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"Jetzt kaufen, Später bezahlen
- die seelischen Folgen der Konsumgesellschaft"

eine Besprechung des gleichnamigen Buches von Dr. Wolfgang Schmidbauer

 

K. K. Bajun
In seiner Ausgabe vom 3.April 2003 berichtet der Stern, Deutschlands großes Nachrichtenmagazin, von Magnus G., dem Mörder des kleinen Jakob von Metzler. Er geht der Frage auf den Grund, warum der Jura-Student den ihm hoffnungslos unterlegenen Bankierssohn umbrachte. Der Verfasser zeichnet von dem Mordbuben das Bild eines jungen Burschen, der "dazugehören" wollte. Dazugehören zu einer Gesellschaftsschicht, deren scheinbarer oder vorgetragener Lebensstil den Sohn mittelständischer Bürgersleute sehr faszinierte. So sehr, daß er, als denn die Ressourcen aufgebraucht waren, die seine Eltern über viele Jahre mühsam für ihn zusammengespart hatten, auf kein anderes Mittel mehr verfiel, als das Kind reicher Eltern zu entführen um Lösegeld zu erpressen.

Ein Einzelfall? Nein! In seiner tragischen Reichweite mag dieser Fall einzig sein. Nicht aber in seiner Symptomatik, die kennzeichnend für die heranwachsende Jugend Deutschlands und fast aller reichen Industrienationen ist.

Ein Großteil dieser Jugend ist auf "Spaß haben" fixiert, also auf die rasche Befriedigung ihrer Lust-Bedürfnisse. Daß dieser Spaß Geld kostet und Geld eigentlich ein Gegenwert für geleistete Arbeit darstellt, dieser Zusammenhang geht den meisten ab. Die Eltern des Magnus G. haben sicherlich Jahrzehnte gebraucht um die 30.000 € für ihren Sohn zusammenzutragen, die dieser in so wenigen Monaten verpulverte. Das Vermögen der Bankiersfamilie von Metzler wurde gar über viele Generationen erwirtschaftet. Generationen, die oftmals Tag und Nacht schindern und schuften mußten. Und genau diese Haltung ist dem Magnus G. und seinen zahlreichen Gesinnungsgenossen fremd. Sie wollen nichts leisten, sie wollen haben. Sie wollen genießen und großkotzig auftreten, aber tun dafür wollen sie nichts. Und wenn sie denn etwas investieren, dann muß das ruck-zuck gehen und ohne viel Aufwand. Eine Bank klarmachen, einer alten Dame die Handtasche stehlen oder eben ein Kind entführen, von dessen Eltern man sich für die Rückgabe viel Geld erwartet.

Die Gesellschaft, in der diese Jugendlichen aufwachsen, lebt es ihnen vor. Alles läuft über Kredit, bis hin zum Bundeshaushalt. So ist es jahrelang gelaufen. Die Zeiten, als ein preußischer Soldatenkönig Schuldenmacher denen Dieben gleichsetzte, weil sie mit fremdem Eigentum operieren, sind definitiv vorbei. Und mit dieser Zeit ist auch die Moral entschwunden, die dieser sicherlich etwas harschen Maxime zugrunde lag. Niemand wird bestreiten, daß es sinnvoll ist, beispielsweise einem armen Erfinder oder einem potentiellen Unternehmer Geld vorzuschießen, daß er seine Erfindung oder sein Unternehmen zur Marktreife entwickeln und hernach seine Produkte gewinnbringend verkaufen kann.

Selbst einem Idioten müßte mit der Zeit klar werden, daß dieser Kurs auch für die gesamte Gesellschaft über kurz oder lang zu einem ähnlich desaströsen Ende führen muß, wie es Magnus G. anschaulich für seine eigene Biographie vorgelebt hat.

Dieses Themas und der unvermeidlichen Folgen angenommen hat sich in bewundernswerter und geschulter Weise der Dr. Wolfgang Schmidbauer in seinem oben genannten Buch "Jetzt haben, später zahlen". Rowohlt hat es verlegt. Der Verlag, der schon Tucholskys Bücher in seinem Verlagsprogramm führte, preiste es mit 34,-DM aus. Ich fand es in einer Krabbelkiste und konnte es für einen Euro mit nach Hause nehmen. Dieses Buch ein Ladenhüter? Bevor Sie übereilte Schlußfolgerungen ziehen, lassen Sie sich versichern: Es ist nicht die mangelnde Qualität des Buches - es ist seine ausgezeichnete Güte, sowohl vom Inhalt als auch von seiner Ausdrucksform her. Dieses scheinbare Paradoxon löst sich mit der Lektüre des Buches von selbst auf.

Man muß nämlich die Kraft eines geschulten Geistes auf dieses Werk verwenden. Und den Geist entsprechend vorzubereiten ist eine mühevolle Arbeit, die ebenfalls kontinuierlich und über Jahre hinweg betrieben werden muß. Würde unsere ehemalige Kulturnation diesen Werten noch immer anhängen, Herr Schmidbauer hätte seine Zeit getrost auf anderes verwenden können, als dieses Buch zu verfassen. Aber genau die Mechanismen der geistigen Rasenlatscherei, der Bequemlichkeit und des Strebens nach schnellem, möglichst aufwandslosem Lustgewinn führen dazu, daß Herr Schmidbauer zum einsamen und weitestgehend ungehörten Propheten in der Wüste wird, dessen Mahnen in Kassandra-Rufen verhallt.

Herr Schmidbauer ist kein verbitterter Wetterer und Eiferer. Er ist ein Mann vom Fach. Vom psychoanalytischen Fach. Ein Schüler Freuds. Einer, der kühl beobachtet und analysiert und dann seine Konklusionen ruhig, überlegt und vor allem in nachvollziehbarer Übersichtlichkeit vorträgt. Er agiert viel mit den Begriffen der Progression (Disziplin) und der Regression. Es wird verständlich, woher diese beiden gegensätzlichen Verhaltensrichtungen stammen, die den Menschen in seiner Lebensbahn prägen. Man begreift, daß beide notwendige Bestandteile eines Gesamtcharakters sind, die jedoch in einem bewußt kontrollierten Gleichgewicht gegeneinander ausgewogen werden müssen. Sicher, schon die alten Hochkulturen haben diese Wahrheit sinngemäß erfaßt und entsprechend versucht unters Volk zu bringen. Ob es die Buddhisten sind, die den Weg der vier edlen Wahrheiten verkünden, oder aber die Christen, die vom sanft abfallenden und bequemen Weg in die Hölle, im Gegenzug dazu aber vom steinigen, engen Pfad in den Himmel sprechen - immer stand im Vordergrund, daß der Weg zu einem erfüllten Dasein getragen wird von den Prinzipien der Mäßigung und der kontinuierlichen und fleißigen Arbeit.

Nicht umsonst legt die Bibel dem König Salomo die Worte in den Mund: Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr! Wenn sie auch keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herren hat, so bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte. Wie lange liegst du, Fauler? Wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Ja, schlafe noch ein wenig, schlummre ein wenig, schlage die Hände ineinander ein wenig, daß du schlafest, so wird dich die Armut übereilen wie ein Räuber und der Mangel wie ein gewappneter Mann. Sprüche Salomos 6.6-11

Und wenn's dann soweit ist, dann werden wir nicht etwa schlau und lernen aus den Fehlern. Nein, dann muß eine schnelle, radikale Lösung zur Behebung des als störend empfundenen Problems gefunden werden. Und koste es das Leben des Nächsten. Wenn es schief geht, so kann man sich für den Rest des verpfuschten Lebens noch immer selbst bemitleiden.

Aber bis dahin - volle Kraft voraus! Der Eisberg ist nahe. Bis dahin lesen wir noch ein wenig Rosamunde Pilcher und Hedwig Courths-Mahler und träumen uns in rosige Scheinwelten. Weil das allemal bequemer ist, als sich mit der Realität kämpferisch auseinanderzusetzen. Mit einer Realität, die man nicht so einfach wegzappen kann, wie Herr Schmidbauer richtig bemerkt. Wegzappen, wie wir es von der Television und den durch sie vermittelten Scheinwelten gewohnt sind.

Aber das alles ist eben unbequem. Sich diesen Dingen zu stellen, das Buch Herrn Schmidbauers zu lesen und für das eigene Leben umzusetzen, selbst zu beobachten und nachzudenken - das erfordert ein hohes Maß an Progression und Disziplin. Wer will das schon? Wer will schon auf den Wegen der Tugenden bleiben, wenn der Rasen so verführerisch zum Abkürzen, zum Rasenlatschen einlädt? Die wenigsten. Und deshalb landet dieses wertvolle Buch in der Krabbelkiste, obwohl es eine Eisbergwarnung ist. Wie schon ähnliche Werke in den Jahrhunderten zuvor.

Es ist das Traurige, das dem Thema innewohnt, das auch das Buch Herrn Schmidbauers nur eine Bestandsaufnahme sein kann. Probate Lösungen anzubieten, das kann auch einem so exzellenten Werk nicht gelingen. Denn es gibt keine. Über Jahrmilliarden hinweg wurde alles Lebendige und so auch der Nackte Affe zu dem, was sie sind. Die Basisprogramme, die der Kreatur ins Archencephalon geschrieben wurden, sind so unverwüstlich, so stark gegen eine kurzfristige Umprogrammierung und Korrektur geschützt, daß man getrost alle Hoffnung fahren lassen kann.

Und warum auch nicht? Während ich diese Zeilen schreibe, schlummert meine kleine Rattendame neben mir. Sie ist die wertvollste Gefährtin, deren Leben zu teilen mir mein Gott in seiner unendlichen Güte erlaubt hat. Sie ist alt. Den großen Triumph ihrer Spezies wird sie nicht mehr erleben. Muß sie auch nicht: meine kleine Rättin, Günter Grass und ich sind uns einig - es ist nur eine Frage der Zeit! Bequemlichkeit und kurzfristiges, regressiv determiniertes Verhalten hat schon einmal zum regionalen Verlöschen einer menschlichen Kultur geführt. Man erinnere sich des Verschwindens der Mayakultur auf der Halbinsel Yukatan. Der Natur in diesem Winkel Mittelamerikas hat das keinen nachhaltigen Schaden getan. Sie hat sich erholt. Und allein dieser Umstand sollte jeden Menschen, der sich selbst nicht unendlich wichtig nimmt, über den notwendigen Fortgang der Dinge trösten.

Herrn Schmidbauers Buch zeigt uns die Stolperfallen, in die die zivilisierte Menschheit unweigerlich hineintappen wird. Daran ist nicht zu rütteln. Was bleibt, ist der Wegweiser, den jeder einzelne Interessierte für sich in Anspruch nehmen kann, um seinem eigenen Dasein Erfüllung und Innere Ruhe zu verleihen. Aber wie schon oben gesagt, das haben kluge Vorfahren bereits getan, seit die Schrift erfunden wurde. Magnus G. hat davon keine Kenntnis genommen, als er mit seinen Freunden und Freundinnen shoppen und saufen und Partys feiern war. Und so gingen seither und seitdem die allermeisten Menschen mit ihrem Dasein ins Werk. Diese Haltung wird noch viele kleine und große Jakobs das Leben kosten, ehe eines Tages der ganze Dampfer absäuft.

Die gangbaren Alternativen bleiben langfristig ungehört, Herrn Schmidbauers Buch einem begrenzten Leserkreis vorbehalten und Troja wird ein Raub der Flammen - wieder und wieder und wieder, bis sich diejenigen das Recht auf die Dominanz erkämpfen, in deren Gemeinschaft das Regiment der Liebe, der Gemeinsamkeit und der unaufgeforderten Arbeit fürs Ganze herrscht: Bonobos, Ratten, Wölfe, Ameisen, Bienen... In diesem Sinne darf ich Sie grüßen von den tiefen, dunklen Äugelchen meiner kleinen, entzückenden, vierpfotigen Gefährtin. Auf der Seite Photos können Sie sie sehen.

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003