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Laurie Anderson
-eine amerikanische Performance-Künstlerin von Format-


K. K. Bajun
Eines vorneweg: Wenn Stars and Stripes im Winde flattern, sind wir die Letzten, die ehrfürchtig und mit sehnsuchtsfeuchten Augen auf dem Bauche liegen. Die Nation der U.S.A. mag ihre Meriten haben, das jedoch wird uns den kritischen Blick nicht trüben. Aus den vorangegangenen Beiträgen des „Landboten“, die sich mit den Vereinigten Staaten von Amerika befassen, wird dieser Umstand hinreichend hervorgehen.
Doch muß all diesen Ressentiments zum Trotze etwas sein an diesem Lande, was Staunenswertes hervorbringt. Ob wir nun vor dem Bilde „First to turn“ des Malers Thompson stehen und den in die Seele fühlenden Indian Summer betrachten oder ob wir der Stimme und den Worten der Laurie Anderson lauschen, die ihrem Lande nicht minder kritisch gegenübersteht und es doch überschwenglich liebt – es geht eine große Faszination auf uns über.
Wer ist diese Frau, die mit hoher Intelligenz, viel Gefühl und großem musikalischen Können ein Land, ihr Land, preist oder anprangert, je nachdem, was es anzupreisen oder anzuprangern gibt?
Bei den modernen Pop-Ikonen kann man gemeinhin sagen: „Kennst du einen Titel, kennst du alle!“ Wenige nur unterscheiden sich von diesem Klischee und glänzen durch eine ungeheure Bandbreite an Variabilität und Ausdruck. Kate Bush, Pink Floyd, Phil Collins seien genannt. Doch die ungekrönte Königin der Farbenvielfalt moderner Musik mit Anspruch ist unter diesen wohl Frau Anderson.
Ihr Einfallsreichtum, was Instrumentierung, Stil und Ausführung (Performance) betrifft, ist nahezu ungeheuerlich.
Und ihre Texte, wenn sie auch manchmal etwas skurril anmuten, sind getragen von Sinn und Verstand. Sie treffen eine Aussage und verschmutzen keineswegs den Äther mit hohlem Blablabla.
Allein die Vielfalt der gewählten Themata besticht:
Sie scheut sich nicht, die dröge Eintönigkeit amerikanischer Städte mit klaren Worten beim Namen zu nennen (Album: Big Science; Titel: Big Science). Doch das Land selbst liebt sie auf eine Weise, wie nur eine Frau zu lieben versteht (Album: Strange Angles; Titel: The Song of Hiawatha). Wird man sich der Schönheit dieser Liebeserklärung bewußt, kann man sich der Tränen kaum mehr erwehren. Das ist etwas fundamental anderes, als dieses krampfhaft auf maskulin und „Macho“ getrimmte Geröhre a la „We’re kids in America“ oder „born to be wild“ vom „Boss“ Bruce Springstein. Bei Laurie Anderson spürt man, daß selbst die Heimat der Oberflächlichkeit eine tiefe, beinahe unauslotbare Seele hat, die sie einigen wenigen ihrer Töchter und Söhne auszudrücken gestattet.
Ein kerndeutsches Märchen – das von Hänsel und Gretel (Album: Strange Angles; Titel: Hensel and Gretel) – läßt sie wiederauferstehen, siedelt das Geschwisterpaar im Berlin unserer Zeit an, kehrt die Aussage des Märchens um (Hänsel trauert seiner einzigen großen Liebe – der bösen Hexe - nach), und läßt Bruder und Schwester über den Hintergrund von Zeit und Wahrheit philosophieren. Das ganze kurz-geniale Werk widmet sie Walter Benjamin. Ein Amerikaner kennt Berlin und – als ob das nicht für sich schon ein Wunder wäre – auch noch Walter Benjamin.
Ein Klischee findet seine Bestätigung: Aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten mag zu 95% Müll und Schrott kommen. Die verbleibenden 5% aber sind es wert, in der Welt den Ton anzugeben.
Frau Andersons Musik gleicht einem Zauberspiegel. Man muß schon etwas Besonderes mitbringen, ein Inneres Auge, eine Seele, ein Gefühl und ein Ohr für die leisen, zarten Töne der Schönheit, um etwas in diesem Spiegel zu erkennen. Für den tumben Rest der Menschheit wird er wohl blind bleiben, wie eine matt polierte Scheibe. Das ist nichts, um die Zeit totzuschlagen, um zu betäuben, um im Hintergrund zu dudeln. Das ist zum Berauschen, zum Hinhören, zum Träumen mit offenen Augen, mit offener Seele.
Sie setzt sich mit Mysterien auseinander und sie setzt sich über sie hinweg. Ein Täubchen gurrt im Hintergrund, wenn sie die Frage stellt, ob denn die Zeit lang oder breit wäre, ob sich die Dinge zum guten oder zum Schlechten wenden, ob unser Leben der Aufnahme gliche, die von einem Videorecorder abgespielt wird (Album: Bright Red; Titel: same time tomorrow.)
Und alles, alles wird getragen von ihrer Feenstimme, die man, kennt man Frau Anderson nicht, intuitiv der Loreley zubilligen wollte.
Aber diese Stimme kann auch kratzig und rauchig werden, die Musik voller Dissonanzen, wenn Frau Anderson ein Thema anschneidet, welches ihr Herz zum Kampfe ruft. Wenn sie konstatiert, daß ihre Geschlechtsgenossinnen in Amerika noch immer in fast allen Bereichen des Lebens benachteiligt sind (Album: Strange Angels; Titel: beautiful red dress.) Wenn sie den tyrannischen und bigotten amerikanischen Puritanismus in seiner verklemmten Gegensätzlichkeit darstellt (Album: Strange Angels; Titel: The day the devil comes to Getcha).
Als wahre Künstlerin jedoch ist sie souverän genug, tiefe Blicke auch in die eigene Seele zu gewähren, in Liedern, wie „beautiful pea green boat“ (Album: Bright Red ;)
----“When my father died, it was like a whole library had burned down…”----(Album: Bright Red; Title: world without end.) Gibt es eine Referenz an den eigenen Vater, die mehr zu Herzen ginge?
Die Stimme. Die Stimme! Was macht den unverkennbaren Charakter dieser Stimme aus? Die sich einzuschmeicheln versteht. Die anspricht bis in den letzten Winkel des Herzens. Die so unendlich weich sein kann, die den, der sie hört und der ihr folgt, bis zu Tränen rührt.
Es ist ein Mysterium.
Diese Stimme und diese Worte machen die schönsten, die gefühlvollsten Seiten der wunderbaren englischen Sprache wieder lebendig. Befreien das Englische von den Tonnen von Schutt, Müll und Unrat, den die seichte Pop-, Rock und Rapkultur daraufgelagert hat, wie Sedimente am Grunde des Ozeans.
Sie wird nur äußerst selten im Radio gespielt, die Frau Laurie Anderson. Das spricht eher für als gegen die Qualität ihrer Musik. Denn das hirnlose Ga-Ga mit der zur Schau getragenen und krampfhaft aufgesetzten guten Laune der meisten zeitgenössischen Sender, das auf den breiten Publikumsgeschmack abgestimmt ist, erzwingt nicht das Hinhören, sondern ist von Anfang an konsequent auf phonetische Berieselung ausgelegt, ohne das die meisten Menschen schon nicht mehr auszukommen meinen. Stille ist diesen armen Teufeln unerträglich, kulturvolle Unterhaltung ist ihnen zu mühselig. Nein, seichtes Hintergrundgedudel muß es sein, etwas eingängige Melodien, die durch häufige Wiederholungen in die Hirnersatzmasse der „Hörer“ gepreßt werden, verbunden mit nichtssagenden Texten, und schon haben wir ein brauchbares Rahmenprogramm für die allgegenwärtige Werbung.
Da paßt eine Laurie Anderson nicht hinein, sowenig wie Kate Bush, sowenig wie die Jungs von Pink Floyd. Sie alle werden bestenfalls alle Jubeljahre mal mit „Hey Superman“, „Babooshka“ oder „The Wall“ zitiert. Die letzteren beiden sind stadienfüllende Giganten – da kommt man halt nicht so ganz dran vorbei.
Das Frau Anderson Stadien gefüllt hätte, ist uns nicht bekannt. Dafür ist das Publikum, das ihre Säle oft bis auf den letzten Platz belegt und sich vor den Türen um die noch verfügbaren Billets balgt, um so erlesener. Viele dieser Leute beherrschen die englische Zunge wenigstens soweit, daß sie den Worten der Künstlerin zu folgen vermögen. Und sie folgen. Denn es lohnt sich. Man fühlt sich hinterher nicht bedröhnt. Man fühlt sich beschenkt. Und für dieses Geschenk wollen wir Frau Anderson danken.

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004