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Samuel und Ikarus
Ein tiefer Sturz für nichts


B. St. Fjøllfross
Ikarus ist abgestürzt, weil er mit seinem Vater, dem Ingenieur Dädalus von Kreta fliehen wollte. Das hatte einen Sinn, einen nachvollziehbaren Grund. Ganz anders Samuel Koch. Auch Samuel wollte hoch hinaus und fiel tief. Er hat sich auf die Nase gelegt und liegt jetzt im Universitätskrankenhaus Düsseldorf und im künstlichen Koma obendrein. Das dumme Deutschland stöhnt auf und hält sich in brüderlicher Einheitsgeste die Hand vor den Mund. Man ist kollektiv entsetzt und zeigt sich besorgt um das Schicksal des jungen Mannes. Dieses ist zunächst einmal von jenem in Thomas Gottschalks im ZDF ausgestrahlten „Wetten dass...?“-Format herausgefordert worden und hat sich gegen den angehenden Stuntman mit einem klaren 1:0 durchgesetzt. Samuel wollte nämlich mit Sprungfedern an den Füßen im Saltosprung ein entgegenkommendes Automobil überhopsen, welches – oh Götter, ihr habt wahrlich Sinn für Humor – von seinem Vater gesteuert wurde. Der erste Versuch ging glatt und Samuel zeigte der unterhaltungssüchtigen Nation, wie das Ganze aussehen soll. Bei Papas Auto dann ging's schief. Samuel lag offensichtlich schwer verletzt auf dem Boden, die Kameras schwenkten weg, Menschen scharrten sich um ihn, ein hysterisches Weib kreischte nach einem Vorhang. Warum eigentlich wird immer nur der strahlende Sieger gezeigt und nie der Verlierer in seinem Elend? Das birgt sicher auch ein gewisses pädagogisches Element, nicht zu reden davon, wie es das sensationsgeile Volk gefreut hätte, das schon seinerzeit die Ränge und Tribünen des Colosseums bevölkerte um Mensch und Kreatur blutig verrecken zu sehen! Es behaupte doch niemand, die menschliche Natur hätte sich seither gewandelt. Oder warum kracht es so oft auf den deutschen Straßen, weil Gaffer sich nicht mehr auf das Verkehrsgeschehen konzentrieren sondern auf das blutige Geschehen auf der anderen Straßenseite. Wie dem auch sei: Gottschalk brach die Sendung ab. Wir waren darob frohen Mutes, ein zehnjähriges Kind, dass sich seit Wochen auf Gottschalks Colosseum gefreut hatte, weinte bitterlich. Auch sie zeigte sich besorgt um das Schicksal des jungen Irren. Bedauerlicherweise konnte auch sie uns nicht erklären, welcher Sinn in diesen waghalsigen Sprüngen zu suchen sei. Ihre Trauer und Besorgnis wollen wir uns nicht zu eigen machen. Denn, in just der Zeit, während das menschliche Känguru seine tollkühnen Hopser vollführte, verreckten in Afrika hunderte Kinder an Hunger, Aids oder ließen sich als Kindersoldaten über den Haufen ballern. Wer jammert um diese? Hätten die es nicht tausendmal mehr verdient? Kamikaze-Sammy hatte sich den Job ausgesucht, der ihm das Genick anknackste. Wir wissen nicht, ob er Gottschalks Show als Sprungbrett für seine Karriere einkalkulierte oder ob ihn die blanke Eitelkeit trieb. Was wir aber als sicher annehmen ist, dass er von niemandem dorthin gezwungen wurde. Unsere armen Teufel in Afrika aber haben keine Wahl. Die meisten von ihnen werden nicht einmal das Wunderwerk einer modernen Filmkamera je zu Gesicht bekommen, die angesichts ihres Elends weg schwenken könnte um die gaffenden Blicke des Zuschauers von den Opfern fernzuhalten. Sie verrecken wie die Fliegen und es schert niemanden. Es ist ihr massenhafter, anonymer und unbeobachteter Tod nach immer dem selben Muster, der sie völlig uninteressant sein lässt, in den allermeisten Fällen wenig spektakulär und – leider Gottes außerhalb von Gottschalks Arena.
Nein, Samuel hat einen hohen Einsatz riskiert und grandios verloren. Das ist sein Problem. Ebenso ist es wohl das Problem seines Vaters, der den Unglückswagen steuerte, hinter dessen Auspuff Samuels Zukunftsträume zerbrachen. Er mag sich fragen, welche Erziehung er seinem Wohlstandslümmel angedeihen ließ, dass dieser sich aus purer Dekadenz mit solch unproduktivem Mist abgab, der keinen Menschen auf dieser Welt auch nur einen trockenen Kanten Brot beschert. Die Mitschuld des Alten ist offensichtlich, denn wäre er gegen diesen Irrsinn gewesen, schwerlich hätte er das Fahrzeug gelenkt, dass seinem Spross zum Verhängnis wurde. Auch Gottschalk, der uns als der intellektuell Beschlagenste des ganzen Haufens dünkt, sollte nunmehr in sich gehen und über das alte Sprichwort nachdenken, das sich in seiner Sendung vor den Augen eines Millionenpublikums materialisiert hat: Hochmut kommt eben vor dem Fall.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
6.12.2010