zurück
zur Stammseite "BÜCHER"
|
Flowers for Algernon
by Mr. Daniel Keyes
für eine kleine, Große Prinzessin aus
dem Land der Fjorde
K. K. Bajun
Wir können nicht anders, als
dieses Buch mit zitternder Hand zu besprechen. Ein kleines Büchlein
nur – fast eine Novelle, geschrieben in der Form eines Tagebuches.
Mehr nicht. Mehr nicht? Eine literarische, eine zutiefst menschliche Geschichte
pulst und pocht zwischen diesen Seiten, wild, traurig und ungestüm.
Wie schon beim „House of God“ kennen wir auch hier leider
nur die amerikanische Originalfassung und sind nur vage von einer deutschen
Übersetzung informiert. Aber auch bei diesem Werk empfehlen wir dringlichst
die Lektüre der Urschrift. Denn es ist dem Autor gelungen, das Beste
aus der englischen Sprache herauszulocken – die ganze Unendlichkeit
der Gefühle, die sie in Worte zu kleiden versteht, die Warmherzigkeit,
die in all ihren Zeilen mitschwingt. Das Englische, o diese vielfach geschändete
Schönheit! Spröde und hart wirkend dem, der ihr fremd begegnet
und doch dem, der sie liebt, eine so mitfühlend liebliche Fee unter
den Sprachen Europas. Nicht süßlich aufdringlich, nicht courtoise,
nicht heuchlerisch charmant – diese Sprache vermag Herzen zum Vibrieren
zu bringen, zu fesseln und mitzureißen.
Sie reißt uns in eine Geschichte, die durchglüht ist von Tragik,
von Sehnsucht und Verzweiflung. Und die sind echt. So echt, daß
sie uns verbittern lassen gegen alle schmalzigen Schinken, die sich dieser
existentiellen Erfahrungen in abstoßend flacher Manier bedienen,
um Kasse zu machen.
Sie reißt uns in ein Büchlein, daß am Ende Blumen pflanzt,
die blühen werden, solange es Menschen gibt, die mit lebenden Lettern
etwas beginnen können. Menschen, die den Sinn zu lesen verstehen,
den Herzschlag eines Buches zu ertasten vermögen. Es läßt
diese Blumen erblühen auf dem Grab eines kleinen Mauseböckchens
namens Algernon. Es legt Blumen nieder zu Füßen des armen Burschen
Charly, dem es vergönnt war, für eine kurze Weile aus dem tiefen
Tal grenzdebiler Dummheit aufzutauchen in die strahlend-lichten Höhen
des überragenden Geistes. Und der dann zurückstürzen mußte,
bei vollem Bewußtsein in die dunklen Tiefen der puren, der belebenden
Kraft des Denkens fernen Existenz. Der Existenz eines Trottels, der den
Hohn seiner eigentlich noch weitaus dümmeren Mitmenschen als freundliche
Zuwendung verkennt. Der unbedarft lachend hinhält, wenn sich die
Couillons an seinen Gebrechen delektieren. Wenn sie sich beim Anblick
des Schwachsinnigen über ihre eigene, deutlich gefühlte Insuffizienz
hinwegtrösten. Lumpenhunde, die sich krampfhaft einreden, für
die Krone der Schöpfung zu gelten und den Spiegel, den sie in Gestalt
des armen Schwachkopfes vor die Nase gesetzt bekommen haben, eher zu zerschlagen
bereit sind, als das ihnen ein kläglicher Mut gestattete, einen aufrechten
Blick hineinzutun.
Es ist die Fratze der idiotischen Überheblichkeit, der alten Feindin
der Demut, die uns aus der Bosheit jener Gesichtslosen entgegengrinst.
Ehret den Narren, ehret den Schwachkopf, denn aus ihm spricht die Stimme
Gottes! Das lehrten die Alten, wenn sie nicht gerade aus persönlicher
Not gezwungen waren, ihre Blöden in Narrenschiffe zu pferchen und
dann den Rhein abwärts in den sicheren Tod treiben zu lassen.
Der Schwachkopf, der vom Autor unseres Buches zum Helden bestimmt wurde,
wächst in den hinteren Räumlichkeiten einer amerikanischen Bäckerei
auf. Mehr schlecht und recht. Man läßt ihn leben und manchmal
hat es den Anschein, als bräuchte man ihn als Fußabtreter,
um sich – wie oben beschrieben – zu vergewissern, daß
man selber noch nicht ganz unten angekommen sei, im Bodensatz aller menschlichen
Existenz. Und so wird er, der von Natur aus ein freundliches Naturell
besitzt, zur Zielscheibe von Hohn und Spott und Frotzeleien.
Nur seine Debilität schützt ihn barmherzig vor den Schmerzen
der Seele, denn er begreift das Gift nicht, das den Wortpfeilen inne ist,
die auf ihn abgeschossen werden. Er lächelt. Er wehrt sich nicht.
Er schlägt nicht zurück. Wie denn auch?
Bis eines Tages ein Wunder geschieht. Die Wissenschaft hat ein Serum entdeckt,
das in einem nicht geahnten Maßstab die Entwicklung von vielseitiger
Intelligenz zu fördern imstande ist.
Getestet wurde es an ebenjenem Mauseböckchen Algernon, der seinen
Namen nach einer Oscar Wild’schen Figur trägt. Algernon, der
kleine Nager nun ist nach Applikation des Serums über sich hinausgewachsen,
lernte rasend schnell und verblüffend viele Fähigkeiten, die
das Gewöhnliche weit hinter sich ließen.
Es war nun an der Zeit, die gewonnenen Erkenntnisse an einem menschlichen
Probanden auszutesten und Charly, der debile Junge aus der Backstube schien
geeignet wie keiner sonst.
Das Experiment schlug an. In einem verblüffenden Tempo begann der
Junge zu lernen – alles, alles, alles. Was denkbar war, lernte er:
Mathematik, Sprachen, das Schachspiel, Physik in einem Maße, das
es ihm spielend ermöglicht hätte, Einsteins Relativitätstheorie
zu einem Abschluß zu bringen. Er erwarb sich Wissen über Kunst
und Verhaltenskunde, Biologie und – ach, was weiß ich. Eben
alles. Er wurde in kurzer Zeit zum Prototypen eines Universalgelehrten
neuester Prägung, ein Geistesgigant, der denen, die ihn noch gestern
verlacht, aber doch immerhin geduldet hatten, suspekt wurde. Sie bekamen
Angst vor ihm, stießen ihn von sich. Denn nun war kein Wegsehen
vor der eigenen Erbärmlichkeit mehr möglich. Er begann, einsam
zu werden. Denn er zog an allen vorbei.
Natürlich erkannte er bald, daß die, die er in seiner Geistesschwäche
für Freunde hielt, weil sie anscheinend mit ihm lachten, eigentlich
nur über ihn lachten. Ihre primitiv gestrickte Struktur erschloß
sich dem rasant Lernenden im Vorrübergehen. Sein freundliches Naturell
aber wich trotzdem nicht von ihm. Er reichte seine Hand. Aber die, die
vorher lachten, wandten sich nun ab. Sie wandten sich ab und wollten mit
dem dummen Charly von einst nichts mehr zu tun haben.
Andere, wie die Lehrerin Mrs. Kinnian und der Arzt Dr.Strauss begleiteten
ihn nun. Aus erfühlter Zuneigung und oder wissenschaftlichem Interesse.
Doch begleite einer eine startende Rakete! Sie saust vorüber, uneinholbar,
keine Chance mit ihr wirklich zu kommunizieren. Von Einsamkeit zu Einsamkeit!
Und diesmal kein Schutzschild mehr, das bewahren würde vor den Qualen
des Herzens.
Dann, eines Tages, die schreckliche Erkenntnis dessen, was sich am Horizonte
ankündigt. Was auf einen zukommt, unbarmherzig, unvermeidlich. Der
Absturz. Der Fall zurück. Der Fall ins Bodenlose. Und diesmal begleitet
vom Wissen um die sich abzeichnende Tragödie.
Wer vormals nie etwas anderes kennenlernte, der kann nichts vermissen.
Wer aber einmal von der süßen Frucht gekostet hat, den ereilt
eine wahrhaft danteske Hölle bei dem Gedanken an den Verlust. Und
doch und immer wieder siegt der freundliche Charakter, der nicht korrumpiert
wurde durch die Höhenflüge des Geistes und also nicht verdarb
und nicht verkam. Dieser Charakter, der sich die tiefe Demut des Gottesnarren
bewahrte, schützt am Ende, als alles zusammenbricht, vor dem Verlust
der Würde. Diese kann nicht abnehmen, diese kann nicht brechen, sie
kann nicht verschwinden!
Voraus geht das Mauseböckchen, die unheilvolle Richtung weisend.
Algernon, der auf dem Weg in die Schrecknisse der Dunkelheit vorantappt.
Und dem noch lichten Charly ist klar, was folgt. Es ist eine tiefe Verwandtschaft
zwischen diesen beiden Kreaturen Gottes. Ein unsichtbares Band kettet
sie zusammen – stärker noch als die Trossen, die die Golden
Gate Bridge halten, so hoch über dem Sund.
Nein, wir müssen uns bremsen! Wir können, wir dürfen nichts
vorwegnehmen.
Aber wir dürfen sagen, daß wir die letzten Zeilen dieses Buches
nur mit Mühen zu lesen vermögen. Nicht, weil sie die fehlerhaften
Zeilen eines Mannes sind, der bei vollem Bewußtsein seines Verstandes
verlustig geht. Wir vermögen dieses Englisch trotzdem zu verstehen.
Denn wir erfassen es mit dem Herzen. Schwer aber ist es, durch Tränen
hindurch zu lesen:
P.S. please if you get a chanse put some flowrs on Algernons grave in
the bak yard.
Wir hoffen, mit diesem kurzen Artikel Charlys Wunsch entsprochen zu haben.
|