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Der Jesus-Film von Mel Gibson

J.-F. S. Lemarcou
Da kommen sie aus den Kinos geströmt, die Gesichter ernst und verbissen, manche heulend oder sich verlegen schneuzend. Einer in Texas hat sich sogar nach dem Mord an seiner Freundin den Behörden gestellt – voller Reue – der Film hat ihn bekehrt.
Die Kinogänger wollten es sehen und sie haben es gesehen. Was denn nun noch?
Natürlich sind die Menschen aus den verschiedensten Motiven ins Kino gegangen. Die einen der Unterhaltung wegen, die nächsten aus religiösen Erwägungen, die dritten, weil viel Blut versprochen wurde, und das mal was anderes zu werden verhieß, als das ewige Texas – Kettensägen – Massaker. Wen nämlich dessen Stumpfsinn nicht irgendwann einmal abstößt, dessen Geist dürfte verloren sein auf ewig.
Im Gegensatz zu den Kindern Adams und Evas, denen der Rabbi Joshua, (wie ihn mein Kollege Herr Druckepennig zu nennen pflegt, ) die Erlösung von der Erbsünde verheißen hat. Landauf, landab hat er den Menschen einen vernünftigen und gottgefälligen Umgang mit ihresgleichen gepredigt. Hat ihnen moralische Richtlinien gegeben, die sich jedoch seit Uhrzeiten verkauften, wie fauler Fisch auf dem Markt. Jesus von Nazareth, der Tischler, hat eine Utopie gepredigt, die allerdings machbar zu sein schien, wenn – ja wenn sich nur alle daran halten wollten.
Es hätte eine friedlichere Welt sein sollen, die sich der Schwarmgeist aus Galiläa vorstellte. Sie konnte nicht funktionieren. Aber das wußte damals noch keiner so genau. Konrad Lorenz hatte sein Buch „Das sogenannte Böse“ und Desmond Morris sein Werk „Der Nackte Affe“ noch nicht geschrieben, wo man das verbindlich hätte nachlesen können.
Den römischen Herren des Landstrichs am Ostrand des Mare Nostrum war die ganze aufrührerische Sektiererei sowieso ein Dorn im Auge. Und dem Hohepriestertum am Tempel zu Jeruschaloyim (Jerusalem) schon lange. Da traf es sich gut, daß man ob übereinstimmender Beurteilung des Falles schnell Interessenkonvergenz herstellen konnte. Ganz am Rand zeigte es sich, daß Schwerkriminelle allezeit milder beurteilt wurden als politische Verbrecher – und so beeilte man sich um die Tage des Pessachfestes zu Beginn des vierten nachchristlichen Jahrzehntes den armen Tischler an ein Holzkreuz zu nageln, nachdem man ihm vorher soviele Schmerzen zugefügt hatte – mit Peitsche und Dornenkrone – daß sich diese Tortur jeder Beschreibung entzieht.
Nun ja, man verfuhr in diesen Zeiten sehr häufig auf diese Weise mit Kriminellen aller Couleur. Sehr mitfühlend und zimperlich war man wohl nicht. Und daß gerade mit dem Tod dieses Mannes Joshua eine Weltreligion geboren werden sollte – wer hätte das ahnen können?
Aber all diese Geschichten dürften in den Breiten des „christlichen“ Abendlandes hinlänglich bekannt sein.
Was uns interessiert, ist die Wirkung, die der Film auf das Publikum hat. Der Film, der sich mit den letzten zwölf Stunden des armen, rebellischen und doch sanftmütigen Rebben befaßt.
Denn diese Reaktionen markieren eine Scheidelinie. Hier zeigt sich wie nirgendwo sonst, wie bigott und verheuchelt das Verhältnis selbst eingeschworener Christen zu diesem Manne ist, der einer späteren Interpretation seitens der Evangelisten den Opfertod am Kreuz erlitten hat, um die sündige Welt zu erlösen. Herr Druckepennig ist immer sehr erbost, wenn die Rede auf dieses Opfer kommt. Nie und nimmer hätte ein Vater ein solches Opfer verlangt – und schon gar nicht der Allmächtige Vater Israels. Wäre er doch selbst Abraham in die Arme gefallen, als dieser sich anschickte, Isaak zu erdolchen. Natürlich kann das auch Abrahams persönliche Einschätzung gewesen sein – der „Landbote“ war leider nicht zugegen aber die scheelen Blicke Herrn Druckepennigs lassen es geraten erscheinen, zum Thema zurückzukehren.
Wenn es denn also wahr ist, daß das Mysterium des Christentums im Leiden am Kreuze verborgen liegt – dann seht da hin, ihr Narren! Schaut Euch das genau an, wie das ist, wenn einem Nägel durch Arme und Füße getrieben werden! Wie man dann da oben hängt in glühender Sonne und elend verreckt! Ihr habt einen schwachen Magen? Das könnt ihr nicht ertragen? ER mußte es doch auch – und zwar an seinem eigenen geschundenen Leibe! Dann reißt euch verdammt noch mal eure Schmuckkruzifixe von den Hälsen, verfluchte Heuchler! Denn diese Kruzifixe versinnbildlichen diesen grausamen Tod um euretwillen! Nichts anderes! Das tun sie seit der Antike. Über jedem Altar in jeder Kirche ist dieser Mel – Gibson – Film seit dem frühesten Mittelalter gespielt worden – bei jeder Messe, bei jedem Mysterienspiel. Hornochsen! Ich sollt davon nicht unterhalten werden. Das ist kein Spektakel! Das ist das Leiden und der Tod eines Träumers, der gestorben ist, weil er hoffte, er könne mit seinem Tode allen anderen zum Leben verhelfen. Selbst denen, die ihn so barbarisch quälten. Der Rabbi Joshua hat alles gegeben, was er hatte – sein Leben und die unermeßliche Pein.
Damit das Leiden um ihn herum in der Welt seines himmlischen Vaters ein Ende nähme, hat er gelitten. Darum geht es in diesem Film. Darum und nur darum.
Kann es sein, daß ein alter Parkinson-geschüttelter Mann auf dem Stuhle Petri zu Rom der Einzige ist, der das begriffen hat?
Es gibt keinen romantischen Jesus, meine schwärmerischen Damen aus der Jungen Gemeinde! Es gibt nur einen armen Juden, der an etwas geglaubt hat und sich für diesen Glauben hat zu Tode schinden lassen. Seht hin, wie er verreckt! Stück um Stück! Und mit ihm alle, die gleich wie er von ihren Mitmenschen auf viehische Weise zu Tode gebracht wurden.
Wenn euch das nicht behagt, ihr lauwarmen Kerzenschwenker und gemütlich-beisammen-Sitzer, ihr Friedensliedträllerer und Bibelausleger, dann nennt euch nach wem ihr immer wollt – nur nicht nach diesem Einen. Denn dieser hat die Lauen ausgespieen. Und zwar mit Recht! Denn er konnte die Gladiatoren, die ihn stäubten, seine Volksgenossen, die da brüllten „Krucifige!“ nicht einfach wegsingen, wegbeten oder gar wegzappen. Nein, konnte er nicht.
Er mußte stille halten, bis sie das Kreuz aufrichteten und er nach stundenlangen, fürchterlichen Torturen seinen Geist endlich in die Hände seines Ewigen Vaters legen, der ihm all das nach christlicher Lesart zugemutet hat. Und für was? - Zähle einer diejenigen, die nach ihm unter ihren Kreuzen zusammengebrochen sind und in ihrer endlosen Not verzweifelt schrieen: „Eli, Eli, lama asaphtani?“ - läßt Herr Heym den Ewigen Juden Ahasver sprechen. Ja, zähle einer! Aber das konnte er nicht wissen, der jetzt zur Rechten seines Vaters sitzt und des Jüngsten Gerichtes harrt, an dem er Richter sein wird. Trotzdem hat er diesen schrecklichen Kelch geleert, mit aller Konsequenz, bis zum bitteren Ende. Und das Einzige was sein Gott für ihn tat, war, daß er ihn nicht der Vergessenheit anheimfallen ließ für die nächsten zwei Jahrtausende.
Einige vom Volke meines verehrten Herrn Kollegen Druckepennig monieren nun, der Film würde das Volk der Juden als Mördervolk diffamieren. Das ist nur bedingt richtig.
Natürlich will niemand als Bösewicht angeprangert werden. Und die Juden schon gar nicht für eine Sache, für die sie nun schon seit zweitausend Jahren mit nicht zu überbietender Brutalität kollektiv verfolgt werden. Sie haben einen aus ihrer Mitte verstoßen – umgebracht haben ihn die Römer. Daß das erst einmal klar ist.
Daß sich die Evangelisten bei den damaligen Machthabern einschleimen wollten und sich nicht entblödeten, das zu Lasten eines Volkes zu tun, das eh schon ziemlich am Boden lag und sich trotzdem ein elitäres Sendungsbewußtsein bewahrte, das ist ein historischer Fakt. Daß es sie beim Abfassen ihrer Demagogien nicht einmal störte, daß sie dabei das Volk ihres Herren besudelten und eine blutige Saat ausbrachten, die dieses Volk an den Rand der physischen Vernichtung führte, das alles ist ein Teil der gigantischen Sünde, die der arme Wanderrabbi mit seinem Opfer eigentlich aus der Welt schaffen wollte.
Was sich also wirklich in jenen Stunden, die der Film beschreibt, abgespielt haben wird, läßt sich unschwer nachvollziehen: Eine Menschenmenge, die nach all der drückenden Last durch die römische Fremdherrschaft und die eigenen Tyrannen nichts sehnlicher herbeiwünscht als einen „Meschiach“, diese Menschenmenge kann mit diesem „Lamm“ nichts anfangen, das zwar von seinem Vater im Himmel spricht, das Schwert Gottes aber nicht ziehen will zu ihrer Befreiung. Durch Annahme des Leidens will er die Welt verbessern – der muß verrückt sein! Den Wechslern hat er im Tempel die Tische umgestürzt – aha!, also auch noch geschäftschädigend. Und jetzt ist es amtlich! Er ist ein Volksverhetzer, ein Rebell gegen die herrschende Ordnung. Und der muß weg. Sein Abgang wird so gestaltet werden, daß er potentiellen Nachahmern zur Abschreckung diene. Nun gut, wenn er der ist, der er zu sein vorgibt, dann wird er sich wohl zu helfen wissen. Ist er’ s aber nicht, kann er sich nicht selbst retten, nu, wird er dann erst uns retten wollen? Er konnte sich nicht retten, wenn wir mal vom frommen Gerede von der Auferstehung absehen wollen.
Halt! Warum wir die Auferstehung als Ammenmärchen abtun? Wo sie doch den Kernpunkt des christlichen Glaubens berührt? Die Überwindung des Todes für Christus und alle, die sich vorbehaltlos zu ihm bekennen? Weil sie nichts anderes ist, als ein überdimensioniertes Pflaster für alle, die sich vor ihrem Tode zu Tode graulen und dabei schier unsinnig werden vor Angst. Die sich nicht damit abfinden können, daß nach dem letzten Atemzug die Lampen ausgehen und zwar für den Rest der Ewigkeit. Weil sie ein Erpresserbriefchen ist: Entweder du ziehst mit, und wie man Christus nachzufolgen hat, das bestimmen wir! Oder aber du gehst deiner Chance auf ein ewiges Leben unrettbar verloren. Rein ins Boot zur Seligkeit oder ersaufen in den Äonen. Aber wenn du anheuerst, dann präge dir gleich ein, wer einzig und allein unter dem Jesusbild auf dem Achterdeck steht – nämlich wir, die Mächtigen, die sich jede Religion zueigen machen – Hauptsache sie nutzt unserem Machterhalt.
Solche Mäzchen, die nicht in Joshuas Sinne waren, sind für unsere Beurteilung des Christus völlig belanglos. Er, der von sich behauptete, sein Reich wäre nicht von dieser Welt, predigte und wirkte sehr irdisch. Er gab eine Richtung vor, die, wenn sie denn global und für alle anwendbar wäre, der Welt unzweifelhaft zu einem schöneren Antlitz verholfen hätte.
Also, die Juden sind nicht ein Jota mehr ein Mördervolk als die Franzosen (Bartholomäusnacht), die Russen (Juden- und Armenierpogrome), die Deutschen (Holocaust), die allerkatholischsten Spanier (Massenmord an den Indios) und so weiter, und so weiter.
Und wenn „Die Kreuzritter“ von Sinkiewicz aufgeführt werden, brüllen die geschichtsbewußten Deutschen auf. Zeigt man einen Streifen, der die Verbrechen der Amerikaner in Vietnam zum Inhalt hat, werden die amerikanischen Veteranen aufjaulen. Fällt das Wort „Nemmersdorf“ fühlen sich die Russen auf den Schlips getreten. Das ist doch alles geschenkt!
Deshalb verfechten wir die Meinung, bei dem Jesus-Film von Mel Gibson soll man auf die Botschaft achten. Und die Botschaft wurde zwar auf dem Berge gebündelt unters Volk gebracht (Bergpredigt). Aber gelebt, gelitten und gestorben wurde sie am Kreuz – und nirgendwo sonst. Nicht bei der Hochzeit zu Kanaa, nicht beim toten Lazarus, nicht bei dem bekehrten Zöllner. Ihre unerreichte Wucht liegt in jenem unerreichten Leiden – und dieses Leiden stets und ständig vor dem inneren Auge zu behalten – das ist die Aufgabe eines Christen. Mit dieser Waffe allein kann er die eigenen Dämonen bekämpfen – alles andere ist Beiwerk!
Und für den Rest der Welt wurde dieser Film nicht geschaffen. Sollen sie ihn ignorieren, solange sie das Maul halten. Dazu sagen wir: Amen

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004