Baaks

zurück zur Stammseite "BÜCHER"

Mazarin,
Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht

Paul Guth
in der Überstzung von Herrn Gerhard Heller

Kardinal Jules Mazarin

Kardinal Jules Mazarin

 

SIC VIVITVR PESSIMIS ISTIS TEMPORIBVS; AD QVAE NOS RESERVAVIT DOMINVS.
(Aus den Aufzeichnungen der Mazarinfeindlichen Arztes Gui Patin – niemand soll sagen, wir ließen nicht auch die Gegner zu Worte kommen…“So lebt man in diesen sehr schlimmen Zeiten, die uns der Herr beschert hat.“ Es bleibt offen, welcher Herr gemeint ist. Anmerkung des Verfassers.)

QVAM FRVSTRA; ET MVRMVRE QVANTO.
(Medaillenprägung des Herrn Kardinals Mazarin anläßlich der Beendigung der 3., der Prinzenfronde. „Wie vergeblich, und mit welchem Getöse!“

K. K. Bajun
Manchmal geht es einem wie Hans im Glück: Man stolpert über einen Goldklumpen, ohne diesen auf den ersten Blick als solchen zu erkennen und erst bei näherem Besehen fängt das Ding zu funkeln und zu leuchten an. So ist es uns geschehen mit dem Buch „Mazarin, Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht“, erschienen im Flammarion-Verlag (Frankreich), im Societäts-Verlag (Deutschland) und als Taschenbuch im Münchener Heyne Verlag.
Der Name des Werkes führt uns ohne Umschweife zum Thema. Wir begegnen einer meisterhaften Biographie des französischen Premierministers zur Zeit Ludwigs XIV., Kardinal Jules Mazarin.
Dieser Diplomat aus der Blütezeit des Barock war eine an sich schon über alle Maßen faszinierende Persönlichkeit. Auf Herrn Guth jedoch muß er einen ganz besonderen Eindruck gemacht haben. Anders ist das begeisternde Feuer, sind die stiebenden Funken, die ständig schwelende Glut nicht zu erklären, die aus jeder einzelnen Zeile dieses 750 Seiten starken literarischen Vulkans herausleuchten.
Eine enorme Recherche, die von ausgeprägtester Sachkenntnis zeugt, und ein umfassendes Verständnis von politischen und diplomatischen Vorgängen verleihen dem Werk die Authentizität, die ein kritischer Geist bei all dem Überschwang schon mal in Frage stellen möchte. Denn über weite Strecken hinweg wird dem Kardinal-Minister und genialen Successor Kardinal Richelieus ein Loblied gesungen, welches mitunter ein wenig unreflektiert anmutet. Man fragt sich, ob denn die Person Jules Mazarin so gar keine Schattenseiten an sich hatte, keine menschlichen Fehler, wenn man von seinem etwas getrübten Verhältnis zu den privaten und öffentlichen Finanzen absieht; ob gar ein Engel Gottes den knallharten Posten des Ersten Ministers Frankreichs und damit des eigentlichen Staatslenkers ausfüllen konnte. Denn die Macht fragt nichts nach sentimentalen Erwägungen – sie geht über Leichen – und zwar ausnahmslos. Daher ist man nicht so ohne weiteres willens, Herrn Guth pauschal abzukaufen, daß der von ihm Besungene seinen Einfluß auf die von ihm Gelenkten allein aus seinen Fähigkeiten als Grand Hypnotiseur bezog.
Doch scheint uns das der einzige Wermutstropfen in dem ansonsten absolut süffigen Wein dieses Buches zu sein, das einherkommt wie ein schwerer und dennoch feuriger Spätburgunder – ein echter Franzose eben.
Geschrieben beinahe wie ein Roman versteht es mit seinem lockeren Stil zu fesseln, ja süchtig zu machen auf die folgenden Seiten, ohne auch nur ein einziges Mal ins Oberflächliche abzugleiten.
Das ist um so erstaunlicher, als die europäischen Verhältnisse zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges in einem Masse verworren waren, daß selbst in Familientratsch und –klatsch erfahrene Damen dieses Knäuel kaum zu ordnen wüßten. Für das Verständnis der Person Kardinal Mazarins hingegen, für seinen Aktionismus und seine ungeheure Wirkung sind diese Kenntnisse jedoch unerläßlich. Beinahe spielerisch nimmt uns Herr Guth mit auf die Reise in dieses Labyrinth und befreit uns mit seinem zwanglosen Plauderton vor den Befürchtungen, vor der Zeit die Waffen strecken zu müssen. Wenn er die Affairen des französischen und internationalen Hochadels, des Vatikans, der Heerführer beleuchtet, so meint man einem gut konzipierten Fernsehbeitrag zuzuschauen. So entspannend kann Lesen sein. Man liest, versteht, begreift. Bilder entstehen und haften fest. Am Ende einer jeden Seite fühlt man sich um einiges bereichert. Und immer wieder ist da der Drang weiter zu lesen, weiter, weiter… Wir halten ein Buch in den Händen, das uns mehr Spannung beschert, als es ein Fließbandroman Stephen Kings je vermöchte.
Zu seinem Inhalt sei nur das Folgende in aller Kürze angerissen.
Giulio Mazarini am Anfang des Siebzehnten Jahrhunderts in Sizilien als Sohn armer, aber sehr ehrgeiziger und bildungshungriger Leute geboren, beginnt seine Ausbildung an einem von Jesuiten geführten, römischen Elitecollege. Dort schon begegnen wir einem jungen Mann von außergewöhnlichen Talenten und Fähigkeiten mit einer ausgeprägten Liebe zum Theater.
In Goleman’s Zeitalter könnte man davon sprechen, daß dieser Wunderknabe, der sich später als der Mozart der Diplomatie profilieren sollte, nicht nur über einen weit überdurchschnittlichen IQ, sondern, was uns heute bedeutender erscheinen mag – über einen enormen Emotionalen Quotienten verfügt. Seine Empathie ist nahezu ungeheuerlich. Dieser Mann versteht es die Herzen seiner Gegenüber aufzuschließen und dabei jedes Gefühl im Keim zu ersticken, er täte dies aus Berechnung. Offenbar gelingt es ihm aus dem Handgelenk, dieselbe Wahrhaftigkeit auszustrahlen, wie drei Jahrhunderten später seinem begnadeten Biographen, dem Herren Guth.
Man beginnt auf den hoffnungsvollen und vielversprechenden jungen Mann aufmerksam zu werden und setzt genug Vertrauen in diesen Ausbund von Energie und Tatkraft, um ihm schon in jungen Jahren heikelste diplomatische Missionen anzuvertrauen, in deren Verlauf Mazarin nicht nur großes Geschick beweist, sondern vor allem eines klarstellt:
Er ist keine devote Marionette seiner Dienstherren, kein willenloser Zwischenbefehlsträger, sondern ein Mann mit eigenständigen Gedanken, der regelmäßig weitaus mehr aus der Situation macht, als man von seiner Mission erwartet.
Auf dem aalglatten und vergifteten, von purer Heuchelei verseuchten Parkett der europäischen Politik, diesem menschlichen Schwingmoor, bewegt sich das junge Talent mit schlafwandlerischer Sicherheit – federleicht und mit einem ewig währenden Lächeln auf dem Gesicht. Und es ist ein echtes – kein chinesisches Lächeln.
In einer Zeit, in der ein Stammbaum mehr zählte, als Fähigkeiten und Talent, in der Vorurteile gegen andere Nationalitäten ein unüberwindliches Hindernis auf einem Karriereweg darstellen konnten, machte dieser wendige und agile Sizilianer aus Hemmnissen Treibstoff. Niemand verkörperte seit Hermann von Salza den Typus des ehrlichen Maklers so sehr wie Mazarin, der trotzdem Augen und Ohren offen hielt und mit geschultem Geist und wachem Verstand die Dynamik seines Zeitgeschehens präzise erfaßte.
Natürlich kommt man nicht umhin zuzugestehen, daß über dem Manne Zeit seines Lebens ein besonderer Glücksstern leuchtete. Ohne ein gerüttelt Maß Fortune kann selbst der Schlaueste, der Windigste, der Durchtriebenste, der Kaltblütigste nicht bestehen. Dennoch – es ist schon fürwahr eine hohe Kunst, mit beinahe untrüglichem Sinn die Bedeutung des Augenblickes zu erfassen und dementsprechend selbst noch eine ungünstige Konstellation der Verhältnisse in den Dienst der eigenen Interessen zu stellen. Eben diese Kunst und diese Fortune, gepaart mit unermüdlichem Ehrgeiz und einer kaum zu bremsenden Zielstrebigkeit vereinigten sich auf das Glücklichste in dem späteren Kardinal.
Selbstredend hat ein Mann wie Mazarin nicht nur Freunde und Bewunderer. Wo mit der Macht hantiert wird, geht es immer in erster Linie darum, die Interessen der einen zu Ungunsten der anderen zu stärken, oder im umgekehrten Falle zu beschneiden. Kein vernünftiger Mensch wird Dank von denen erwarten wollen, denen er dabei auf die Füße tritt.
Anderen, wie zum Beispiel einigen Vorgesetzten bis hin zu Ihrer amtierenden Heiligkeit, war der junge Hitzkopf suspekt. Ja, ja – auch außergewöhnliches Engagement kann Anstoß erregen, zumal, wenn man hinter diesem ambitionierten Verhalten einen eigenständigen Willen und Griff nach der Macht vermuten darf. Oder aber das Licht dieses aufgehenden Sternes beginnt, lange Schatten auf die eigene Mittelmäßigkeit zu werfen, so daß am Ende für jedermann deutlich erkennbar wird, daß man die eigene Position mehr einem vererbten Vorteil schuldet, denn eigenem Können und Vermögen.
So fehlt es nicht an Versuchen, den kometenhaften Aufstieg des Giulio Mazarini abzubremsen, ihm zu schaden, seine Bemühungen zu hintertreiben, ihn festzueisen, zu isolieren, gesellschaftlich zu demontieren.
Seine fürchterlichste Gegnerin wich ihm lebenslang nicht von der Seite: die Mikrobe der menschlichen Dummheit. Sie hatte in Mazarin ihren Antipoden gefunden, ihre Fleisch gewordene Antithese. Das beschwört geradezu ihren Zorn, und den ihrer zahllosen Anhänger. Unter diesen Bedingungen sich, seiner Lebensauffassung und seinen Zielen treu zu bleiben, muß wohl ein wahrhaft sizilianisch-sonniges Gemüt zur Vorraussetzung haben. Ein unerschütterlicher Glaube daran, daß Gott mit den Tüchtigen, Frommen, Ausersehenen ist.
Wenn es auch noch so oft auf des Messers Schneide für den Mann Mazarin stand: Dem Shakespeare’schen Luftgeist Ariel gleich entschwebte er jedem Hexenkessel, in den man ihn zu stoßen trachtete.
Und wer immer ihm ans Fell wollte, mußte hinterher erstaunt feststellen, daß Mazarin gestärkt aus den Angriffen auf seine Person hervorging. Wie der Vogel Phönix, so erhob er sich immer und immer wieder. Und jedesmal an wertvollen Erfahrungen reicher, die ihn noch mächtiger, noch unangreifbarer machen sollten. Dieses Phänomen muß seinen Zeitgenossen so unheimlich vorgekommen sein, daß sie sich nicht anders zu helfen wußten, als ihm mit billigem Chauvinismus zu begegnen. Der Ausländer, der Italiener, der Nicht-Franzose wurde zur Zielscheibe ihres wütenden Spottes.
Aber es half ihnen nichts – die Zügel hielt er in der Hand. Da war kein ’rankommen.
Natürlich war auch dem congenialen Apologeten und Biographen des umstrittenen Kardinalministers, Herrn Guth, nicht entgangen, daß Mazarin als Sohn nicht eben begüterter Italiener, angekommen auf dem Gipfel der Macht ungeheure Reichtümer anhäufte, des öfteren zwischen dem „Mein“ und „Dein“, also zwischen den Vermögen des Königs, dem des Staates und seinem Privatbesitz sehr verschwommene Grenzen zeichnete. Diese Grenzen wirkten sich nur höchst selten nachteilig auf sein privates Vermögen aus, so daß aus Herrn Mazarin im Laufe seiner Amtszeit ein enorm reicher Mann wurde. Er, der die Seelen der Mitmenschen so gut berechnen konnte, hatte jedoch nicht die Seele eines Kaufmanns. Wohl wußte er, wo etwas zu holen war. Aber das Gewonnene halten, sichern, in übersichtliche Bahnen lenken und vermehren – das war seine Sache nicht! Ganz im Gegenteil: Er brachte den zweifelhaften Spagat zuwege, sowohl sich wie auch das von ihm beherrschte Frankreich trotz horrender Einnahmen und Potentiale ständig am Rand des Ruins zu halten. Die Frondeure der ersten beiden Aufstände sagten ihm auf ihre Weise Dank dafür. Erst Leute wie Colbert und Fouquet halfen ihm aus der Misere seiner liederlichen Wirtschaft, indem sie seine Verhältnisse ordneten.
Die Erwähnung dieser beiden Männer konfrontiert uns mit einer weiteren Schattenseite des überragenden Staatsmannes. Die oftmals ungerechte Behandlung der Leute, die ihm durch schwierigste Zeiten unter Einsatz der eigenen Existenz hindurch halfen. Wie oft mußten sie mit ansehen, wie er exorbitante Summen in die Rachen von Aufständischen schaufelte, während sie noch mit Repressalien zu rechnen hatten, nur weil sie etwa seinem Weg der persönlichen Bereicherung ungehemmt zu folgen trachteten, (wie wir am Beispiel Fouquets lehrreich studieren dürfen.) Es spricht für die biographischen Qualitäten des Autors, daß er diese Seiten des Mannes beleuchtet, dem er sich mit so viel Hingebung widmet. Der daraus dem Buch erwachsende Gewinn heißt Authentizität.
Nun müssen wir zusehen, daß wir im nicht Überschwang der Begeisterung statt einer einfachen Buchbesprechungen der Reihe der Elogen eine weitere, höchst überflüssige hinzufügen. Unser Anliegen bestand ja eigentlich ursächlich darin, auf ein exzellent geschriebenes Werk aufmerksam zu machen, welches das Leben eines hervorragenden Menschen zum Gegenstand hat. Wir wollten den Gedanken anregen, daß es uns sinnvoller erscheint, die Zeit in der Gesellschaft eines solchen Buches zu verbringen, anstatt sie vor der Blödelröhre zu vertun.
Denn ein gutes Buch zeichnet sich dadurch aus, daß man nachhaltig von seinem Inhalt profitiert, dieser im Idealfall lebenslang präsent bleibt. Daß es ein Licht anstecke in der Seele des Lesers. Dieses Attest können wir dem von uns an dieser Stelle gewidmeten Werke ruhigen Gewissens und freudigen Herzens ausstellen.
Leider sind wir der französischen Sprache nicht so mächtig, daß wir das Original lesen und beurteilen könnten und sind somit auf die Übersetzung Herrn Gerhard Hellers angewiesen. Diese allerdings überzeugt uns in hohem Maße. Sprudelnd und spritzig, intelligent und mitreißend – die Lektüre fesselnd bis zur letzten Seite. Da wir nicht annehmen, daß Herr Heller seine Wortkunst so ganz ohne entsprechende Vorlage wie der Zauberer das Kaninchen aus dem Hut gezogen hat, mutmaßen wir einen französischen Autor, dessen biographische Beschreibung eines großen Staatsmannes seines Vaterlandes die abgetretenen Wege dieses Genres zum Vorteil für die Leserschaft verließ.
723 Seiten verdoppeln, ja verdreifachen sich, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Wenn man das Buch als Lehrbuch begreift, das den Blick für sehr vielschichtige Informationen eröffnet. Ob es sich um Kunde des Menschen als politisches Wesen handelt; um das Aufzeigen der Wege der Diplomatie und des politischen Kampfes hinter den Kulissen, die dem Normalsterblichen meist verschlossen bleiben; ob es sich um die vielen Faktoren handelt, die ein Regent überblicken und beherrschen muß, um seinen Staat sicher und gut zu führen – das alles wird beinahe unmerklich von der Biographie der faszinierenden Persönlichkeit des Kardinal und Premierministers Mazarin begleitet. Diese jedoch kommt keineswegs zu kurz und ist von einer bestechenden Treue zum Detail. Man hat zwar an einigen Stellen des Buches mit erheblichen „Zeitsprüngen“ zu kämpfen, die Herr Guth in seine Darstellung einflicht. Diese aber sind keineswegs unberechtigt oder einer etwaig unkonzentrierten Arbeitsweise des Autors geschuldet. Vielmehr beleuchten diese literarischen Kunstgriffe Situationen aus einem Winkel späterer oder auch früherer Jahre, so daß die Ereignisse für den Beobachter als zusammenhängend, sich aufeinander beziehend und zueinander im Kontext stehend begriffen werden.
Gratulation den Einkäufern der obengenannten Verlagshäuser, die diesen Stoff für sich vereinnahmen konnten. Bedauerlich ist einzig, daß das Werk momentan vergriffen und nur antiquarisch erhältlich ist. Wir jedenfalls würden es sehr begrüßen, wenn es denn erneut erschiene und ein paar Konsaliks oder Simmels aus den Regalen der Buchhändler verdrängen würde.

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004