Snooker-Zauber im Tempodrom
Mark J. Williams holt den German Masters 2011
Michael L. Hübner
Die halbe Redaktion besteht aus Sumo- und aus Dart-Fans. Selten verpassen
wir eine Sendung, wenngleich uns das deutsche Fernsehen Sumo seit einigen
Jahren vorenthält. Wenn aber Rolf Kalb zum Snooker einlädt,
dann gibt es kein Halten mehr. Es ist wohl die Ausstrahlung dieses leisen
und eleganten Sports, der gleichermaßen den Geist und die Geschicklichkeit
fordert, die uns fasziniert. Am Tableau stehen Gentlemen, sauber und
adrett gekleidet, ruhig und ausgeglichen. Sie spielen Schach mit dem
Queue, sie leisten überragende Kopfarbeit und lassen die Bälle
nach ihren Vorstellungen über das grüne Tuch gleiten. Selbst
wenn die Sache völlig verfahren ist, selbst nach dem dritten „Foul
and a Miss“, selbst wenn ihnen der Ball von der Queue-Spitze geglitten
ist – die Gentlemen bleiben in aller Regel die Ruhe selbst. Sie
fluchen nicht, sie führen keine Affentänze auf, wie die millionenschweren,
kurzberockten Gören mit dem Tennisschläger auf dem Center
Court. Es stinkt nicht durch die Fernseh-Röhre nach Abgasen, es
dröhnt nicht durch die Lautsprecher und die Augen müssen nicht
mit ansehen, wie Mensch, Vieh und Landschaft unter der „Sportlichkeit“
einiger zweifelhaft ehrgeiziger Zeitgenossen und ihrer ebenso verblödeten
wie stumpfsinnigen Anhängerschar leiden müssen. Wir müssen
nicht beobachten, wie Verletzte vom Spielfeld getragen werden. Ach,
Billard ist einfach nur schön und Snooker ist die Königin
des Billards. Es ist sicherlich ein kleiner Wermutstropfen, dass der
Zirkel der Weltbesten dieses Sports zur Zeit noch ausschließlich
aus Engländern, Walisern, Schotten, Australiern, Festlandchinesen
und einem Mann aus Hongkong besteht.
Doch nun schmeckt der Wein wieder. Denn ein Weltranglisten-Tournier
kam nach Berlin. Die German Masters wurden im Kreuzberger Tempodrom
ausgetragen. Am Sonntag, dem 7. Februar 2011 fand dann das Finale zwischen
den beiden „Marks“ statt. Der 35jährigen Mark J. Williams
aus Wales, auch The Welsh Potting Machine genannt, traf auf den Jester
from Leicester, Mark „the Shark“ Selby.
Was die beiden boten, das riss uns von den Sitzen. Das war Zauberei,
das war ein Auf und Ab, das war Hochspannung, wie sie kein Hitchcock
je geboten hat. Großer Gott! Dieses Finale wird einiges für
den deutschen Billardsport geleistet haben. Vor allem aber wird den
Engländern und den Chinesen der Kiefer heruntergeklappt sein, als
sich der knappe aber hervorragende Sieger Mark Williams tief bewegt
bei den 2.500 Zuschauern bedankte. Die waren diszipliniert und aus dem
Häuschen zugleich. Das hatte schon etwas von Volksfeststimmung.
Keine Häme, pure Begeisterung für beide Ausnahmesportler,
wenn sie denn wieder mal legendäre Bälle „potteten“,
wenn sie dem anderen einen Snooker legten, der sich gewaschen hatte,
wenn der andere mit nicht minder faszinierender Genialität dem
Snooker entkam. Wir verfolgen schon seit Jahren die Snooker-Spitzenaustragungen
– aber so etwas wie dieses Finale in Berlin – so etwas gab
es noch nicht! Nicht einmal der Umstand, dass Jan Verhaas, der holländische
Schiedsrichter, zwei mal in wenigen Minuten einen Frame neu aufsetzen
musste, weil sich beide Finalisten in ein Patt gespielt hatten, was
dann noch drei weitere „Re-Racks“ in den nächsten Frames
zur Folge hatte.
Es war diese freundliche Begeisterung, diese unglaubliche Anteilnahme
des Publikums, das trotzdem nicht in die launige Bierzeltatmosphäre
wie im Londoner Alexandra Palace verfiel, wo die Darter ihre Pfeile
werfen.
Die Gentlemen boten einen großen Abend: vier Stunden und zwei
Minuten Unterhaltung auf höchstem Niveau. 9:7 stand es am Ende
für den Waliser. Leider kennen wir keinen walisischen Whiskey.
So ließen wir einen guten Tropfen aus Irland, dem grünen
Nachbarlande von Wales, in die Gläser plätschern. Ein Hoch
auf Mark J. Williams, dessen grandioses Comeback wir feierten, dessen
knappe Niederlage gegen John Higgins bei den UK-Championships im letzten
Jahre wir betrauerten und dem wir den verdienten Sieg von Herzen wünschten.
Ein Hoch auch auf Mark Selby, der seine Haut teuer verkaufte und der
Snooker bot, das atemlos machte. Ein Hoch auf die Hauptstadt, die Weltspitzensnooker
nach Deutschland holte und damit eine Grundlage dafür schuf, dass
wir bald auch wieder einen deutschen Namen bei den Top 20 finden werden.
Bevor wir die Feder aus der Hand legen, noch einmal unser Gruß
nach Cwm, Wales: „Congratulations Mr. „Mark J. Potting Machine“
Williams and – thanks a lot for this terrific game! We like to
see you again as soon as possible, indeed!“