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Siegfried
Jacobsohn – ein Leben für die Weltbühne
eine Berliner Biographie
von Frau Dr. St. Oswalt
K. K. Bajun
"Eine Insel! Da ist eine Insel!“
So, oder so ähnlich erscholl der Ruf in der Augsburger Puppenkiste.
Die Insel, die ich vor kurzem auf dem berliner Bahnhof Friedrichstraße
ansteuerte, bestand aus einem Buch. Teils knallroter Umschlag. Mit schwarzen
Buchstaben. Unverkennbar das Erscheinungsbild der „Weltbühne“.
Und ein Photo von Siegfried Jacobsohn auf dem Titel. Oben polterte der
Zug ein. „Dieses hier! Danke, stimmt so!“ Jetzt aber man los!
„Auf Gleis vier ist eingefahren der Zug von Cottbus nach…“
Und ich habe eine Biographie von Herrn Jacobsohn in der Hand, sitze in
meinem Abteil und öffne das Buch wie eine Weihnachtsbescherung.
Geschrieben hat es eine junge Dame, die sich unter Zuhilfenahme des Themas
akademisch profilierte: Ihr Buch basiert auf ihrer Doktorarbeit. Das sollte
man beachten, wenn man sich der Lektüre widmet. Denn ein erklecklicher
Teil des Werkes besteht aus sehr präzisen Quellenangaben und Erläuterungen.
Es ist halt kein biographischer Roman.
Diese kleingedruckten Seiten jedoch halte ich für keineswegs verfehlt.
Sie würzen das Geschriebene, geben Anregungen – „ah,
sieh mal an, daher…, da könnte man ja auch mal schauen!“,
vermitteln Hintergründe, machen neugierig und setzen in Erstaunen.
Blankes Erstaunen vor dem enormen Fleiß der Dame und der Findigkeit
beim Erschließen der Quellen.
Vor allem aber erhebt diese gründliche Arbeitsweise Anspruch auf
Autorität. Wenn ein Mensch so in der Materie steckt, wer außer
wenigen Experten vermag da Einwände zu erheben?
Dennoch, es ist und bleibt eine Biographie. Eine sachliche in erster Hinsicht,
aber dennoch nicht frei von Mitgefühl und tiefer innerer Anteilnahme.
Warum mache ich soviel Aufhebens von der Charakterisierung? Nun, es wurde
geäußert, der Schreibstil komme mitunter etwas hölzern
und trocken einher. Lasse gar die Atmosphäre der „roaring twenties“
vermissen, die ja absolut prägend für die spätere Weltbühne
und die von ihr thematisierten Bereiche Kunst, Kultur und Politik waren.
Diese permanent gewitterschwangere Luft des damaligen Berlins, wie sie
uns noch jetzt unter anderem aus den schriftlichen Hinterlassenschaften
der drei Väter der Weltbühne entgegenblitzt, sie gehe in der
Abhandlung unter.
Doch deswegen gleich hölzern? Nein! Nein, nein, nein! Das lehne ich
ab. Daher mein Verweis auf den eigentlichen Ursprung dieses Buches. Die
zugrundeliegende Arbeit hatte hohen wissenschaftlichen Ansprüchen
zu genügen. Das schließt sicherlich nicht aus, daß das
Produkt einer solchen Geistesleistung nicht auch saft-und kraftvoll einherkommen
darf. Doch sind solche Arabesken in diesem Falle von untergeordneter Priorität.
Und im übrigen merkt man der Ausdrucksweise der Autorin sehr wohl
an, daß sie tief, tief und mit Herzblut in der Materie steckt.
Dennoch, der Einwand ließ mich nachdenken. Ich glaube, es ist die
zeitliche Entfernung zu dieser wilden und ungebändigten Epoche voller
Widersprüche, die im Vorkriegs-Berlin der Belle Epoque und im Nachkriegs-Berlin
der Wilden Zwanziger herrschte. Diese „Kleiner-Mann-was-nun?“
– Ära. Diese Mixtur aus Raubtierkapitalismus, ständiger
Existenznot und daraus resultierender übertriebener und manchmal
nur demonstrativer Lebensfreude. All das, was uns fremd geworden ist in
der Zeit der fetten, trägen und konfliktscheuen Siebziger, Achtziger
und Neunziger. All das, was sich nun wieder beginnt, am Horizont abzuzeichnen.
Frau Oswalt ließ eine gewisse Scheu durchblicken, sich dieser Atmosphäre
ungeteilt hinzugeben, sie blieb in Stil und Ausdruck nach meinem Dafürhalten
etwas zu sehr auf Distanz.
Daß ihr das ebenfalls bewußt ist, schließe ich aus ihrer
Anmerkung, daß die Biographie Herrn Jacobsohns so nur in dieser
Zeit, in diesem Berlin denkbar war. Daher auch der entsprechende Untertitel
des Werkes: „eine Berliner Biographie“.
Möglicherweise hat das Buch, das Frau Dr.Oswalt vorlegte, für
uns „Landboten“ eine besondere Bedeutung, die weit über
das allgemeine Interesse hinausreichen dürfte. Fassen wir doch die
Schau-, nachmalige Weltbühne als das Produkt deutschen Geisteslebens
auf, das auch wir zu beerben trachten.
So gesehen erfüllt uns das Betreten dieses nur sehr spärlich
erkundeten Bereiches deutschen Geisteslebens mit großer Neugier
Genugtuung.
Wir danken Frau Dr.Oswalt für ihre fundierte und erkenntnisreiche
Arbeit und anempfehlen dieses Buch mit Freuden allen, die sich den großen,
kritischen und linksliberalen Köpfen Berlins in der ersten Hälfte
des letzten Jahrhunderts verbunden fühlen.
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