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Catch-22
(Der IKS-Haken)
von Joseph Heller
K. K. Bajun
In seinem Vorwort zu Samuel
Shems „House of God“ schreibt John Updike, das Buch habe
für die Medizin in etwa das geleistet, was Joseph Hellers „Catch-22“
für die Armee getan habe. Nur für die Armee? Und was hat denn
Herrn Hellers legendäres Werk geleistet?
Phänomenal viel! Es hat die Armee demontiert. Nicht nur die Armee,
sondern die Menschen, die in ihr Dienst tun. Und die im Zivilleben ein
Teil der Gesellschaft sind.
In der D.D.R. erschien das „Catch-22“ unter dem Titel „Der
IKS-Haken“. Und es war eine kühne Angelegenheit für die
Kommunisten, ähnlich wie bei der LTI von Herrn Professor Klemperer,
dieses Buch zu editieren. Denn gleichwohl das „Catch-22“ Zustände
in der US-Army während des letzten Weltkrieges beschreibt, so wird
jeder Leser, der die Nationale Volksarmee von innen kennengelernt hat,
ohne weiteres bestätigen können, daß Herrn Hellers Beschreibungen
durchaus universellen Charakter haben.
Das „Catch-22“ erzählt vom Alltag einer amerikanischen
Bomberstaffel, die auf einer Italien vorgelagerten Insel stationiert ist.
Der junge Captain Yossarian dient in dieser Staffel als Navigator und
erlebt während seiner Einsätze die Schrecken des Krieges hautnah.
Im Prinzip ist das alles ganz einfach: Die Bomber haben den Auftrag, bestimmte
Ziele am Boden anzufliegen und zu bombardieren und die feindlichen Bodentruppen
geben sich alle Mühe durch heftigen Beschuß der anfliegenden
Pulks genau das zu verhindern. Wird eine B52 getroffen, so gibt es in
aller Regel keine Rettung mehr für die Besatzung. Ihr Schicksal hängt
dann buchstäblich am seidenen Faden – nämlich dem der
Fallschirme.
Man kann sich vorstellen, daß die Bomberbesatzungen, speziell unser
Captain Yossarian, bis auf die Ausnahme weniger verrückter Fanatiker
nur eines im Sinne hat: Die vorgeschriebenen Missionen heil zu überstehen
und dann nichts wie weg, nach Hause! Zu dumm nur, daß der Geschwaderchef,
der seinen Hintern selbstredend in ausreichender Entfernung vom Feind
in Sicherheit behält, den zweifelhaften Ehrgeiz entwickelt, auf die
Seite 1 irgendeiner zweitklassigen Frontzeitung zu gelangen. Natürlich
denkt er nicht daran, diesem hehren Ziel dadurch näherzukommen, daß
er selbst seine kostbare Person ins Kampfgetümmel wirft. Seine Männer
sollen den Job für ihn erledigen. Und so streckt er deren Mindesteinsätze
von Mal zu Mal. Bei den Besatzungen liegen die Nerven blank. Aber sie
können sich drehen und wenden wie sie wollen – es hilft ihnen
nichts, das Wort ihres Colonels oder Generals ist Gesetz. Und wollen sie
nicht vors Kriegsgericht, heißt es weiterfliegen.
Yossarian selbst versucht mit allen Mitteln, sich von seinem Freund, dem
Militärarzt Dr. Daneeka ein Attest zu besorgen, welches ihn dienstfrei
stellen würde. Und hier begegnet uns das erste Mal das Paradoxon
des berühmten „Hakens-22“. Denn ein „catch“
ist im amerikanischen der „Haken bei der Sache“. Yossarian
bittet Daneeka, ihn von der Fliegerei freizustellen, weil er irre sei.
Daneeka meint, das sei an sich schon ein triftiger Grund, nur –
wenn Yossarian nicht mehr fliegen wolle, weil er ganz einfach am Leben
hänge, dann – ja dann sei er keineswegs irre, sondern im Gegenteil
ganz normal. Und als Normaler müsse er nun mal weiterfliegen. Yossarian
versucht den Umkehrschluß und bekennt freimütig, völlig
normal zu sein und fliegen zu wollen, hoffend, Daneeka würde ihm
nun die gestörte Persönlichkeit attestieren und ihn aus dem
Verkehr ziehen. Nichts da. Fliegen will er? Na, dann ist doch alles wunderbar.
Dann man rein in die Mühle und ab ins Gefecht!
Der ganze menschenverachtende Widersinn, aus dem das Buch seine Thematik
schöpft, wird hier in unnachahmlicher Weise karikiert. Aber es bleibt
in jeder einzelnen Zeile der bittere Beigeschmack, daß sich Herr
Heller seine von feinstem Humor spritzenden Ideen keineswegs aus dem Ärmel
gezogen hat. Und so erleben wir bei der Lektüre des Buches den 22er
Haken an uns selbst. Obwohl wir uns vor lautem Lachen oftmals kaum auf
den Beinen halten können, stehen uns doch zur gleichen Zeit die Tränen
in den Augen. Und, glauben Sie mir – es sind keine Lachtränen!
So etwa wenn der überaus geschäftstüchtige Freund Yossarians,
Milo Minderbinder, der den American Way of Live selbst an die Front trägt
und zum schwerreichen Profiteur und Kriegsgewinnler wird, die Seide für
die Rettungsfallschirme des Flugpersonals verhökert und in die Fallschirmrucksäcke
statt dessen eine Visitenkarte seines prosperierenden und florierenden
Unternehmens plaziert. Oder wenn ein durchgedrehter Kamerad Yossarians
eine italienische Hure aus dem vierten Stock eines Hauses wirft, und die
herbeigeeilte Militärpolizei nicht etwa den Mörder verhaftet,
sondern Yossarian selbst, wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe.
Er hatte seinen Ausgang um einige wenige Stunden überzogen. Dieses
läßliche Delikt bringt die Militärpolizei auf die Beine,
nicht der Tod der kleinen, italienischen Hure. Kann man deutlicher den
Finger auf den wunden Punkt legen, an dem unser ganzes modernes, ach so
zivilisiertes System krankt?
Wir erleben in ergreifender Weise hautnah mit, wie Yossarian versucht,
seinem schwerverletzten Kameraden in der durchschossenen Kanzel der B52
zu helfen, bis er mitbekommt, daß hier jede Hilfe vergebens sein
muß – die Verwundung ist einfach zu groß. Verzweiflung,
Menschlichkeit und Hilflosigkeit prallen hier mit so unerhörter Wucht
aufeinander, daß dem Leser der Atem stockt.
Das Buch ist verfilmt worden. Und die Filmemacher haben sich größte
Mühe gegeben, den enorm anspruchsvollen Vorgaben des Buches gerecht
zu werden. Die Güte und Qualität des Spielfilms soll hier absolut
nicht in Zweifel gezogen werden. Sie sind erstklassig. Das beschränkte
Zeitkontingent eines Filmstreifens jedoch läßt jedoch selbst
dem besten Drehbuchschreiber und Regisseur nur wenig Spielraum.
Daher halten wir die Lektüre jenes epochalen und wegweisenden Werkes
für unumgänglich. Und wir betonen noch einmal: Der Anwendungsbereich
der Aussage von „Catch-22“ bezieht sich nicht nur auf die
amerikanische Armee des 2.Weltkrieges.
Sie erstreckt sich auf alle Bereiche einer modernen westlichen Zivilisation,
die Parkinsons Law und dem Peter-Prinzip gehorcht – und das tun
sie alle!
Dieses Buch verdeutlicht mit beißendem Humor und Sarkasmus, mit
großartigstem Zynismus im klassischen Sinn des Wortes, mit bestechender
Klarheit die Interaktionen in den großen Rudeln des Nackten Affen,
die wir neuzeitliche Gesellschaften nennen. Es stellt den schrankenlosen
Egoismus bloß, der die Entscheidungsträger dieser Gesellschaften
treibt, und den sie uns als Verfolgung hehrer Ziele verkaufen wollen.
Das „Catch-22“ ist unbedingt in einer Reihe zu nennen mit
den Sternen am Himmel der menschlichen Welt-, Antikriegs- und Demaskierungsliteratur
wie „Im Westen nichts Neues“ von Remarque und „Der brave
Soldat Schwejk“ von Jaroslaw Hasek.
Wer aus sich selbst einen „mündigen Bürger“ machen
will, der sollte dieses Buch als Standardwerk und Pflichtlektüre
auffassen und es wieder und wieder studieren. Es immunisiert vortrefflich
gegen die hohlen Phrasen und alle Verdummungsmechanismen seitens der Politiker,
Wirtschaftskapitäne und der ach so freien Presse.
Der als etwas trotteliger Bruchpilot verschrieene Kamerad und Zeltgenosse
Yossarians, Orr, hat es zuwege gebracht, sich vermittels eines Schlauchbootes
vom Kriegsschauplatz im Mittelmeer an die rettende, weil neutrale Küste
Schwedens abzusetzen. Ein Bravourstück, das, wenn es denn so stattgefunden
hätte, die seemännische Leistung eine Cpt.Bligh von der Bounty
weit hinter sich gelassen hätte. Dem Buch „Catch-22“
hingegen wünschen wir, daß es erreichen möge, was dem
Piloten Orr gelang. Sich durchzuschlagen an die Küsten der Vernunft,
dabei den schier endlosen Ozean der Dummheit überwindend, vorbei
an den Klippen von „Freundin“ und „Super-Illu“,
vorbei am Malström von „Bild“ und den Abgründen
von „Bastei“ und Hedwig Courths-Mahler. Und daß es auf
Menschen treffen möge, die Verstand genug haben, seinen Wert zu ermessen,
gleichsam seine Botschaft weitertragend und vorlebend.
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