Baaks

zurück zur Stammseite "BÜCHER"

"Angelique"
ein Fernsehfilm
nach einem gleichnamigen Rührstück von Anne Golon


K. K. Bajun
In den ersten Januartagen des Jahres 2004 strahlte das Fernsehen einen Zweiteiler unter dem Titel „Angelique“ aus, dessen Handlung in der Zeit des französischen Rokoko angesetzt war. Durch dieses Sujet neugierig geworden, sahen wir uns den Film an.
Es ist nicht das Anliegen des „Landboten“ derartige mediale Erzeugnisse zu verreißen. Wenn sie nicht konvenieren, so übergehen wir sie im Allgemeinen mit würdevollem Schweigen.
Hier aber ist kein Ignorieren mehr möglich. Die Grenzen des guten Geschmackes wurden überschritten.
Soll das bedeuten, daß das Filmchen den Stoff der „hundertzwanzig Tage von Sodom“ des berüchtigten Marquis de Sade verarbeitet hätte? I wo! Beileibe nicht! Eher das Gegenteil – und noch ein bißchen schlimmer.
Zur Handlung: Ein französisches Fräulein aus ärmsten Verhältnissen läßt von Anfang an ein etwas rebellisches Wesen durchblicken und stellt die wirklich haarsträubenden Verhältnisse der vorrevolutionären französischen Gesellschaft in Frage. Ei, das paßt so gut in den Kontext der Zeit - Frau im Aufbruch! Hinfort mit den lastenden Fesseln des Patriarchats! Alle Macht der Menses! Ein dreifach Hoch auf Donna Cross und Päpstin Johanna!
Sie pißt ihrer zukünftigen Herrschaft in den Park – mitten auf einen Gehweg – nimmt einen für sodomitische Zwecke mißbrauchten gräflichen Hund, der eher einer Trethupe als einem Nachfahren des Wolfes gleicht, auf den Arm – welche Handlung von der Besitzerin des Tieres allsogleich als Diebstahl gedeutet wird und erhält dafür von einem anderen Adeligen postwendend Stockhiebe auf den erotisch entblößten Hintern.
Daß die feine Gesellschaft von bewundernswerter sexueller Freizügigkeit gewesen ist, wird uns ein paar Sequenzen vorher anschaulich demonstriert, wenn besagte, hundebesitzende Gräfin die Töle an ihrer nackten Brust saugen läßt, während der dabeistehende, später den Stock schwingende Adelige das Vieh wortreich um jenes Vorrecht beneidet.
Merkwürdige Methoden, den Zuschauer bei der Stange zu halten. (Verzeihen Sie mir die kleine Doppeldeutigkeit – sie paßt mit ihrem flachen und etwas schalen Humor so wunderbar zum Gegenstand unserer Kritik.)
Nichtsdestotrotz tritt die geprügelte Jungfer zusammen mit ihrer etwas jüngeren und kreuzbraven Schwester kurze Zeit später einen Kammerzofendienst bei der sodomitischen Gräfin an. Das Schloß, das nun zu ihrem Arbeitsplatz geworden ist, erweist sich im Handumdrehen als Brutstätte von Dekadenz und Laster. Hier wird Querbeet gevögelt, was das Zeug hält. Und da die Herren der bessergestellten, aber leider verlebten Damen mittlerweile etwas überdrüssig geworden sind, beginnt man, dem zartbesaiteten jungen Blut in Gestalt der braven Schwester nachzustellen, welche dann auch umgehend in einer wahren Vergewaltigungsorgie von zwei Herren und einer Dame ihrer frommen Jungfernschaft beraubt und dann – wie’s der Codex des entmenschten Adels vorschreibt – weggeworfen wird, wie ein Stück Dreck. Das gebrochene Jungmädchenherz kann sich mit der Schmach nicht engagieren und stürzt von des Turmes hohem Fenster in den flachen Schloßgraben. Damit ist nicht nur ihr Leben sondern auch ihre Rolle im Film beendet, wozu wir ihr von Herzen gratulieren.
Nun, die lüsterne Bosheit der Ausbeuterklasse ist an den Tag gebracht, das Unrecht, das den Unterdrückten angetan wurde, schreit zum Himmel. Die Altkommunisten und die Kampfemanzen unter den ZuschauerInnen werden sich Rotz und Blasen heulend in den Armen liegen, darauf achtend, daß die rechte Faust frei bleibt, die mit proletarischem Gruß dem Klassenfeind, respektive Ewigem Vergewaltiger die Revolution und finstere Rache kündet. Hurra!
Aber gemach! Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Unsere Angelique, so heißt das Trotzköpfchen aus der französischen Provinz, ist mit ihrem Latein noch nicht zu Ende. Sie erkennt, daß all das Übel in der mangelnden Bildung der untersten Schichten gegründet ist. Dieser Geistesblitz überkam sie bei einem nächtlichen Ausflug in die herrschaftliche Bibliothek, in der sie – obzwar des Lesens und Schreibens unkundig – schon mal über einer mittelalterlichen Scharteke entschlummerte.
Zunächst einmal kündigt sie den Herrschaften, um einen harten Dienst als Kellnerin bei einem groben Schankwirt und Betreiber einer Poststation anzutreten. Natürlich wird ihr auch dort wieder permanent der wohlgeformte Hintern begrapscht, sei es von pöbelhaften Gästen, sei es vom verwitweten Wirt, der als sehr unangenehme Erscheinung gezeichnet wird. Hol’s der Teufel – das Mädel hat es aber auch nicht leicht.
Welch ein Glück, daß sich auch ein frommer und gelehrter Pater unter den Gästen findet, der dem nach Bildung dürstenden Mädchen schon mal mit seiner Bibel aushilft, damit diese sich anhand der mosaischen Gebote autodidaktisch das Lesen und Schreiben beibringen kann. Wir sehen am rosigen Horizont den „Bitterfelder Weg“ heraufdämmern – Kumpel greif zur Feder!
Der HERR wird ihm diese Wohltat und christliche Barmherzigkeit ganz irdisch lohnen, wie wir im weiteren Verlauf noch konstatieren.
Ein weiterer Gast steigt auf der Durchreise in der elenden Kaschemme ab, ein feiner Herr von guten Manieren, der sich auch prompt über die schlechte Seife(!) des Gasthofes beklagt.
Des’ Pferd hat zum Glück eine Reifenpanne. Ja, da lachen Sie! Aber beim Thema „Seife“ im Rokoko, da stutzen Sie nicht einmal???
Na gut! Sei’s drum! Angelique also versucht mit Erfolg, bei dem Vertreter der verhaßten Ausbeuterklasse anzubiedern und zeigt sich von allen Schokoladenseiten. Pferde reiten kann sie, lesen und schreiben kann sie und schöne Brüste hat sie auch! Aber das heben wir uns auf bis nach der Hochzeit!
Hochzeit? Na was dachten Sie denn? Willkommen in der Welt der Hedwig Courths-Mahler und Rosamunde Pilcher! Der Reisende ist doch nicht irgendwer. Er entpuppt sich als Herzog von Savigny und führt das resolute Fräulein vom Lande sogleich in seine Kreise ein, nachdem sie ihm den vormals maladen Gaul nach Paris überführt hat. Das hätten Sie mal sehen sollen, wie ihn die kleine Angelique mit langem Radmantel, Dreispitz, Langschäftern und verstellter, tiefer Stimme beim Hufschmied abholte! Die Camouflage war so perfekt, daß der Schmied seine neue Fielmann-Brille ins Schmiedefeuer warf und zu Briefklammern verarbeitete, weil er die kleine Angelique aus der Kaschemme, in der er sich mutmaßlich allabendlich die Birne voll soff, nicht erkannte. Na ja, wir geben zu, das haben wir uns eben ausgedacht. Aber es hätte da reingepaßt. Welch filmischer Kunstgriff!
Nachdem nun unser WC die schwere Kost heruntergespült hatte, die wir uns angesichts dieses Meisterwerkes an Dramatik noch einmal durch den Kopf haben gehen lassen, konnten wir uns dem weiteren Verlauf der rührseligen Handlung zuwenden. Man sah es dem Bildschirm an. Die Reihen der Zuschauer hatten sich gelichtet: die wildwasser-heulenden Feministinnen und die Vorhut der Arbeiterklasse hatten sich längst angewidert von der Protagonistin abgewandt, die als Mischung von Jeanne d’Arc, Robin Hood und Ludwig Feuerbach angetreten war und sich nun anschickte, das herzogliche Bett zu erobern.
Natürlich wollen diese Ignoranten nicht zur Kenntnis nehmen, das Herzogin Angelique auch in ihrer schicken neuen Garderobe ihrem alten Klassenbewußtsein treu geblieben war.
Jetzt, in exponierter gesellschaftlicher Stellung, begann sie wirkungsvoll gegen das soziale Elend zu agieren, aß weiterhin in der Gesindeküche, wenn es sich anließ, und brachte die alten Freunde in Lohn und Brot. Auch ihr wohlmeinender Abbe darf ihr nun als herzoglicher Beichtvater beim Abbeten des Breviers ins entzückende herzogliche Dekollete schielen. Die Verheißungen des Paradieses, die Liebesäpfel, die schon unserem Urvater Adam Unglück brachten, runden sich zum Greifen nah vor seinen keuschen und doch begehrenden Augen. Oh HERR, diese Versuchung! Hätte er sie doch bei Kaschemmenzeiten als Haushälterin engagiert. Doch das Drehbuch wollte es anders.
Zwar rettet sie mal so nebenbei den grenzdebil wirkenden König vor feigen Giftattentaten, (die Täterin ist, wie könnte es anders sein, die böse Gräfin vom Anfang der Geschichte, mithin die ehemalige Dienstherrin,) um sodann mit Hilfe der Pompadour ihre ungebührlich schnelle Karriere vom Dienstmädchen zur mächtigen Herzogin auch standesgemäß zu fundamentieren.
Todesmutig streift sie im Alleingang durch die Elendsviertel von Paris und interveniert gegen die Mißhandlung der Obdachlosen. Diese wurden nämlich von der Staatsmacht eingefangen und vom Polizeichef von Paris in die Sklaverei verkauft. Nur dumm, daß ihr ach so sophistizierter und herzensguter Ehemann in diese dubiosen Geschäfte verstrickt ist. Wovon sie selbstredend keine Ahnung hat.
Sicherlich, der Hochadelige bessert sein moralisches Empfinden unter dem Einfluß seiner so reizend zornigen Gattin peu a peu ein wenig auf, kündigt dem kriminellen Polizeichef Freundschaft und Geschäftsverbindungen, besänftigt seine aufgebrachte Jungvermählte mit sättigendem Sex, aber – oh Graus – das alles absolviert ihn nicht von der Schuld begangener Jugendsünden. Auf einer königlichen Jagd fällt er denn folgerichtig einem Attentat zum Opfer.
Freie Bahn dem Tüchtigen! Der boshafte und intrigante Polizeichef, der hinter dem Komplott steht, schiebt der Unschuld vom Lande mit Hilfe eines Foltergeständnisses den Mord an ihrem Mann in die Schuhe und steckt die Unglückliche postwendend in die Bastille. Dort fällt er sogar über sie her und alles scheint im Chaos der Bosheit zu versinken – aber siehe, die Rettung in Gestalt des lotterlosen, aber nichtsdestoweniger überaus charmanten Schwagers, des jüngeren Bruders des Verblichenen, naht in Windeseile.
Ein obligates Degengeklirr in den Tiefen der Bastille, der Böse bekommt Dresche, die Schöne ist frei.
Damit könnte das Rührstück eigentlich zu Ende sein. Ist es aber nicht. Irgendwie muß es den Autoren geschwant haben, daß es noch eines kleinen Budenzaubers bedarf, um das bemühte Filmchen von den abgedroschenen Mantel -und Degen-Filmen der Fünfziger Jahre zu distinguieren. Also zauberten sie. Der rettende Tausendsassa von einem Herzogs-Bruder beschläft die verwitwete Schwägerin, die ihm nach erfolgreicher Kohabitation offeriert, beide würden ein unwahrscheinlich effizientes Kollektiv zur Bekämpfung des Bösen abgeben, wenn er sich doch nur entschließen könnte, bei ihr zu bleiben. Aber den Schwager zieht es mit Macht zu seinen überseeischen Toback – Plantagen, wohin ihm die neue Geliebte – jetzt wird es melodramatisch – nicht folgen kann, weil es auf den Gassen von Paris noch soviel Übles zu bekämpfen gibt.
(An das Übel in unserer Magengegend verschwendete sie keinen Gedanken.)
Nun hören wir auch noch, daß der syphilitische böse Polizeichef vom debilen König zum Lohn für all seine Bosheit zum General befördert wurde und wir bangen mit der schönen Herzogin, daß sie nicht mehr so lange auf das Jahr 1789 warten muß. Denn nach all dem, was sie in diesem Schinken durchmachen mußte, denken wir, daß die revolutionäre Guillotine der Jakobiner für sie nichts anderes als eine Erlösung bedeuten kann, wenn sie denn endlich das hochherzogliche Haupt dem Fallbeil darbieten darf. Übrigens sehr zum Gaudi des Pöbels, den sie ja erwiesenermaßen permanent erlösen wollte.
Nun also! Das Stücklein ist nun wirklich aus. Gott sei Dank!
So erhebt sich wahrscheinlich die berechtigte Frage, warum wir noch einmal so viel Zeit an der Schreibmaschine verbringen, wie wir damit verschwendet haben, dieser Schnulze zuzusehen.
Die Antwort liegt auf der Hand: Weil nicht nur der Stoff eine Zumutung ist, sondern darüber hinaus die Darbietung eine einzige Frechheit. Die Darsteller erwecken mit Ausnahme des versuchten Padres – der sehr authentisch auf die reizenden Wölbungen des Busens seiner Schutzbefohlenen schielt – den Eindruck, als seien sie geradewegs aus der „Lindenstraße“ in die Szenerie gestolpert. Hohle Dialoge, hölzern und völlig unfähig, sich in die dargestellte Zeit hineinzufühlen, peinigen die Ohren. Thema und Art der Unterhaltungen könnten genausogut in einem süddeutschen Frauenkreis stattfinden. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind „GZSZ“ und „Marienhof“ entlehnt und kommen genauso staubtrocken rüber. Ein Film gewordener Basteiroman – ebenso grottenschlecht geschrieben, ebenso grottenschlecht recherchiert.
Der Gipfel der Blödelei war die Antwort auf die Bemerkung eines Aristokraten, daß es in den Pariser Straßen so erbärmlich stinke: Nun ja, Wasser und Seife zum Waschen könnten sich eben nur die Reichen leisten. Jeder Schwachkopf, der nur ein Mindestmaß an Ahnung vom 18. Jahrhundert vorweisen kann, weiß, daß in dieser Epoche Waschungen mit Wasser verpönt waren. Wurde doch Wasser als Krankheitsverursacher und –überträger angesehen, dem man ferne blieb. Es wurde ums Verrecken gepudert. Man war von Parasiten befallen, hatte schlechte Zähne, stank aus dem Maul und allen Poren, was leidlich durch teure Parfums kaschiert wurde und schwärende Geschwüre fraßen sich allenthalben durch die Haut. Oft Andenken an amouröse Abenteuer. Hofgesellschaften mußten von Zeit zu Zeit die Schlösser wechseln, damit die Schar der Domestiken in der Zwischenzeit die Gebäude von fäkalen Hinterlassenschaften reinigen konnte. Denn kaum jemand bemühte sich zum Pinkeln oder Scheißen in den Garten. Derlei Geschäfte wurden ungeniert innerhalb der Räumlichkeiten getätigt. (Eine Ausnahme war der Hof Friedrich Wilhelms I., des preußischen Soldatenkönigs.)
Nichts, aber auch gar nichts davon in dem Streifen namens „Angelique“. Dieser Film ist der Feind jeder auch nur halbwegs den Tatsachen verpflichteten Erzählung.
Er dient der Einlullung und Volksverdummung und deshalb haben wir ihn auf die Spitzen unserer Tintenforke gegabelt.
Wenn schon ein Historienfilm aus der Zeit vor der französischen Revolution, dann wäre man beim „Pakt der Wölfe“ beispielsweise weitaus besser aufgehoben. Dort zumindest erliegt schlußendlich die Bestie. Wie lange hingegen sie in Gestalt von „Angelique“ die Filmarchive unsicher machen wird, wer vermag das zu sagen?

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004