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Staat und Mafia
eine komparative Betrachtung

für/ の ため
ひめ さま さい の まがも
姫様 星 の 真鴨

David Katz
Sie verbreiten Angst und Schrecken, die geheimen Mächte Mafia, N'Dragheta, Cosa Nostra, Yakuza oder die kriminellen Russen, Albaner, Kosovaren, Medelliner... Sie sind vom Normalbürger geächtet, ebenso wie die ein völlig anderes Feld beackernde Scientology Sekte. Das alles sicherlich zu Recht und wir wären die letzten, die auch nur einen Hauch von Apologese für diese Organisation ins Feld zu führen gedächten. Warum ist das so? Nun, weil ihre Organisationen intransparent sind, opak und damit nicht berechenbar mit der einzigen Ausnahme, dass man genau weiß: Ein Menschenleben bedeutet ihnen nichts. Die Gesetze des Staates, die Leib, Leben und Eigentum des Bürgers schützen, zählen für sie genauso wenig.

Doch kommen diese Leute von einem anderen Stern? Sind sie Aliens? Oder handelt es sich nicht vielmehr um völlig normale Vertreter der Gattung homo sapiens. Darüber gab es jüngst in der Redaktion eine angeregte Diskussion. Durchsetzen konnte sich die Ansicht, dass genau letzteres der Fall ist: All diese ungeliebten Repräsentanten des Menschengeschlechtes sind nichts anderes als reine Wirtschaftsunternehmen, die um des eigenen Profites wegen die Verbindlichkeiten gegenüber dem offiziellen Gemeinwesen mehr oder weniger in den Skat drücken und stattdessen Parallelgesellschaften aufbauen. Diese sind zwar nun weiß Gott nicht anarchistisch strukturiert. Im Gegenteil. Auch hier herrschen Gesetze, die meist weitaus rigider abgefasst sind und strenger verfolgt werden, als diejenigen, die von einer durch eine staatliche Legislative bestimmt wurden. Im Laufe der Zeit bilden sich auf Grund der hierarchischen Ausrichtung des Rudeltiers Nackter Affe quasistaatliche Funktionen heraus, die das offizielle Gemeinwesen nach und nach destabilisieren. Die Mechanismen, welche diesen Prozess befördern, sind bekannt: Des Menschen Wesen ist wie das jedes zweigeschlechtlichen Geschöpfes darauf ausgerichtet, die eigenen Gene im biologischen Gesamtsystem möglichst weit vorn zu positionieren.

Das geht im Allgemeinen nur, indem man die Energieansparleistungen der Behausungen fremder Gene, also anderer Individuen, in aller Regel gegen deren Interessen für sich nutzbar macht. Man lässt eine Kuh Jahre lang Gras und Heu fressen um sie zu melken und zu schlachten und sich ihre in langen Zeiträumen erworbene Lebensenergie im wahrsten Sinne des Wortes einzuverleiben.

Man lässt ein Heer von Proleten für sich schuften, reißt den Mehrwert an sich und fliegt im Lear-Jet auf die eigene Südseeinsel, während die Ausgebeuteten froh sind, im Jahr einmal eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer machen zu können. Das alles ist also ein ganz einfaches Grundprinzip des Lebens und seiner sublimen Tochter, der Wirtschaft.

Wirtschaft ist ja so gesehen nichts anderes als die Gesamtheit aller Energietransferleistungen, mitunter zum gegenseitigen Vorteil der Beteiligten – wobei das dynamische Agens seinen Antrieb aus der Differenz zwischen den Quantitäten und Qualitäten der erzielten Vorteile liegt. Oft jedoch macht einer der Transferrierenden den Schnitt und der andere macht Miese.

Wenn wir also die Strategien zur Gewinnerzielung bei einem ordentlichen Wirtschaftsunternehmen und einer mafiösen Struktur untersuchen, so finden wir unter Zugrundelegung der eben angeführten Definition nur vernachlässigbare Unterschiede. Was beide deutlich voneinander abhebt, ist, dass die einen innerhalb eines bestehenden und etablierten Gesellschaftsgefüges mehr oder weniger gesetzeskonform agieren und zum größten Teil auf die Androhung existentieller Bedrohungen durch physische Gewalt verzichten, während die anderen ihren eigenen Gesetzeskanon formulieren, der sich weitestgehend gegen die allgemeinen Vorschriften des Staatswesens richtet, sich bewusst außerhalb dieses Systems formiert und gegen das geltende Recht abzunabeln und zu emanzipieren sucht. Die gewünschten Ressourcen werden vor allem durch eine direktere und brutalere Gewaltandrohung erschlossen.

Haben diese Parallelgesellschaften einen bestimmten Machthorizont erreicht, und sich ihrer legalen wie illegalen Konkurrenz entledigt, so beginnen sie beinahe zwanghaft, ihr spezifisches System ebenfalls nach den bewährten Prinzipien eines Staatswesens umzugestalten und zu organisieren. Mit zunehmender Verfestigung des Machtfundaments werden die Prinzipien der direkten Gewaltausübung hin zu einer sublimeren Gestaltung der Willensumsetzung verlagert. Jetzt können sie sich es ja leisten.

Im Interesse ihres Machterhaltes ist dieser Schritt auch notwendig – denn das actio gleich reactio würde bei einer Fortschreibung ungehemmter Gewalt dem Stabilisierungsprozess der neuen Gesellschaft massiv entgegenwirken.

Man besehe sich als Standardbeispiel die Geschichte der katholischen Kirche! So sehr wir einzelne Aspekte dieser gewaltigen Organisation schätzen, so verschließen wir doch nicht die Augen vor ihrer wenig rühmlichen Karriere. Als der Katholizismus entstand, musste er sich gegen hunderte konkurrierende Glaubensrichtungen durchsetzen, die sich untereinander mörderisch bekämpften. Wie oft standen die katholische Lehre und ihre Anhänger nur ein Haarbreit vor der totalen Ausrottung. Gnostiker, Arianer, Manichäer und all die anderen Splittergruppen, die ihre eigene Ideologie verfolgten, welche oft nur um ein Jota von der des Nachbarn abwich, zu dem Zwecke, sich keinesfalls unter dessen Diktat beugen zu müssen..., sie alle standen parat, die Macht und damit die Herrschaft über die geltenden Glaubensgrundsätze für die nächsten zwei Jahrtausende zu übernehmen. Nur die Kopten, die Orthodoxie und die Katholiken konnten sich behaupten. Selbst Origines, einst gefeierter Kirchenlehrer, verfiel dem Verdikt der Verdammnis. Arius verlor seine machtvollen Anhänger, zu denen sogar Dietrich von Bern zählte, gar erst im siebten Jahrhundert.

Die Protestanten exerzierten anderthalb Jahrtausende später das gleiche Spiel. Dem Islam sind diese Entwicklungen nicht fremd und sogar buddhistische Mönche sah man schon aufeinander los gehen. Man wird daran erinnert, dass es sich dabei um einen keineswegs abgeschlossenen, sondern immanent fortwirkenden Prozess handelt, wenn man sieht, wie sich Aramäer, Orthodoxe und Katholiken an den Pforten der Grabeskirche gegenseitig verprügeln, während der die Schlüssel bewahrende Muselmann verständnislos zusieht. (Ihm würde ein Seifensieder aufgehen, wenn er bedächte, dass im selben Augenblick Sunniten auf Schiiten schießen und Schiiten Sunniten in die Luft sprengen.)

Währenddessen verfolgte die katholische Kirche, die sich seit jeher auf den beruft, der den Menschen das Heil und die Erlösung verhieß, ihren Weg zur Supermacht mit unbeschreiblichem Terror nach innen wie nach außen und ließ kein Verbrechen aus, selbst solche nicht, welche die Hölle zu ersinnen nicht genug Phantasie gehabt hätte.

Das übelste aller Verbrechen aber war der Anspruch auf die geistige Kontrolle der Menschheit, die Herrschaft über die Seelen freier Menschen. Nun kommt die interessante Frage: Verhält sich eine Sekte a la Scientology anders? Ist ihr Weg von dem der katholischen Kirche so grundsätzlich unterschieden? Mitnichten. Es ist dasselbe in Grün. Noch verbrennen sie zwar keine Ketzer – aber, bei Gott, sie würden und sie werden, wenn ihre Macht es ihnen gestattet und der Machterhalt es erfordert. Man kann Menschen im übrigen auch ohne Feuer verbrennen. Zumindest darin scheinen die Scientologen nicht unerfahren.

Insofern tritt eine Sekte wie Scientology eine durchaus legitime und kontinuierliche Erbfolge an. Sie reiht sich ein in eine Kette von Gleichgearteten, deren nur ein Glied auch die katholische Kirche war und ist. Genauso verhält es sich mit den mafiösen Systemen, die wir eingangs nannten. Nun lehrten die Kommunisten einst, das einzig zuverlässige Kriterium der Wahrheit sei die Praxis. Man kann die Messlatte dieser These billig an die historischen Ereignisse rund um den Globus anlegen. Wieder und immer wieder setzt sich das fränkische Hausmeierprinzip durch: Dekadenz eines etablierten Systems führt zu dessen Überalterung. Jüngere, dynamischere und leistungswilligere Kräfte beginnen es systematisch von innen wie von außen zu unterminieren, werden in der Übergangsphase als Anarchisten, Terroristen, subversive Elemente, Umstürzler, Staatsfeinde usw. bezeichnet und übernehmen zum gegebenen Zeitpunkt die Macht – nur um demselben gesellschaftlichen Alterungsprozess entgegenzugehen.

Die reformistischen Ansätze, die einst den Machtübergang begünstigten, erstarren. Die formenden Kräfte stehen nicht länger im Dienste der Umgestaltung und Neuorientierung. Mehr und mehr werden sie nun für die Zementierung der Macht benötigt, für Restriktionen und die Bekämpfung der neu aufkeimenden Rebellenstrukturen. Ein ewiger Kreislauf.

Was nun die schwerst kriminellen Organisationen betrifft, die am Anfang des Aufsatzes genannt wurden, so fügen auch sie sich passgenau in den Kontext dieser Entwicklung ein. Sie sind Teil einer physiologischen Soziogenese, nicht primär deren pathologischer Auswuchs, auch wenn dies – betrachtet in den denkbar kurzen Zeiträumen eines menschlichen Lebens oder dessen weniger Generationen – so scheinen mag.

Der Krebs ist ein Teil des eigenen Organismus, auf der Suche nach eigener Unsterblichkeit, nicht ahnend, dass er sich selbst mit dem Erreichen dieses sehr egoistisch determinierten Zieles das eigene Todesurteil gesprochen hat. Es ist ihm eben nicht gegeben, sich von dem Organismus abzukoppeln, dessen gesetzliche Vorgaben er aus Eigennutz erfolgreich zu ignorieren lernte.

Mafiöse Strukturen sind diesen Krebsgeschwüren durchaus vergleichbar. Nur wenn eine etablierte Gesellschaft diesen Ansatz versteht, hat sie eine reelle Chance, die Auswirkungen des pathologischen Aspekts dieser Erkrankung eines intakten Staatswesens für eine gewisse Zeit unter Kontrolle zu halten.

Nicht für ewig, versteht sich. Das aber liegt in der Natur des Menschen begründet, der selten das Gute zu schätzen weiß, was ihm zur Gewohnheit wurde und es erst dann vermisst, wenn er es verloren hat. Wäre die menschliche Rasse anders gestrickt, sie würde immer noch mit Fellen bekleidet rund um Lagerfeuer springen. Der innere Garant für den Progress beinhaltet also auch schon den Kern des zukünftigen Verderbens. Ein weiterer überzeugender Beweis für das überragende biologische Prinzip der Evolution. Ein weiterer Hymnus auf die universelle Wirkungsmächtigkeit der Dialektik.

Wenn also die Frage aufkommt, wie sich eine Gesellschaft den Angriffen mafiöser Strukturen suffizient entgegenstellen kann, so liegt der Schlüssel zur Antwort in dem bisher Dargelegten. Die Dynamiken, mit denen eine Sekte oder eine kriminelle Organisation die etablierte Gesellschaft bedroht, wirken naturgemäß bereits vom ersten Augenblick ihrer Entstehung auch in ihrem Innern. Diese Kräfte gilt es allseitig in wechselnd unterschiedlichem Maße zu stärken, nota bene! nicht zu schwächen!

Versuche zu schwächen führen zu einem Solidarisierungsprozess innerhalb der angegriffenen Organisation, was wiederum der nicht angestrebten Stärkung dieser Gemeinschaft Vorschub leistet. Hier greift also scheinbar ein Paradoxon: Nutzt man geschickt und gezielt die Inhomogenität einer solchen Gruppe und das Bestreben jeder einzelnen hin zur Führung orientierten Persönlichkeit aus, indem man mal diese und mal jene unterstützt, so wirkt das ähnlich wie das Eis in Felsrissen – im Laufe langer Zeiträume wurden auf diese Weise schon ungezählte Hochgebirge planiert. Risse in einem homogen erscheinenden Gefüge, das selbst bei verschworenen Gemeinschaften nie den idealen Grad der Geschlossenheit erreicht, wie ihn ein erratischer Block darbietet, ebnen den Weg der bekämpften Organisation in die Bedeutungslosigkeit.

Die Verlässlichkeit, die den gewünschten Erfolg zeitigt, resultiert aus dem ubiquitären Wirkungsprinzip, das filial in die übergeordneten biologischen Standardabläufe eingebunden ist.

Die alten Römer brachten das auf einen ebenso kurzen wie prägnanten Nenner: Divide et impera! Funktioniert immer. Und wie man hört, sogar bei der Elite der bewaffneten Menschheit, der Sayeret Matkal.

Doch grau ist alle Theorie. Was einzig feststeht: Recht hat, wer die Macht hat. Die Macht und damit das Recht hat derjenige, der überlebt. Wer die Macht hat, paraphiert die Moral. Und wer die Moral paraphiert, schreibt die Geschichte – solange er an der Macht ist. Kippt das System, sucht sich die Macht einen neuen Träger, dann wird auch die Geschichte umgeschrieben. Aus ehemaligem Recht wird Unrecht und aus Unrecht Recht. Es ist das Roulette der Welt, dessen Verlierer und Gewinner – und darin besteht der ganz große und ausgleichende Trost – Statisten sind, austauschbar und dem Wind des Vergessens anheimgegeben – früher oder später.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
21.01.2011