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Auf der Flucht
Wikileaks die Zweite


B. St. Fjøllfross
"Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht", plakatierte einst der Feind. Und obschon BILD der Feind ist, so hatten sie mit diesem Werbesatz doch absolut recht. Einer dieser Mutigen ist Julian Paul Assange, Journalistenkollege und legendärer Gründer von Wikileaks. Nach den jüngsten Enthüllungen seiner Internetplattform über die diplomatische Korrespondenz der Vereinigten Staaten von Amerika wird er nunmehr gejagt. Und da hört's auf. Die U.S.A. mögen Assange als Staatsfeind betrachten – aber dieser Pressemann muss unter dem Schutz des demokratischen Dogmas stehen: Ich bin zwar anderer Ansicht als Sie, aber ich stehe dafür mit meinem Leben ein, dass Sie Ihre Ansicht ungehindert vortragen können. Hyde Park Corner ist eine Festung der Demokratie! Und wenn sich Hyde Park Corner über ein Portal namens Wikileaks ins Internet begibt, dann behält dieses Bollwerk der freien Meinungsäußerung noch immer seinen ehernen Status der Unangreifbarkeit. Mit der Veröffentlichung des diplomatischen Schriftverkehrs ist Assanges Truppe unserer Meinung nach übers Ziel hinaus geschossen und wir haben dagegen in diesem Volumen polemisiert. Doch, wenn wir in der Sache auch verschieden denken, so stehen wir doch vorbehaltlos hinter Assange. Dass man ihn nun über den widerlichen Vorwurf eines oder mehrerer Sexualdelikte zur Strecke bringen will, weil man ihn offensichtlich de jure wegen der Veröffentlichung der ihm zugespielten Dokumente nicht belangen kann, hat ein übles Geschmäckle. Wir wissen natürlich nicht, was an den Vorwürfen dran ist. Aber – es fällt doch auf, dass zwei Frauen just in dem Augenblick beginnen Zeter und Mordio zu schreien, nachdem sie voneinander Kenntnis erlangten und damit realisierten, dass sie dem uralten Wunschtraum des weiblichen Geschlechtes aufgesessen waren , die „Einzige“ zu sein. Und das alles auch noch zu dem passenden Zeitpunkt, in dem die „freieste“ und „demokratischste“ Nation der Welt beginnt Gift und Galle gegen den Mann zu spucken, für den sie gerade eben noch die Beine breit gemacht hatten. Für jegliche Justiz auf dem Globus, die an der Leine des Kapitols hängt, ein gefundenes Fressen. Doch Vorsicht! Das könnte den Häschern schwer im Magen liegen. Staatsfeinde von solchem Format offen zu attackieren, geht mitunter ganz doll nach hinten los. Die katholische Kirche kann einen Choral davon singen: Wer Leute wie Hus oder Bruno ins Feuer schickt, wird ihre Geister nie wieder los. Bonnie und Clyde waren dem FBI eine Lehre und könnten zu den Gründen zählen, warum Osama bin Laden noch immer brav und friedlich seine Dialysen absolvieren kann, ohne dass ihm eine amerikanische Task Force den Stecker aus der Blutspülmaschine zieht. Und sie könnten auch ein Grund dafür sein, dass Amerika den Bannfluch gegen Assange schleudert, ohne ihn mit einem Billet nach Guantanamo auszustatten. Die Drecksarbeit lassen sie andere machen. Die schwedischen Behörden beispielsweise. Die Anwürfe gegen Assange sind von psychologisch ausgesuchter und desungeachtet nichtswürdiger Qualität: Gerade in den sich prüde gebenden U.S.A., bei ihren europäischen Aftervasallen – um das hässliche Wort „Arschkriecher“ zu vermeiden – und – und das ist nun wirklich der sublime Gipfel der psychologischen Kriegsführung – bei denen Muselmännern in aller von den U.S.A. vor den Kopf gestoßenen Welt sind Sexualdelikte nun wirklich an diskreditierendem Potential nicht mehr zu überbieten: Wer als Bösewicht mit Frauen gegen deren Willen rummacht, der kann selbst messianische Botschaften aussenden – deren Sinngehalt interessiert nicht mehr. Das Thema ist befleckt, schmutzig, entheiligt – pfui Teufel... Und die Amis, die sehr achtbare Erfolge auf dem Gebiet der Entschlüsselung des menschlichen Verhaltens verzeichnen können, wissen ganz genau um die Eigenart der meisten Menschen, die es ihnen nicht gestattet, die Botschaft von ihrem Verkünder zu trennen. Das ist ein dreckiger Krieg, den man gegen Assange führt, getreu dem Motto.:Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken!
Die sich am meisten aufregen, sollte man stattdessen einmal genauer unter die Lupe nehmen. Es ist doch aberwitzig herumzutönen, Assange bringe Leute in Gefahr, wenn er dergestalte Informationen preisgäbe und sei somit ein Risiko für die nationale Sicherheit. Das ist so ziemlich dasselbe, als würde ein ertappter Dieb auf dem Markte herum brüllen, wer ihn festnehme, störe die öffentliche Ruhe und Ordnung, Delikt hin, Diebstahl her. Das ist doch paradox. Das ist doch nicht ernstzunehmen!
Was nun die Blamage derer betrifft, die beim Schwatzen erwischt worden sind, sie sind heillose Narren, die aus der Geschichte nichts gelernt haben. Helmut „Muntermacher“ Metzner ist so ein Schnarcher. Als die Mauer fiel, war der Muntermacher nach bundesdeutschem Recht gerade volljährig und hätte intellektuell so fit sein müssen, die Vorgänge um die enttarnten Spitzel adäquat einordnen zu können. Aber jede Generation pflegt halt ihren eigenen Größenwahn von Immunität und Unangreifbarkeit. Das aller Ehren werte Loyalitätsgesülze des Herrn Bundesaußenministers auf der jüngsten Presskonferenz wurde sozusagen durch seinen eigenen Brutus oder Lord Scroop von Masham auf tragikomische Weise ad absurdum geführt. Dirk Niebel schickt den plaudernden Büroleiter Metzner in die Wüste, um „Schaden von dessen Person abzuwenden“. Derweil ringen wir vor Lachen nach Luft. Wo soll er hin, der Ausgestoßene? In die amerikanische Botschaft auf den Pariser Platz etwa? Dort, wo er als brave kleine Nachtigall so eifrig in die Ohren der Amerikaner flötete, was seinem Chef so gar nicht recht genehm sein konnte? Man liebt den Verrat, nicht den Verräter. Auch wenn der amerikanische Ambassadeur versuchte, seinen Zuträger mit schmeichelhaften Attributen zu carmouflieren, war an der Personalie nichts mehr zu retten. Zu eindeutig ließen sich die bei Wikileaks aufgetauchten Dokumente ihrem Verfasser zuordnen. Als aufstrebend und erfolgversprechend, eine gutplatzierte Quelle beschrieb Philip D. Murphy, amtierender U.S.- Botschafter in Berlin seinen „Informellen Mitarbeiter“, der ja auch Leiter der Abteilung für Außenbeziehungen im FDP-Präsidium gewesen ist. Das aufstrebende Moment im Darm seiner amerikanischen Freunde scheint nunmehr mangels versiegter Quelle sein Ende gefunden zu haben – der U.S.- Schließmuskel dürfte sich bei erneuter Annäherung des verbrannten IM „Plüschhase“ zur Kontraktur entschließen. Ein ähnliches Schicksal wird nun auch vielen anderen Ohrenbläsern und Plaudertaschen weltweit zuteil werden – in einigen Ländern unter dem Halbmond ist sogar eine Entfernung der geschwätzigen Zunge in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Scharia oder des amtierenden Scheichs denkbar. Aber wir wollen nicht schadenfroh sein. Es ist nur eben diese widerwärtige Lust am Denunzieren des Nächsten, am Verrat, um sich zu profilieren oder anderweitig wichtig zu machen, die uns am Nackten Affen so anödet. Die Göttin Dialektik aber spendet uns zärtlichen Trost: Ohne diese Seuche gäbe es nun kein hehres Instrument wie Wikileaks und für uns ein ergiebiges Thema weniger, über das wir uns echauffieren könnten. Dem Herrn Kollegen Assange aber wünschen wir, dass.er nicht wie Dr. Richard Kimble, Salman Rushdie oder Osama bin Laden den Rest seines Lebens auf der Flucht verbringen muss und dass ihm irgendein vernünftiger Staat dieser Welt Asyl anbietet, da er Schutz von seiner Down-Under-Heimat kaum zu erwarten hat. Wir empfehlen nicht so sehr Ecuador oder die Schweiz ins Auge zu fassen, sondern eher die bergige Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan. Neben Osama bin Ladens Dialysebette müsste sich noch ein lauschiges Plätzchen finden lassen, was die amerikanischen Geheimdienste im Leben nicht finden oder finden wollen. Und sein Gastgeber würde ihm die berühmte arabische Gastfreundschaft schwerlich versagen – denn Herrn Assanges Attacke auf die U.S.A. steht der von 9/11 nun in wirklich kaum in etwas nach.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
03.12.2010