Baaks

zurück zum Landboten

 

Etikettenschwindel
Jobcenter ohne Jobs aber mit neuem Namen

Kotofeij K. Bajun
"Mensch, Bajun, seien Sie froh, dass Sie für den Landboten arbeiten", raunzte der Chef neulich über den Tisch. „Nennen Sie mir ein einziges anderes seriöses Blatt, dass Ihnen derart libertär Ihren oft recht provokanten und absolut nonkonformen Wortgebrauch durchgehen ließe! In Berlin ist es die Stalinallee, obwohl sie den Vater der internationalen Arbeiterklasse für einen überwiesenen Jahrtausendverbrecher halten; über die Gleise rollen die Züge der Reichsbahn durchs Reich; die Industrie bildet Lehrlinge aus und keine Azubis und so weiter und so weiter! Die offizielle Sprachregelung interessiert Sie einen Dreck, was?“ „Nun, deshalb arbeite ich ja für den Landboten“, gab ich süffisant zurück, „des Gehaltes wegen ganz gewiss nicht.“ Bei Nennung des Wortes „Gehalt“ paffte der Alte verdrießlich in seine Pfeife und machte sich, geschützt von der Qualmwolke von dannen.
Generationen von Menschen aller Couleur haben mir immer wieder Vorschriften zu machen versucht, wie ich einen Gegenstand politisch korrekt zu benennen habe. Spätestens als ich dessen gewahr wurde, dass ein und dieselbe Sache ihre Bezeichnung schneller zu wechseln begann als ich meine Krawatten, wurde mir die Sache unangenehm. Die Frage drängt sich vehement auf, wozu das Not tut. Die Kommunisten lehrten einst den jungen Bajun: Wenn wer was macht oder sagt, stelle zuerst die entscheidende, für eine sichere Analyse unentbehrliche Frage: Qui bono? Wer trägt einen Nutzen davon? Ja, wem nutzt es, wenn Kinderkrippen und Kindergärten mit einem mal nicht mehr Kinderkrippen und Kindergärten heißen dürfen sondern Kindertagesstätten? Und damit es auch schön bescheuert klingt: KiTa. Versonnen blättere ich in meiner Handausgabe der LTI des großen Viktor Klemperer. Viele Antworten gab der hochgebildete Dresdner. Was aber hätte er hierzu gesagt?
Das hier verkauft sich offiziell als Demokratie und bestreitet mit vollem Herzen eine Diktatur zu sein, gleichwohl jedem Trottel seit der letzten Finanzkrise klar sein müsste, was die Bolschewisten seit jeher predigten, nämlich, dass es sich bei den westlichen Demokratien um Diktaturen des Finanz-, sie sagten damals Monopolkapitals, handelt und die Parlamente, allein schon durch den sie zerfressen habenden Bazillus des Lobbyismus bedingt, zu Schmierentheatern verkommen sind. Verbindliche Sprachregelungen und -vorschriften, gepaart mit häufig wechselnden Bezeichnungen aber sind symptomatisch für Diktaturen, nicht für Demokratien!
Mit dem neuen Jahr fand eine neue, sündenteure Namensänderung statt: Die Einrichtungen, die das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe verwalten, heißen nunmehr „Jobcenter“! Na, das ist doch mal ein Kracher! Früher hießen sie bezeichnenderweise „ARGE“, was eine Abbreviatur des Begriffes Arbeitsgemeinschaft darstellte. Arbeitsgemeinschaften gibt es viele. Man nennt sie auch in wohligem Gleichklang mit finanziell meist sehr potenten Aktiengesellschaften kurz AGs. Da organisieren sich Philatelisten, Numismatiker, Vogelkundler und Schmetterlingssammler. An den Ganztags-Schulen gibt es AGs für Sprachen, Lego-Robotik, Mangazeichnungen... Was für eine Arbeitsgemeinschaft war das also, an die sich die Hartz-IV-Empfänger wenden mussten, um ihre paar Kröten für den nächsten Monat abzufassen? Eine AG, die gescheiterte Existenzen sammelte? Das klingt böse, das klingt arg – also kürzte irgendein hirnrissiger Profi diese AG zu ARGE ab. Bei dem feinsinnigen Wortschöpfer handelte sich mutmaßlich um den Vollpfosten, der seinerzeit der Automobil-Marke Mitsubishi den Typennamen „Pajero“ unterjubelte. Ganz schlecht fürs Geschäft im sonnigen Spanien. Bedeutet Pajero dort doch „Wichser“. Und das im Lande der Machos und Hidalgos, der Draufgänger, der Welt- und Señorita-Eroberer. Die sollen nun einen Wagen fahren, der ihnen attestiert, dass „sie die Sache allabendlich selbst in die Hand nehmen müssen.“ Na ja, bei denen heißt er ja nun „Montero“. Bei den armen Inselbriten nennt man das Gefährt übrigens „Shogun“, was ihrerseits die Samurai auf den Plan rufen sollte: Ihr oberster Kriegsherr ein selbstbefriedigender Spanier? Das ist ein handfester Grund für eine durchaus gerechtfertigte Kriegserklärung....die sich allerdings gegen den heimischen Automobilkonzern richten müsste... Wenn es also nicht dieser Wortschöpfer war, so doch zumindest einer vom selben Kaliber. Denn ARGE ist ja wohl durch die klangliche Nähe zum uralten deutschen Wort „arg“ mehr als negativ konnotiert. Das Schlimme ist, denen, die vor den Schaltern der ARGE anstanden, langte das Wasser in den allermeisten Fällen wirklich bis zum Halse! Sie waren „arg“ dran.
War es diese weise Erkenntnis, welche die Macher bei denen ARGES veranlasste, zum Jahreswechsel auch gleich den Namen zu wechseln? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, dass diese Umbenennung wiederum Millionen verschlingt. Neue Briefbögen müssen her, neue Stempel, neue Ausschilderungen – das alte Brimborium muss vernichtet werden. Von all diesem Geld – dessen sind wir uns sicher, hätte man einigen der armen Teufel ein nahezu fürstliches Arbeitsleben bieten können, zumindestens denen, die gerne arbeiten würden und nicht können, weil ihre Gesundheit oder der Markt das nicht zulassen.
Wir wissen also nicht, was die ARGE bewog, das Etikett zu ändern. Auffällig aber erscheint uns der Fakt, dass viele Bankrotteure, die gestern Insolvenz anmeldeten, kurioserweise morgen schon mit neuem Firmennamen, aber mit der selben personellen Besetzung wieder präsent sind. Bekannt ist auch, dass vielen deutschen Kommunen finanziell das Wasser bis zum Halse steht und sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Ärmsten über Wasser halten sollen. Die Kommunen aber sind ein gewichtiger Teil jener Arbeitsgemeinschaft, die nun wie der Clown aus der Torte mit dem schlecht klingenden Namen „Jobcenter“ auf die Bühne hopst.
Warum eigentlich „Jobcenter“? Macht der Chirurg einen Job? Gnade uns Gott, wenn er es tut! Macht der Architekt einen Job? Na, dann beten Sie mal, bevor sie über den nächsten Brückenneubau fahren! Macht der Anwalt einen Job? Dann hilft Ihnen auch keine noch so teure Rechtsschutzversicherung mehr. Macht der Lehrer einen Job? Dann wundern Sie sich nicht, warum ihr Spross noch blöder aus der Schule heimkommt, als er morgens hineinging. Nein, der Tagelöhner macht einen Job! Die anderen üben Berufe aus, manch guter Lehrer, manch guter Arzt sogar eine Profession.
Die ehemaligen ARGEs heißen nun aber mal nicht Berufsvermittlungsanstalten. Sie heißen „Jobcenter“. Warum? Weil die ganze Welt englisch spricht und nun nach Deutschland strömt um Spargel zu stechen? Wem nutzt es? Qui bono? Nun, es nutzt denen, die genau wissen, an wen sich diese dinglische Bezeichnung richtet. Adressat ist das moderne Lumpenproletariat, das von Proletensendern wie Proll 7 und RTL 2 dermaßen weichgekocht und mit amerikanischem Müll überfrachtet wurde, dass es diesen bereits als die einzig existierende Realität begreift. Mit einer Arbeitsvermittlung könnten diese Leute nichts mehr anfangen. Kommen sie aber in ein Jobcenter, dann wissen sie gleich, worum es geht: Für einen Euro pro Stunde dürfen sie Plastemüll von den Straßen kehren und sich von den Schulkindern beleidigen lassen. Für drei Euro die Stunde dürfen sie sich von den modernen Schindern, den Zeitarbeitsfirmen ausbeuten lassen, dass die Schwarte kracht. Auf dass die nächste Nürnberger Statistik jubelnd die Vollbeschäftigung verkünde. Eine Vollbeschäftigung, die nicht minder verlogen ist, als die Bezeichnung „Jobcenter“. Denn was ist ein „Center“ oder zu deutsch „Zentrum“? Es ist eine Mitte, ein Zusammenballung von Energie und Materie. Wenn etwas garantiert innerhalb des gesetzten Kreisumfanges zu finden ist, dann hier! Und da haben wir den Etikettenschwindel. Existieren Jobs in garantierter und ausreichender Menge in diesem Zentrum? Mitnichten!
Ja doch, ja doch – Arbeit gibt es genug – nur eben keine bezahlte! Führt das Jobcenter die Mehrheit seiner Klienten in ein Berufsleben zurück? Wir lachen Tränen und es ist gut, dass wir den Text auf einem Rechner schreiben – Papier wäre spätestens jetzt nicht mehr zu gebrauchen.
Für Berufe und Berufungen gibt es „Headhunter“. Ja, sie haben richtig gehört: “Headhunter“! Das sind Kopfjäger. Sie schrecken zusammen? Nicht doch. Seien Sie doch nicht so verdammt gebildet, auch wenn Sie Landboten-Leser sind! Wir sprechen nicht von den malaiischen Urvölkern auf Borneo, welche die Köpfe ihrer Gegner mit dem Hieb einer Machete vom Rumpfe trennten um sie daheim zu Schrumpfköpfen dekorativ umzugestalten. Dieser weitere unsägliche Amerikanismus zielt auf den Inhalt der noch nicht vom Proll-7-und-RTL-2-Konsum geschrumpften Köpfe ab: Leistungsfähige Hirne. Man will sie nicht in Spiritus haben, sondern kauft sie im geschürten Paket mit Komplettausstattung, also Leib und Seele inbegriffen. Den verblödeten Hirnmassen sind die „Jobcenter“ – (oder heißen sie am 1. Januar 2012 schon „Hutracustis“, Abkürzung und Diminutiv für „human trash custodians“?) – vorbehalten. Für die leitenden Mitarbeiter und die Politiker, die diesen Schwachsinn aushecken und damit regelmäßig Steuermilliarden verplempern, stehen die Headhunter Gewehr bei Fuß. Irgendwo dazwischen eiern die Agenturen für Arbeit umher, die früher einmal Arbeitsamt hießen. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
28.01.2011