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Herzstiche
Zusammengestellte Briefe des
Monsieur Savinien Cyrano Hercules de Bergerac
Jules-Francois S. Lemarcou
In den ersten Apriltagen des Jahres
2004 eröffnete der Doyen der deutschen Literatur, Herr Günter
Grass in der Hansestadt Lübeck eine Ausstellung, deren Inhalt im
Vergleich zweier deutscher „Mehrfachbegabungen“, bestand.
Sowohl Herr Grass nämlich, wie auch der Dichterfürst J.W.v.Goethe
sind bzw. waren sowohl Künstler des Wortes als auch Meister des Zeichenstiftes.
Wir berichteten im „Landboten“ darüber.
Davon angeregt wollte ich nun wissen, ob auch die Grande Nation solche
Mehrfachbegabungen hervorgebracht hat. Sie hat. Die Suche war schnell
von Erfolg gekrönt. Denn ich stieß auf den berühmten Cyrano
de Bergerac, den legendären Gascogner Kadetten, den naturwissenschaftlich
und humanistisch gebildeten Soldaten, den Poeten mit der Zunge, die schärfer
und spitzer sein konnte als sein Degen, die aber auch unsterblichen Geist,
Witz und Schönheit in die Worte der französischen Sprache zu
kleiden vermochte. Ein Zitat dieses feingeistigen Haudegens schmückt
im übrigen die Titelseite des „Landboten“. Proben seines
Scharfsinns, seiner Eloquenz und seiner fürwahr teilweise „bestechenden“
Argumentation geben uns noch heute, mehr als dreihundert Jahre nach seinem
unzeitigen Tod, seine auf uns überkommenden Briefe. Diese wurden
unter dem Titel „Herzstiche“ vom dtv-Verlag der Öffentlichkeit
vorgestellt.
Ein Fenster tut sich für uns auf, ein Fenster in die uns langsam
fern werdende Periode des Barock. Dieser schillernden und doch so brutalen
Epoche der europäischen Kulturgeschichte. Dieser Periode voller Gegensätze.
Das Theater war den Menschen alles, das Gespielte, die Sehnsucht nach
der Illusion. Ganze Landschaften wurden in Theaterkulissen verwandelt.
Die Antike war in den Köpfen der gebildeten Köpfe und Stände
allgegenwärtig. Man beschwor ihre Götter und Helden unablässig
und ließ trotzdem nicht ab, sich auf der Suche nach dem Elysium
der Schäferspiele gegenseitig den Schädel einzuschlagen.
Es war wohl für niemanden angenehm, den Weg dieses ungebändigten
Edelmannes kreuzend, dessen Mißfallen zu erregen. Denn wen der mit
dem Degen nicht erreichen konnte, den traf er mit der Feder. Scarron beispielsweise,
der mit dem Elend seiner Erkrankung gerne insofern kokettierte, als er
sich gern den „Krüppel der Königin“ nannte. Dieser
Dichter trat Cyrano gegenüber irgendwann einmal mit ungehöriger
Arroganz gegenüber. Und da hatte er dann den Salat! Der Gascogner
schrieb und schrieb sich die ganze Wut der gekränkten Seele in scharf
geführter Polemik vom Leibe. Wenn er dabei so manches Mal über
das Ziel hinausschießt und in einen pöbelnden, ja nachgerade
unter der Gürtellinie beleidigenden Ton verfällt, so muß
man diese doch recht derben Entgleisungen dem Geist der Zeit zurechnen,
der sich von dem der Gegenwart doch recht deutlich unterschied.
Dennoch leuchtet aus jedem Satz, zwischen jeder Zeile der Esprit hervor
und die umfassende Bildung, über die der Autor verfügte. Ein
literarischer Hochgenuß.
Die unter dem Titel „Herzstiche“ zusammengefaßten Briefe
und Streitschriften des Cyrano beweisen die rege Anteilnahme, die der
Krieger-Dichter am gesellschaftlichen Leben unter der Herrschaft des Roi
du Soleil nahm. Weit entfernt, ein Salonlöwe zu sein, kam doch niemand
an Cyrano vorbei, der sich im Paris Ludwigs des Vierzehnten zu Politik,
Kunst oder Kultur zu äußern gedachte. Das Paris Molieres, das
Paris Lullis, das Frankreich Corneilles.
In Europa tobte der Dreißigjährige Krieg, der so unendlich
viel Verrohung und Abstumpfung mit sich brachte und den Tod zu einem beständigen
Begleiter machte. In dieser Zeit allgemeinen Verfalls die Fackel der kulturellen
Errungenschaften des Abendlandes hochzuhalten, auch das ist ein unsterbliches
Verdienst des hochtalentierten Soldaten.
Politisch – utopische Träumereien wie seine „Mondreise“
oder „Die Geschichte der Staaten der Sonne“ zeigen nicht nur,
wie universal gebildet dieser Soldat war, der den Kadetten unter der Hauptmannschaft
von Monsieur Castel-Jaloux diente, sie weisen auch darauf hin, mit welch
reger Anteilnahme und wachem Beobachtungsgeist er das Wesen seiner Umwelt
aufnahm und reflektierte.
Natürlich müssen wir ein wenig abrücken vom Bild des Cyrano,
wie es von Edmond Rostand vermittelt wurde. Das gleichnamige Stück
geht zu Herzen, sicher. Es wird aber nicht unerheblich von dem Anspruch
gefärbt, eine politische Aussage zu treffen. In der Zeit der größten
Bedrängung durch die teutonischen Vettern und Erbfeinde wurde, quasi
als Gegengewicht zum „tumben Boche“ gern der „esprit
gauloise“ beschworen, der doch noch hundert Jahre früher dazu
taugte, als unangefochtene europäische „Leitkultur“ zu
dienen.
Insofern erscheint und der von Herrn Rostand porträtierte Cyrano
als nicht ganz authentisch, was aber der Qualität dieses grandiosen
Bühnenstückes keinerlei Abbruch tut. (Ich verweise an dieser
Stelle gerne auf die filmische Interpretation mit Herrn Depardieu in der
Hauptrolle.) Doch ist es nicht meine Absicht, an dieser Stelle einer geplanten
Besprechung des Bühnenwerkes von Herrn Rostand vorzugreifen. Wir
werden andernorts auf dieses Thema eingehender zu sprechen kommen-
Was uns Herr Rostand nämlich vorenthält, ist der Umstand, daß
der Herr von Bergerac ein begeisterter Parteigänger des ? Kardinals
Mazarin war und die Frondeure erbittert bekämpfte, wie denn ebenfalls
aus seinen Briefen zu erlesen ist. Dazu gehörte in der Zeit von Mazarins
Exil ein schon fast selbstmörderischer Mut. Eine solche Positionierung
bedeutete nicht nur, dem rasenden Mob von Paris vor die Füße
zu spucken, sondern auch mächtigen Pairs und einflußreichen
Bürgern von Frankreich den Fehdehandschuh hinzuwerfen.
Cyrano schien sich in einen Lachs zu verwandeln, der an nichts mehr Vergnügen
empfindet, als gegen den Strom zu schwimmen. Ein Ehrenmann, der sich selbst
treu blieb, der nichts gab auf die allgemeine Meinung. Der einen kühlen
Kopf behielt, als Paris geschlossen überkochte. Der Kardinal-Minister
mochte seine Fehler gehabt haben. Gierig wie die Sünde war er wohl,
vom Thema Finanzen unbeleckt. Undank wird ihm nachgesagt und ein grobes
Verhältnis zu den Fragen gefühlter Gerechtigkeit. Er mochte
große Verantwortung für die unendliche Verelendung der Massen
auf sich geladen haben. Doch nur hellen und politisch weitsichtigen Köpfen
erschloß sich die volle, die überragende Bedeutung dieses Politgenies.
Sein unschätzbarer Wert für Frankreich war eben nur wenigen
bewußt. Cyrano erwies sich als einer jener wenigen Leute mit ebendiesem
Weitblick. In dieser Zusammenstellung seiner Briefe, die unter dem Titel
„Herzstiche“ publiziert wurden, stellt er seinen überragenden
Verstand und seine beißende Feder in den Dienst einer Sache, die
er für politisch richtig erkannt hat. Und bleibt ihr treu.
Sicher, das uns erhaltene Œuvre des Cyrano de Bergerac ist nicht
von dem immensen Umfang, an dem die Qualität von Schriftstellern
so gerne, doch sehr zu Unrecht festgemacht wird. Doch die Menge beschriebener
Bögen braucht es auch nicht. Die vergleichsweise wenigen Seiten aus
der Feder dieses großen Franzosen überzeugen uns hinlänglich
der außergewöhnlichen Persönlichkeit, die sie verfaßte.
Insofern grüßen wir unseren großen Landsmann und Zeitgenossen
Grimmelshausens über dreieinhalb Jahrhunderte hinweg und freuen uns
über das brillante Erbe, das er uns unter anderem in Gestalt seiner
Briefe hinterlassen hat.
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