwer
verwundeten Fischerkönig Anfortas, dem Oheim Parzivals, beherrscht
wurde und das wie sein Regent schmerzgepeinigt nach Erlösung brüllte.
Parzival konnte seinerzeit den gepeinigten König und das geschundene
Land mit der Frage befreien: „Was quält dich, Oheim?“
Doch das ging nur, weil sich hinter dieser Frage das interessierte Mitgefühl
verbarg. Und um das ringt Herr Grass in seinen Zeichnungen und Texten.
Das will er wecken in den Herzen seines Publikums.
Seht her! So sieht’s wirklich aus um Euch herum. Seht auf die Wüsten,
die der Braunkohletagebau hinterlassen hat! Die Mondlandschaften bis zum
Horizont. Seht auf die toten Stämme und Hölzer, die die kahlen
Höhen des Erzgebirges bedecken, auf den geschändeten, weil seines
herrlichen Tannenbartes beraubten Brocken!
Herr Grass vor seinen Bildern
Ein Kriegsmahnmal ist
es, wie jenes von Verdun – und ebenso von Menschenhand geschaffen.
Nur daß ihr diesen Krieg hier nicht gegen euresgleichen führt,
sondern gegen Eure Urmutter, gegen die Natur, die euch nährt. Ihr
dussligen Rangen! Ihr mögt eine Schlacht gewinnen. Den Krieg, den
ihr IHR erklärt habt, gewinnt SIE – todsicher. Das ist die
Botschaft, die wir aus Herrn Grassens Bildern herauslesen. Sie hallt uns
entgegen aus den Texten, mit denen die Ausstellung eingerahmt wurde.
Herr Grass
Und diese Botschaft gilt auch Euch, Profiteure, Wirtschaftsbarone, Naturschänder!
Denn vielleicht werdet ihr von den erbeuteten Ressourcen etwas länger
leben können, als die Masse der Menschen. Aber es wird ein einsames,
freudloses Dasein. Niemand mehr da, der bewundernd zu Euch aufblickt,
weil ihr ihm seine Notgroschen aus der Tasche zieht. Niemand mehr, auf
dessen Kosten ihr Euch bereichern könnt, der unter unwürdigsten
Bedingungen die Kohle und die Diamanten aus dem Schoß der Erde,
die Perlen und das Erdöl vom Grund des Meeres holt. Kein Vogel wird
mehr singen, wenn eure letzte Sauerstofflasche alle ist und ihr euren
Atem in der verseuchten Luft verröchelt. Nix mehr Arkadien für
die Erwählten Gottes. Aus der Traum von Elysium und der Schönheit
und der Macht des menschlichen, des aufklärenden, des Goethe’schen
Geistes.
Ist nun der Mahner von der Trave, der Trommler aus Danzig, ein hoffnungsloser
Pessimist? Einer, der alles miesmacht und das Schöne nicht sehen
will, das ihn umgibt. Es am Ende noch jenen neidet, die es wahrzunehmen
vermögen? Hat er kein Auge mehr für Arkadien?
Nein, er kämpft um Arkadien. Nicht mit Illusionen. Sondern mit dem
Herzen und der sowohl zeichnenden wie schreibenden Hand. Seine Bilder
und Texte laden nicht zum selbstgefälligen Träumen ein, sie
fordern auf, sich zu positionieren; Stellung zu beziehen; Farbe zu bekennen;
umzudenken! Sich der immensen Gefahr bewußt zu werden, in die wir
uns alle kollektiv begeben, wenn wir es zulassen, daß unsere demokratischen
Instanzen versagen, unsere gewählten Vertreter zu raffgierigen, von
Eigeninteresse gesteuerten Handlangern der Wirtschaft werden. Wenn wir
mit Scheuklappen versehen nur noch auf die Probleme unseres persönlichen
Alltags achtgeben, statt über den Tellerrand hinauszublicken.
Diese Ausstellung „Diesseits und Jenseits von Arkadien“ ist
nicht nur dem Kunstgenuß gewidmet. Der soll und darf dabei nicht
zu kurz kommen. In erster Linie aber zeigt sie die Brüche zwischen
den Träumen der Menschen und ihrer gelebten Wirklichkeit. Und sie
zeigt einen Weg, wie sich beides wieder vereinen läßt –
wie aus Diskrepanzen Konvergenzen werden können.
Der NDR und Herr Hübner im Interview
mit Herrn Grass
Alles liegt im Willen der Menschen begründet. Apokalyptische Bilder?
Nein, diesen Ausdruck lehnt Herr Grass ab. Apokalypse sei eine göttliche
Endzeitstrafe für die Widersetzlichkeit des Menschen gegen seinen
Schöpfer. Diese Nemesis hingegen sei eindeutig von Menschenhand geschaffen
und beschworen, die Verantwortung dafür liege ausschließlich
in der Hand des Menschen, nicht in der Gottes. Unser Herr Druckepennig
sieht die Dinge etwas theologisch differenzierter – für ihn
bedeutet das menschliche Zerstörungswerk eine direkte Kampfansage
an das göttliche Gebot sich die Natur untertan zu machen. Denn wenn
die dem Menschen geliehene Natur erst zerstört ist, dient sie niemandem
mehr. Im Übrigen sei die Umweltzerstörung dem Treiben eines
unreifen Kindes gleichzusetzen, das das überlassene Spielzeug zunächst
einmal auseinandernimmt, statt sich seiner zu erfreuen, ohne im Mindesten
eine Ahnung davon zu haben, wie es hernach zusammenzusetzen sei. Der Begriff
der Apokalypse als göttliche Quittung sei daher durchaus zu rechtfertigen.
Doch diesen Disput mögen die beiden Herren untereinander ausfechten.
Anläßlich seiner Eröffnungsrede bemerkte Herr Dr. Wißkirchen,
der Direktor der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck, seine Stadt wäre
Weimar gegenüber in einem unschätzbaren Vorteil: „Herr
Grass lebe in der Hansestadt!“ Davon gilt es unbedingt Gebrauch
zu machen!
Die Ausstellung wird im Lauf des Jahres noch in Weimar und in Berlin –
im dortigen Kulturforum der Dresdner Bank am Pariser Platz (Brandenburger
Tor) – gezeigt werden.
Wir vom „Landboten“ empfehlen unserer verehrten Leserschaft
den Besuch, ja legen ihn ans Herz und wünschen den Besuchern einen
nachhaltigen Eindruck und der Ausstellung viel, viel Erfolg.
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