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Der König David Bericht
von Herrn Stefan Heym

K. K. Bajun
Sie haben also Stefan Heyms „König David Bericht“ in den Händen. Ich sag Ihnen was! Holen Sie die schöne, alte Gutenberg-Bibel aus dem Bücherschrank und legen Sie sie daneben. Sie werden sie brauchen!
Denn Herr Heym entführt und in die Zeit des Alten Testamentes:
Über tausend Jahre vor Christus schweißt ein jüdischer Hirtenjunge namens David ein zerlumptes und verstreutes Volk von nomadisierenden Bettlern, Spielball aller altorientalischen Mächte, zu einer Nation zusammen, die die Jahrtausende übersteht wie ein erratischer Block. Selbst Himmlers perfekt organisierte Mordmaschine konnte dieses Volk der Juden nicht auslöschen, wie sie’s auch immer anstellten.
Abraham, Moses, Josua – alles große Gestalten der jüdischen Geschichte. Aber an David kommt nichts und niemand vorbei.
Was für ein Genie, was für ein Machtmensch und Halunke, was für ein großer Mann! Es gab wirklich kein Verbrechen, das er ausgelassen hätte. Aber er diente mit Inbrunst seinem Gott, seinem persönlichen Gott.
Und dieser Gott nimmt die Macht aus Sauls Händen und gibt sie David. Tat er das? Oder nahm sie der Erzvater aller Verräterei, David, sich selbst von einem alten Mann, der ihm einst vertraute und ihn liebte, wie einen eigenen Sohn? Schlich sich David, der wunderschöne Hirtensohn mit der Harfe und der goldenen Stimme, in den inneren Zirkel der Macht um König Saul, lullte diesen ein, ließ sich von diesem als Lustknaben gebrauchen, pflog intimste Beziehungen mit Sauls Sohn und Tochter – Jonathan und Michal – zu dem einzigen Zweck, eines schönen Tages die Nummer 1 zu werden?
Aus der Bibel geht das alles nicht hervor. In den Büchern der Könige und Richter liest es sich ganz anders. Viel moderater. So mehr fürs Herze! Fast wie in Grimms Märchen. David, der Makellose, bekam die Macht von Gott übereignet, weil Saul gegen den HERREN gefrevelt hatte. Na klar! So kann man’s auch ausdrücken. Aber wie war das denn nun wirklich? Oder war es genau so und die alttestamentarischen Berichte sind am Ende nur geschönt worden? Oder haben die damaligen Zeitgenossen das Erlebte wirklich so aufgefaßt? War ein Versager in ihren Augen ein Gottgestrafter und analog dazu ein Siegertyp wie David ein Gottgesalbter?
All diese Fragen müssen Herrn Heym wohl auch sehr bewegt haben. So wie jeden anderen klugen und geschichtskritischen Geist auch, der dem Gros seiner Mitmenschen vernünftigerweise nicht weiter traut als er sie sieht.
Aber da ist noch etwas! Wenn es nur um die Aufarbeitung alttestamentarischen Stoffes ginge, wie es den ersten Anschein erweckt… Nein, da gibt es noch einen zweiten Hintergrund, für einen „gedienten Ossi“ auf Anhieb sichtbar. Hier wird eine längst vergangene Epoche zur Gegenwart in Beziehung gesetzt. Zu der Gegenwart nämlich, in der das Buch geschrieben wurde. Und diese Gegenwart hieß D.D.R.
Es ist kein Geheimnis, daß Herrn Heyms Verhältnis zum kommunistischen Obrigkeitsstaat D.D.R. ein sehr gespanntes war. Bedrängt von menschlicher Dummheit und Indolenz, die unter den hehren Bannern der Menschlichkeit zu fechten vorgaben – das vertrug sich nicht mit dem kritischen Feingeist Heym.
Viele haben versucht, die auf die Abwege der Macht geratenen roten Menschheitsbeglücker auf den Pfad der selbst gewählten Tugend zurückzurufen. Und vielen ist es übel bekommen. Es war gefährlich, ihnen ungeschönt und direkt die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Das vertrugen Sie nicht. Es war gefährlich, ihre rosaroten Mythen anzukratzen. Denn diese sollten der Jugend ja zur Orientierung dienen. Nee, nicht dem eigenen Nachwuchskader! Dem jugendlichen Stimmvieh! Die sollten glauben, vor allem glauben! Das ist eine Grundvoraussetzung für jeden Machterhalt – der bedingungslose und ergebene Glaube!
Aber Glauben und Wissen sind zwei ungleiche Geschwister. Und der denkende Mensch, der zur Selbstbestimmung neigt, will in erster Linie wissen und nicht glauben. Das ist eine gefährliche Intention – gefährlich vor allem für die jeweiligen Fürsten aller Couleur.
Und genau darum geht es im König-David-Bericht. König Salomo - ja, ja, der berühmte Weise und Davidsohn, beauftragt den renommierten jüdischen Historiker Ethan mit der Erstellung einer Chronik über die Ereignisse vor und während der Herrschaft seines seligen Vaters David. Memoiren gehören ja bekanntlich zu jedem guten Staatsmann. Nur, David selbst hatte eben keine geschrieben.
Und Ethan, ein gerader Charakter entledigt sich dieser Aufgabe mit Fleiß, Akribie, und gründlicher Recherche. Viel zu gründlicher Recherche, wie schon bald vom hochkarätigen und regierungsnahen Redaktionskollegium befunden wird. Und sie beginnen langsam, Ethan immer ernster werdende Hinweise zu geben, wie er seine Arbeit zu verrichten hätte. Wo man etwas getrost auslassen kann oder von einem anderen Aspekt aus beleuchten sollte. Diese freundlich erteilten Ratschläge gewinnen immer mehr drohenden Charakter. Ethan ist kein Dummkopf. Er ist durchaus in der Lage, die Zeichen an der Wand zu deuten. Aber er entscheidet sich gegen alle Vernunft, in seiner Arbeit fortzufahren. Ein ehrlicher Makler zwischen der historischen Wahrheit und dem Interesse der Nachgeborenen an dieser Wahrheit. Und so recherchiert und schreibt und schreibt und schreibt er – wider das Vergessen. Und rennt doch gegen die Windmühlen der Macht.
Als er seinen Report endlich vorlegt, wird im Redaktionskollegium ernsthaft seine physische Liquidation erwogen. Aber die Großen des jüdischen Reiches sind am Ende clever genug, diesen idiotischen Schritt nicht zu wagen. Man möchte fast sagen, die an den Juden vielgerühmte Schlauheit hätte obsiegt. Denn wer, wenn er noch alle Latten am Zaun hat, ist ernsthaft an einem Märtyrer interessiert, dessen Blut für seine Sache zeugt. Das Konstanzer Konzil hätte sich und Europa eine aberwitzige Menge Ärger erspart, wenn man Professor Johannes Hus aus Prag dem kaiserlichen Worte entsprechend am Leben gelassen hätte. Man wußte doch um die Kraft, die von den eigenen Märtyrern noch nach Jahrhunderten ausging. Nun, die Hofcamarilla um König Salomo wurde ohne Schaden klug. Sie vergriffen sich nicht an dem Intellektuellen Ethan. Sie beschlossen ihn einfach totzuschweigen. Der Bericht wurde kassiert, von einem Expertenteam in die heute allseits und im Alten Testament nachzulesende Form gebracht und im Kanon der Bibel für die Nachwelt bewahrt. So gewinnt man die Schlacht an der Propaganda-Front! Und der klügere, wenn auch nicht unbedingt moralisch bessere Teil der Nachwelt hat aus der Geschichte gelernt. Wenn wir uns die Geschichtsbücher der Sowjetunion und ihres deutschen Satellitenstaates anschauen, dann sind selbst Standardwerke nach dem Muster des redigierten König-David-Bericht gestrickt. Und die Ethans dieser Zeit konnten recht von Herzen froh sein, wenn man ihnen ihr Häuschen in Grünau oder anderswo ließ und sie nicht nötigte, ihre Gedanken auf sibirischer Birkenrinde niederzukritzeln.

Nachsatz:
Ich befasse mich gerade mit den englisch verfaßten politischen Lebenserinnerungen des ehemaligen U.S.-Außenministers Henry Kissinger. In seinem Vorwort wendet sich dieser höchst intelligente Diplomat an zukünftige Studenten und anempfiehlt ihnen das Werk indirekt zur Lektüre. Und ich könnte mir vorstellen, daß dieser Recommendation an vielen amerikanischen Universitäten durchaus gefolgt wird und zukünftige Historiker oder Journalisten das Bild jener Epoche unkritisch nach Herrn Kissingers Vorgaben zeichnen. Wie gut, daß ich den König David-Bericht vorher gelesen habe…!

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003