Sturm aufs Rote Kloster
Informationsmanagement zu Leipzig wirft Journalismus
den Fehdehandschuh hin
B. St. Fjøllfross
Das wäre ein Stoff für die alten Sagas: Da kippen sie um,
die Recken, die an den inneren Grenzen des Reiches wachten über
ihr Volk. Kein Feind von außen fällte die Helden. Eingelullt
und eingeschlafen sanken sie dahin, das Feld den anstürmenden Horden
der Oberflächlichkeit, des Blödsinns, des dummen Palavers
und der Marktschreierei überlassend.
Die "Zeit online" titelt im Januar 2011 in süffisanter
Anlehnung sowohl an die alte DDR-Durchhalteparole: Der Kommunismus siegt!"
als auch an den Leipziger sächsischen Dialekt mit der markigen
Überschrift "Der Journalismus siecht" und berichtet vom
Generalangriff auf das ehemalige "Rote Kloster" der mitteldeutschen
Messestadt. Nein, nein, es handelt sich nicht um das letzte Häuflein
standhafter katholischer Mönche, die den barbarisch-bolschewistischen
„Zicken“-Terror des Leipziger Walter Ulbricht gegen die
Universitätskirche überstanden hatten und nun unter dem unablässigen
protestantischen Würgegriff des letzten halben Jahrtausends die
weiße Fahne aufziehen. Das Rote Kloster war die volkstümliche
Bezeichnung für den Fachbereich Journalistik der Karl-Marx-Universität.
Journalismus – das hieß in der DDR an der Macht des Wortes
teilhaben zu dürfen. Einer Macht, die dem Recht auf das Tragen
einer Waffe gleichkam. Denn: "das Wort ist Waffe", lehrten
die Roten. Damit also diese Waffe in den richtigen Händen im Sinne
des Politbüros des ZK der SED gegen den einzig wahren Klassenfeind
von einem unverrückbaren Klassenstandpunkt her geführt werde,
mussten die zukünftigen Genossen Journalisten, auch wenn ihre "Waffe"
eben "nur" aus einer Schreibmaschine bestand, besonders intensiv
auf Kurs getrimmt werden. Nun studierten an der Leipziger Universität
leider auch noch gewisse Dollbrägen und Libertins wie beispielsweise
Mediziner. Den Kontakt zu diesen Freigeistern wollte man nicht fahrlässig
ins Unendliche ausweiten. Also wurden den Studiosi der Journalisterei
in Klausur ganze Berge von marxistisch-leninistischer Literatur übergeholfen
und siehe da – das Rote Kloster hatte seinen Namen weg. Doch eines
spie das Rote Kloster bar jeden Zweifels während all der Jahre
der kommunistischen Diktatur aus: Generationen von stilsicheren und
wortgewandten Redakteuren, Reportern und Propagandisten, wenngleich
deren Kunst nur allzu oft im drögen Phrasengewäsch der LQI
(Lingua Quartii Imperii) unterging.
Nach der Wende säkularisierte man die Kaderschmiede der sozialistischen
Berichterstattung gewissermaßen auf die Erfordernisse der Demokratie
und Marktwirtschaft herunter und bildete seitdem wieder, wie zu Zeiten
der Weimarer Republik selig, erstklassige Journalisten aus, die ihr
Handwerk verstanden. Aber eben nicht nur das: Darüber hinaus begriffen
viele der Leipziger Absolventen das Ethos ihres Berufsstandes, ihre
Pflicht zur verantwortungsvoll und gründlich recherchierten Reportage,
den Zwang zu exakter und unmissverständlicher Wortwahl, den Auftrag
zur Erziehung der Nation zum sorgsamen Umgang mit dem Kulturgut Sprache.
Ach, jetzt wäre es Zeit für einen Tusch aller Leipziger Posaune
blasenden Putten! Der Tusch aber bricht ab in kläglichem Gekrächze.
Die Zeit des Biedermeier ist vorbei und vergangen sind mit ihr alle
Werte, deren nationale Verinnerlichung einst den Aufstieg Deutschlands
zur Kulturnation ermöglichte. Folgerichtig setzen jetzt Vertreter
des Kommunikationsmanagements zum Sturm auf die morsche sächsische
Bastion des gediegenen Journalismus an. PR, Public Relations, heißt
jetzt der Studiengang der Zukunft. Wie sich dessen edukativer Auftrag
nun gestalten wird, das kann man sich an zehn Fingern abzählen.
Für kritische Recherche, die dem Leitstern Watergate folgt, wird
die Luft zunehmend dünner. PR-Fritzen für Unternehmer, also
die moderne Edition der mittelalterlichen Marktschreier werden verlangt.
Sie müssen schönfärben und lügen und einlullen können,
was das Zeug hält. Diese Medienbediensteten sind dann keine Säulen
einer in sich ruhenden Demokratie mehr, das sind manipulatorische Handlanger
des Marktes, der Industrie, des Finanzwesens und der Ämter. Sie
sollen alles – nur eben keine Information über den wahren
Kern der Dinge transportieren. Sie sollen Nebelkerzen werfen, für
Intransparenz sogen und die Leser an langen Strippen ins opake Dickicht
von Halb- und Desinformationen leiten, sehr zum Wohle ihrer Brötchengeber.
Sie sollen lernen die Lieder derer zu komponieren und zu trällern,
deren Brot sie essen. Vor einem aber sollen sie sich vor einer Sache
hüten, wie der Teufel vorm Weihwasser: Sie sollen nicht Ross und
Reiter beim Namen nennen! Daher ihr oberstes Gebot: Rede niemals Klartext!
Und tun sie's mal doch aus Versehen – dann glaubt man ihnen schon
aus Prinzip nichts mehr.
Was für ein grauenvolles Szenario: Eine Zukunft des geschriebenen
Wortes unter solchen Auspizien! Denn das Volk, dem ein seriöser
Journalismus zu dienen hat, begibt sich seines Kraftarms, seiner rechten
Hand, seiner Möglichkeiten zur aktiven Einflussnahme. Sicher –
der seriöse Journalismus wird nicht aussterben. Immer wird es Reporter
geben, die ihren Ehrgeiz daran setzen, investigativ und aufrichtig,
gründlich und verantwortungsvoll im Interesse der Allgemeinheit
zu arbeiten. Der Untergang des Roten Klosters ist nicht der Untergang
des medialen Abendlandes. Aber er ist ein ernster Angriff und er zeigt
eine gefährliche Tendenz auf. Der Verlust der journalistischen
Kultur bedeutet einen gewichtigen Verlust auf dem Gebiete der deutschen
Kultur schlechthin. Wir, die wir nach den zwölf Jahren des nationalsozialistischen
Schreckens seit 1945 den amerikanischen Heilsbringern hinterherhechelten,
gaben schon zu viel von unserer tausendjährigen gewachsenen Kultur
zugunsten der zweihundertjährigen amerikanischen Kulturlosigkeit
auf. Darin besteht der eigentliche Wahnsinn, der in den Vorgängen
von Leipzig seine irrationale Methode offenbart. In der Redaktion des
Preußischen Landboten hängt eine Reproduktion des Gemäldes
von der Meditation des Heiligen Antonius, auf die Leinwand gezaubert
von dem Giganten der Malkunst, Hieronymus Bosch. Da sitzt der Eremit
und Kirchenvater nun am Ufer eines kleinen Teiches, neben ihm sein Tönnies-Ferkel,
und blickt versonnen in das Reich seines himmlischen Vaters. Bedrängt
wird er von allerlei lächerlichen Dämonen, die nicht nur gegen
ihn, sondern auch noch gegen ein Kloster im Hintergrund des Bildes vorrücken.
Im Angesicht der Leipziger Turbulenzen wollen wir uns um die Gelassenheit
St. Antons und seines Schweinchens bemühen, für die ja beide
festzustehen scheint, dass die Attacken der Höllenbrut weder ihnen
noch dem Kloster etwas anzuhaben vermögen. So verachtenswürdig
uns das Rote Kloster zu DDR-Zeiten immer erschien – sie hätten
uns bieten können, was sie wollten: zu keinem Preis hätten
wir die journalistische Seele an die verlogenen Bolschewisten verkauft
– so sehr drücken wir ihm heute die Daumen, dass es standhaft
bleibe. Dass die Attacken der Informationsmanagement-Dämonen an
ihnen abtropfen mögen, gerade so wie Meister Hieronymus es vor
fünfhundert Jahren geradezu seherisch gemalt hat.