In Moskau ist der Teufel 
          los
          zum Anschlag von Domodjedowo
        am 66. Jahrestag der Befreiung 
          des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz
          Herrn Mendel Szajnfeld (+2. 8.1922 in Sosnowitz †21. 05. 2000 
          in Oslo) gewidmet.
        Vor den Augen des Höchsten 
          bist Du ein Gerechter!
        Kotofeij K. Bajun
          Es ist grauenhaft. Egal ob in New York, London, Madrid oder jetzt in 
          Moskau: Banditen zünden Sprengstoff mitten in einem Haufen Zivilisten, 
          die von sonst woher kommen und stammen können. Viele von ihnen 
          haben weder etwas mit den Problemen des Herkunftslandes der Terroristen 
          zu tun, noch mit den Problemen des Landes, dem ihr Attentat gilt. Das 
          brauchen sie auch nicht. Es geht den Ungeheuern, die solches Elend anrichten, 
          auch nicht um diese Menschen. Diese armen Leute sterben nicht einfach 
          infolge von Kollateralschäden. Ihr Tod dient gezielt dazu, Angst 
          zu verbreiten und die Regierung des adressierten Landes unter Druck 
          zu setzen. Die Weltöffentlichkeit soll ihren Blick auf das Geschehen 
          richten. Das tut sie auch. Seit München 1972 aber dürfte dem 
          letzten Terroristen, er mag dämlich sein wie Bohnenstroh, klargeworden 
          sein, dass der erzielte Effekt nicht dem Wunschdenken der Mörder 
          entspricht. Wut und Abscheu richten sich gegen sie und nur die Wenigsten 
          werden wohl hinterfragen, welches Elend Menschen treibt, sich selbst 
          in die Luft zu sprengen. Ist es nur das Elend? Es gibt noch ein zweites 
          Agens, das den Selbsterhaltungstrieb überwindet und zu solchem 
          Irrsinn befähigt: Die Gier nach Macht. Wir wissen das seit den 
          Untaten des Alten vom Berge. Sinan Raschid ad-Din hatte von Masyaf aus 
          seine Haschisch getränkten Assassinen schon vor achthundert Jahren 
          auf Meucheltour geschickt. Er selbst begab sich nie in ernsthafte Gefahr. 
          Im reichte es zu herrschen. Mochten die anderen für ihn sterben. 
          Die Idioten ließen sich damals wie heute ein Märchen vom 
          Himmelreich erzählen. Gepaart mit dem alltäglichen Hunger 
          war dieses Märchen wirkungsmächtig genug, die Killer zu bewegen, 
          auf das irdische Leben zu verzichten. Hätten sie auch nur einen 
          Funken Verstand gehabt, ihnen wäre klar gewesen, dass, gäbe 
          es dieses Paradies, Sinan und alle seine Nachfolger ihnen hier wie dort 
          kein Tüttelchen Macht gönnen würden, kein Wohlleben und 
          keine Privilegien. Billig lässt sich etwas versprechen, von dem 
          man selbst sicher weiß, dass es nicht mehr als ein Luftschloss 
          ist. Aber das ist nun mal Herrschaftswissen. Die Idioten sind eben die 
          Idioten, weil sie das nicht wahrhaben wollen, selbst wenn man ihnen 
          diese simple Wahrheit um die Ohren drösche. Vielleicht bleibt ihnen 
          auch keine Alternative zu diesem Glauben. Denn es könnte ja sein, 
          dass jede andere Welt, sie möge das Paradies, die Hölle oder 
          einfach nur leer und dunkel sein, besser ist, als ihre irdische Gegenwart.
          Es sieht so aus, als wäre der zerstörerische Cocktail um eine 
          dritte Ingredienz bereichert: Es ist der Hass, der Schrei nach Rache. 
          Beinahe jeder Mensch auf der Welt hat Grund jemanden anderen zu hassen. 
          Das Potential ist schier unerschöpflich. Ein paar russische Soldaten 
          ballern ein paar Tschetschenen über den Haufen und schon bekommt 
          man die Witwen frei Haus um sie mit Sprengstoffgürteln und Maschinenpistolen 
          bewaffnet in ein Moskauer Theater zu schicken. Mischka, der russische 
          Bär, zeigt in gewohnter Manier, dass er solche Anschläge auf 
          seine asiatische Weise pariert: Er schickt die Omon-Truppen und die 
          machen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt. Sie handlen nach 
          der bewährten Devise des Mönches Arnold Amalrich, die er 1209 
          zu Béziers zum Besten gab: "Tötet sie alle, Gott wird 
          die Seinen schon erkennen!" Den unschuldig Gestorbenen kann man 
          ja posthum den Leninorden auf den Sargdeckel legen und sie zu Helden 
          der Sowjetunion erklären. Die Verluste stimmen zwar traurig, aber 
          was bedeuten sie schon gegen die knallharte Botschaft, die von der grauenhaften 
          Gemeinschaft des Todes vermittelt wird: Wagt es euch! Das einzige was 
          ihr bekommt, ist euer Tod!
          Die Terroristen haben diese Lektion mittlerweile gelernt. Geiselnahmen 
          bringen in Russland gar nichts. Also fangen sie jetzt an zu bomben. 
          
          Soll das Fundament einer utopischen Republik Nord-Kaukasus wirklich 
          auf dem Blut, dem Tod und den Tränen völlig Unschuldiger errichtet 
          werden? Den Befehlsgebern der feigen Assassinate ist diese moralische 
          Erwägung scheißegal. Ihnen geht es um ihr Wohlleben, ihre 
          Zukunft, ihre Macht, ihren Zugriff auf die lokalen Ressourcen. Dafür 
          dürfen dann andere getrost zu Hunderten und Tausenden in den Tod 
          gehen, Beteiligte und Unbeteiligte.
          Wir, die wir Russland lieben, bejubeln keineswegs alles, was hinter 
          dem Spasskij-Turm ausgeheckt wird. Der Kreml ist kein Chorknabeninternat. 
          Präsident Putin ist ein eiskalter Soldaten-Zar, der es mit Oligarchen 
          und üblen Menschenschindern hält, gleichwohl er einst als 
          Tschekist den Schutz der Armen und Entrechteten geschworen hat. Die 
          russische Armee hat zudem in Gebieten, in denen sie nichts verloren 
          hat, üble Verbrechen begangen. Leute, die es satt haben nach der 
          Moskauer Pfeife zu tanzen, wird es dort zuhauf geben. Das müssen 
          nicht einmal alles Separatisten sein oder Gannefs wie manche Häuptlinge 
          der ehemaligen Teilstaaten der UdSSR. Lukaschenko wäre das so einer... 
          Doch selbst einen Lukaschenko wegzubomben hätte niemand das Recht 
          – um wieviel weniger unbeteiligte Menschen in einem Flughafen, 
          die nichts anderes tun, als sich unglücklicherweise zu diesem Zeitpunkt 
          dort aufzuhalten.
          Wie man Präsident Medwedjew (Medwed ist übrigens russisch 
          und bedeutet „Bär“) deutlich ansah, haben die Verbrecher 
          ein Ziel absolut erreicht: Sie haben den Bären am Nerv getroffen 
          und seine Reaktion wird nicht auf sich warten lassen. Der Hieb seiner 
          Brante wird den Kaukasus in seinen Grundfesten erschüttern und 
          wieder werden hunderte Unschuldige in diesem Gebiet darunter bitter 
          zu leiden haben, was wenige Spinner in Moskau anrichteten. Gewalt gebiert 
          nur immer wieder Gewalt. Insofern richtet sich dieser barbarische Akt 
          auch gegen die, denen er eigentlich zur „Freiheit“ verhelfen 
          sollte, einer Freiheit, welche nur wieder darin besteht, satt den Zaren 
          nunmehr den lokalen Platzhirschen die Stiefel küssen zu dürfen.
          Wenn die Terroristen hofften, dass sich die eventuell die U.S.A. als 
          alter Russland-Antagonist ihrer Sorgen annehmen, so müssen sie 
          nach dem 11. September 2001 völlig verblödet sein. Die Attacke 
          gegen die Zwillingstürme war für die Amerikaner ein solches 
          Trauma, dass sie zwangsläufig an der Seite aller Opfer terroristischer 
          Gewalt stehen. Man möchte beinahe sagen, fest und unverbrüchlich. 
          Was uns aber an dem Moskauer Anschlag in Domodjedowo besonders abscheulich 
          und selbstmörderisch dünkt, ist, dass er Öl ins Feuer 
          der stetig erstarkenden russischen Nationalisten ist, der faschistischen 
          Schlägertrupps, die nunmehr wieder undifferenzierte Jagd auf jeden 
          in Moskaus Straßen machen, dem nicht auf den ersten Blick anzusehen 
          ist, dass er gebürtiger Russe ist. Haben sie das bedacht, die Idioten 
          aus dem Süden? Wohl kaum. Es hätte sie auch schwerlich interessiert. 
          Denn, wie gesagt, die Auftraggeber solcher feigen Attentate denken selten 
          noch an irgendjemand anderen als an sich selbst allein. Die einzige 
          Frage, die noch bleibt, lautet: Warum haben sie sich solche Bübereien 
          eigentlich nicht schon zu Stalins Zeiten einfallen lassen? Die Antwort 
          auf diese Frage lohnt ein intensives Nachdenken. Sie führt zwangsläufig 
          zu der Erkenntnis, wieviel indirekten Anteil der Westen an den Moskauer 
          Attentaten hat. Wenngleich Moskau nämlich noch immer einen bretterharten 
          Kurs gegen seine Feinde fährt, so ist er doch im Zeitalter der 
          globalen Informationsvernetzung erheblich abgemildert worden. Josef 
          Wissarionowitsch war gegen solchen Druck völlig immun. Er hätte 
          westliche Interventionsversuche für einen schalen Witz gehalten. 
          Wundert es da westliche Beobachter wirklich, dass die gegenwärtige 
          Instabilität Russlands viele Russen wieder nach Stalin rufen lässt, 
          während die uralten Ressentiments gegen den Westen massiv erstarken? 
          Von den Schlussfolgerungen aus dieser Überlegung hängt entscheidend 
          ab, wie es auch und gerade in Europa in den nächsten Jahrzehnten 
          weitergeht. Für Europa ist ein stabiles Russland lebens-, ja sogar 
          überlebensnotwendig. Russland zu schwächen und es mit einer 
          ausgestreckten europäischen Hand in die Richtung der Separatisten 
          in Dauer-Schach zu halten um ihm besser die eigene Weltordnung verkaufen 
          zu können, wäre eine selbstmörderische Idee. Wenn Russland 
          kollabieren sollte, erstickt Europa bereits an dem aufgewirbelten Staub 
          des niedersinkenden Giganten. Wer überlebt, dürfte sich, was 
          ja mit dem Untergang der Sowjetunion bereits geschehen ist, einer Vielzahl 
          von kleinen, despotischen und schwer einzuschätzenden Aasgeiern 
          gegenüber wiederfinden, mit denen sich ein erträgliches Auskommen 
          weitaus teurer, schwieriger und unberechenbarer gestalten wird, als 
          seinerzeit mit dem Kreml. Insofern bleibt zu hoffen, dass die Explosion 
          in Domodjedowo die europäischen Träumer aus dem Schlaf der 
          Unvernunft gerissen hat. Es gilt also Russland den Rücken zu stärken, 
          ihm beizustehen und es auf diese Weise enger und verpflichtender in 
          den Westen einzubinden. Europa und die U.S.A. brauchen Russland! Sehr 
          dringend sogar! Denn hinter dem Ussuri beginnt China!