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Das „Parce mihi, Domine…“
des Christobal de Morales
Gedanken zum Karfreitag
S. M. Druckepennig
PARCE
MIHI, DOMINE, NIHIL ENIM SVNT DIES MEI
QVID EST HOMO, QVIA MAGNIFICAS EVM?
AVT QVID APPONIS ERGA EVM COR TVVM?
VISITAS EVM IN DILVLCVLO ET SVBITO PROBAS ILLVM.
VSQVEQVO NON PARCIS MIHI, NEC DIMITTIS ME,
VT GLVTIAM SALIVAM MEAM?
PECCAVI,
QVID FACIEM TIBI, O CVSTOS HOMINVM?
QVARE POSVISTI ME CONTRARIVM TIBI,
ET FACTVS SVM MIHIMETIPSI GRAVIS?
CVR NON TOLLIS PECCATVM MEVM,
ET QVARE NON AVFERS INIQVITATEM MEAM?
ECCE, NVNC IN PVLVERE DORMIAN,
ET SI MANE ME QVASIERIS,
NON SVBSISTAM.
[LIBER IOB 7. 16-21]
Zu Beginn des Barock,
als in Deutschland der Wahnsinn wütet und der Tod reiche Ernte hält,
ja, als der Tod der Menschen ständiger Begleiter wird, gleichsam
ihr ganzes Denken prägt und sie versuchen läßt, ihm mit
ausufernder Pracht in Architektur, Malerei und Kleidung trotzig Lebenslust
entgegenzusetzen, in dieser Zeit schreibt der päpstliche Musiker
und Kompositeur Cristobal de Morales das „Parce mihi…“.
Ich bin nicht der Mann, dem es gegeben wäre, sich über die musikalische
Qualität des polyphonen Werkes zu äußern. Ja, ich kann
nicht einmal sagen, ob der Ausdruck der Polyphonie an dieser Stelle gerechtfertigt
wäre. Aus völliger Unkenntnis der Notenwelt heraus, wage ich
dennoch zu behaupten, daß Herr Morales den die tiefsten Kammern
des Herzens berührenden Klang getroffen hat. Doch das soll an dieser
Stelle nicht der hauptsächliche Teil meiner Betrachtungen sein.
Es sind die Worte selbst, die Herr Morales zur Grundlage seines Schaffens
wählte. Jeder Liturgiker der römischen Kirche wird mir, einem
armen Juden, sicherlich alsbald erklären, daß dieser Text in
Form und Weise einen genauso festgelegten Stellenwert im Kanon der katholischen
Gebete besitzt, wie das „Pater Noster“, das „Ave Maria“
oder das „De profundis clamo“.
Doch dieses hier hat etwas Besonderes. Sicher, es ist nicht von dem Adel
wie das „Pater Noster“, das der Rabbi persönlich den
Menschen auf den Weg gab. Es ist nicht in aller katholischen Munde wie
das „Ave Maria“, das seit einiger Zeit von allen möglichen
Startenören und solchen, die dafür gehalten werden, schmalzig
über die Köpfe ihrer tränenfeuchten Auditorien gehaucht
werden.
Es ist das Gebet der letzten Stunde, die ein Mensch auf dieser Welt verbringen
darf. Und es ist, obgleich gezeichnet von tiefster Demut doch ein ergreifendes
Plädoyer. Das Plädoyer eines Menschen, der sich anschickt, vor
seinen Schöpfer zu treten in all seiner Erbärmlichkeit und Nacktheit.
So klar, so einfach sind die Worte gewählt – sie würden
einen Epikuräer nachdenklich stimmen. Diese Worte haben etwas von
der gleichen Wucht, wie die Toccata und Fuga BWV 565 des Meisters, wie
Andersons Streichholzmädchen. Das hier erzwingt sich den Weg in die
Seele, und läßt sie trotz aller bewußt gefühlten
Ohnmacht und Erbärmlichkeit stolz vor ihren Schöpfer treten
- denn hier spricht die Kraft, die der tiefsten Demut - nicht Unterwürfigkeit
- innewohnt.
Den Abschied vom Leben vor Augen, fürchtet der Mensch, der diese
Worte spricht, nicht so sehr das Loslassen, das Nicht-mehr-sein. Hier
geht es ihm darum, wie er wohl vom Vater aller Dinge aufgenommen werde.
Hilfesuchend wendet sich der Betende an Gottsohn, an den Rabbi, der ja
der katholischen Lehre zufolge eines sein soll mit seinem himmlischen
Vater, dem Ewigen Vater Israels. „Cur non tollis peccatum meum…“
Wenn Du nicht meine Sünde trägst…“ …wer dann?,
ist man unwillkürlich versucht, die Frage fortzuführen.
Sicher, uns Juden war dieser magische Zahlenzauber – aus Drei mach
Eins – schon immer ein wenig suspekt. Ein merkwürdiges Konstrukt.
Aber sei’s drum! Unsere kabbalistischen Zahlen- und Buchstabengeflechte
sind ja auch nicht so ganz ohne. Und wir meinten immer, ohne einen Gottessohn
auskommen zu können. Unsereins brauchte keinen Chefsekretär,
um mit dem Schöpfer ins Gespräch zu kommen. Ein Meschiach –
ja, den hätten wir wohl brauchen können – in all den Jahrhunderten
des unsagbaren Elends. Aber der hätte hier anpacken müssen und
nicht sagen sollen: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Ja, von welcher
denn sonst? Hier dulden und auf ein vages, unbestimmtes Dort hoffen, öffnet
nur den Parasiten und Verbrechern, Ausbeutern und Schindern dieser Welt
Tür und Tor.
Dennoch, dieses Gebet eines Christen, das uns die tiefsten Abgründe
der von Angst gepeinigten, aber auch von Zuversicht gestärkten christlichen
Seele eröffnet, ist es wert, in einen religionsübergreifenden
Kanon aufgenommen zu werden. Es birgt philosophische Dimensionen in seinem
Innern, über die es für einen Menschen des Geistes jeden Tag,
den sein Gott werden läßt, nachzudenken lohnt. Zeile für
Zeile. Und zum Abschluß einer jeden Reflexion sollte man zurückkehren
zur Anfangszeile: „denn nichts sind meine Tage! Was ist der Mensch
– was seine (selbstbehauptete) Herrlichkeit?“
Nichts ist sie, wenn er nicht jeden Tag, jede Stunde um sie ringt –
bis zur letzten, in der es ihm vergönnt sein möge, diese Worte
zu sprechen. Die Worte, die Herr Morales so herzergreifend mit Noten umrahmte:
„Parce mihi, Domine!“
Amen
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