Zu viele Rentiere vor dem
Schlitten des Weihnachtsmannes
oder – wie Herr zu Guttenberg Afghanistan
bereist
J.-F. S. Lemarcou
Er ist ein Hoffnungsträger. Oder war er das bereits? Ist die Hoffnungsträgerei
jetzt schon Geschichte? Mit dem derzeitigen Besuch in Afghanistan gemeinsam
mit der kinderschützenden Bismarck-Ururenkelin und Gattin beginnt
der sonst so dezente und im Hintergrund machtvoll wirkende Herr Bundesverteidigungsminister
seine eigene Legende zu zerstören. Dass er seine Soldaten am Hindukusch
zu Weihnachten beehrt – nichts dagegen zu sagen. Muss er aber
unbedingt in seiner Weihnachtsmann-Entourage sein entzückendes
Eheweib mitschleppen? Aber auch das könnte man mit ein wenig Nonchalance
in den Skat drücken. Warum auch nicht! Bezahlt haben sie es aus
der eigenen Tasche, also kann die hohe Dame reisen, wohin sie will.
Auch wenn es just gerade jetzt nicht so richtig stimmig ins Bild passen
will. Aber das erklären wir später. Der Pik-Bube passt da
aber ganz gewiss nicht mehr rein: Johannes B. Kerner. Warum? Ja, Freiherr,
warum? Weil er die augenscheinlich falsche Personalie für einen
solch politisch brisanten und sensiblen Besuch ist. Weil wir auf den
Schlachtfeldern von Afghanistan keinen Talkmaster brauchen und keine
Talkshow und diesen ganzen Nonsens aus dem deutschen Fernsehen. Dort
fließt Blut und kein Ketchup, dort ringen viele bettelarme Menschen
um ihr Überleben – da hat die deutsche Unterhaltungsindustrie
nichts verloren! Wenn man sich schon von einem hochkarätigen Journalisten
begleiten lassen will, dann ist doch die Auswahl im Reiche nicht so
klein, dass man ausgerechnet Kernern mitschleifen muss. An diesem Punkte
angelangt bekommt die Sache nämlich Geschmäckle! Das sieht
nach Inszenierung aus. Nach einer recht billigen obendrein. Show-Time!
Das schlägt auf die bisher untadelige Reputation des Bundesverteidigungsministers
zurück. Und zwar mit Karacho! Für die meisten Deutschen ist
Afghanistan eh schon ein rotes Tuch. Zu Hause wird aus Geldmangel die
militärische Dienstpflicht abgeschafft und am Khyber-Pass verwehen
weiterhin die deutschen Steuermillionen im Wind amerikanischer Großmacht-Muskelspiele.
Eine ungünstigere Gelegenheit zu einer Talkshow – wir benutzen
in diesem Falle den unsäglichen Anglizismus mit voller Absicht
– kann es gar nicht geben. Und dann noch Kerner! Ausgerechnet
Johannes Baptist Kerner! Hätte er Theo Koll mitgenommen, Klaus
Bednarz oder sei es Ulrich Wickert. Ulrich Deppendorf wäre eine
hervorragende Wahl, wenn er denn nicht anderweitig verpflichtet wäre.
Selbst Lothar Löwe hätte man zu diesem Behufe ausbuddeln können.
Auch Beckmann – kurzes Bekreuzigen – wäre erträglich
gewesen. Aber warum dieses Milchgesicht, das seinerzeit, am 9. Oktober
2007, die Eva Herman öffentlich und undemokratisch hinzurichten
half? Damit dies keiner missverstehe: Hermans Eva hatte in dem Bestreben
einige grundsätzliche Wahrheiten zum Ausdruck zu bringen, einen
Haufen verquasten und gequirlten Mist geredet, wie das nun mal passiert,
wenn man sich seine Worte und deren Wirkungen nicht vorher genau überlegt.
Es bedurfte schon viel guten Willens und eines Mindestmaßes an
Häme, wenn man die brauchbare Essenz aus ihren in der Sache nicht
unbegründeten Ausführungen heraushören wollte. Doch beides
besitzt das quotenmachende Volk nicht – keinen guten Willen aber
dafür jede Menge Häme. Diesem trug Kerner damals Rechnung
– sehr deliberiert, wie man hier und dort meint. Diese Schmierenkomödie,
mit der sich Kerner als eine Mischung von Volkstribun und Großinquisitor
aufspielte, schlug gerechter Weise auch auf ihn zurück. Das war
des Büttels Teil. Soll er. Deutschland muss auch so einen aushalten,
wie es das Geschwätz der blonden Eva oder die genetische Schwadroniererei
Herrn Sarrazins aushält. Aber - man nimmt des Henkers Altgesellen
nicht mit auf eine in jeder Hinsicht diplomatisch hochsensible Tour
in ein hart umkämpftes Ausland. Man nimmt ihn nicht mit auf eine
so diffizile Bühne, wo er das Kasperle geben darf, während
sich ein jovialer Verteidigungsminister ein wenig PR gönnt. Die
Reaktionen aus dem Reiche hätte Herr zu Guttenberg voraussehen
können und müssen, unbeschadet seiner wahren und sicher auch
ehren- und lobenswerten Intentionen. Denn, wer sich dazu entschließt
einen Kerner mitzuschleppen, der hätte am Beispiel der von Kerner
mitbetriebenen Causa Herman durchaus lernen können, was es bedeutet,
wenn dem Plebs der gute Wille des Verstehenwollens völlig abgeht.
Wenn stattdessen jede Gelegenheit, den Auftritt des deutschen Edelschokoladenweihnachtsmannes
vor die Kulisse einer Zielscheibe zu platzieren, voll der Häme
ausgebeutet wird. Wollte Herr zu Guttenberg mediale Aufmerksamkeit?
Sicher doch. Bekam er sie? Im Übermaß! Nur eben nicht die,
welche er wohl im Auge hatte, als er sich nach Kabul auf den Weg machte.
Dieser Fehltritt wäre vermeidbar gewesen und nicht nur der: Auch
der dusslige Kommentar der sonst so hochintelligenten Stephanie, die
Soldatinnen könnten ja ihre Probleme von Frau zu Frau mit ihr besprechen,
entbehrt jeden Sinnes: Denn wie könnte Frau zu Guttenberg, die
Ministergattin, die Soldatinnen-Probleme lösen helfen, wenn nicht
auf eine Weise der Einflussnahme, die zumindestens wiederum ein gerüttelt
Maß an suspektem Potential beinhalten würde?
Nein, das war ein ganz dickes Eigentor, eines, das er sich ohne Not
geschossen hat, der Herr Bundesverteidigungsminister. Und das ist traurig.
Denn der Schaden ist umso größer, als Karl-Theodor zu Guttenberg
der einzige Politiker weit und breit ist, der gerade vom vorurteilsbehafteten,
böswilligen und hämischen Mob mit großer Sympathie bedacht
wird. Das ist eine so seltene Ehre und eine damit so unglaublich kostbare
Chance, den täglich orientierungsloser werdenden Plebs in verträglichen
Bahnen zu halten. Dieser Mob hat sonst auf weiter Flur kein Führungsbild
mehr, an dass er sich klammern kann. Die Galerie der Charakterköpfe
in der Spitzenpolitik ist ausgedünnt. Wenn sich Herr zu Guttenberg
nun auch noch aus dieser erlesenen Reihe absentiert, und das ohne Not,
so wäre das nicht nur schmerzlich, sondern es würde darüber
hinaus auch die allgemeine Politikvedrossenheit zum Schaden der Demokratie
sehr befördern.
Nun ist er einmal richtig ins Fettnäppel getreten, der elegante
Baron. Da kann man nichts mehr löten. Für die Zukunft aber
sollte er die Kerners im Dorfe lassen, sein eigenes Profil schärfen
und den Unsinn vermeiden, an der Familienmarke „Stephanie und
Karl-Theodor“ öffentlich zu basteln. Wir brauchen einen guten
Verteidigungsminister und eine engagierte Kinderschützerin. Wir
brauchen aber kein Karnevalsprinzenpaar in der Oberliga der Gesellschaft
außerhalb der tollen Tage. Und wir brauchen sicher für die
Augsburger Puppenkiste auch einen Hofjournalisten König Urmels
des Ersten. Aber wie brauchen sie eben jeden an seinem Platze und nicht
alle auf einmal!