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Falls Sie nicht...
Das Arbeitsamt "lädt" einen „Kunden“ "ein"

S. M. Druckepennig
Der Redaktion des Preußischen Landboten liegt ein Anschreiben der Agentur für Arbeit vor, das diese an ihren "Kunden 039D0xxxxx" richtete. Das Schreiben ist mit dem Worte "Einladung" betitelt. Einladung scheint jedoch im deutschen Sprachgebrauch ein Wort mit mehreren Bedeutungen zu sein. Wer mit dieser Art „Einladung“ beispielsweise einen Industriemagnaten zur Teilnahme an einer Wohltätigkeitsveranstaltung gewinnen wollte, bei der es Geld für eine soziale Einrichtung zu gewinnen gilt, stünde bereits auf verlorenem Posten, bevor die Tinte auf dem Einladungsbrief getrocknet wäre. Wer in diesem Tone einen verdienten Bürger zu einer Festveranstaltung bittet, auf welcher der eine Auszeichnung erhalten soll, einen Orden beispielsweise, der würde sich am nächsten Morgen bereits auf dem Abstellgleis seiner Karriere wiederfinden. Denn dieser Ton, der an die Arbeitslosen gerichtet wird, ist die Adressierung eines pommerschen Junkers an seinen Knecht. Das ist Gutsherrenart! Das ist eine Peitsche mit geschnitztem Peitschenstil. Lesen wir doch mal hinein:

„...sofern sie keine Nachteile für Ihren Leistungsbezug in Kauf nehmen wollen, sind sie verpflichtet...“,


„Mitwirkungspflicht (§§ 60 ff SGB I) … beabsichtige ich, die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung nach § 66 SGB I ganz – längstens jedoch für 12 Wochen - zu versagen oder zu entziehen...“,


„...auch wenn Sie Widerspruch gegen diese Meldeaufforderung erheben, sind Sie verpflichtet, der Aufforderung nachzukommen. Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung (§ 336a Satz 1 Nr. 4 SGB III). Kommen Sie der Aufforderung ohne wichtigen Grund nicht nach, tritt auch im Falle Ihres Widerspruchs eine Sperrzeit ein...“


„...falls Sie ohne wichtigen Grund dieser Aufforderung, bei der Agentur für Arbeit vorzusprechen, nicht nachkommen, liegt ein Meldeversäumnis vor. Das Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe wird Ihnen vom Tage der Meldeversäumnis an für die Dauer von einer Woche nicht gezahlt. (Sperrzeit gem. § 144 Abs. 1 Nr. 6 SGB III). Die Sperrzeit mindert Ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, oder Arbeitslosenhilfe für die Dauer der Sperrzeit (§ 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III)...“


„...Erfüllen Sie einer der oben genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit, so kann dies zur Absenkung des Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) führen...“.


Diese fünf Zitate, diese schier endlosen Aufzählungen von blanken, keulenartigen Drohungen finden sich auf nur zwei, (notabene: zwei!) DIN-A4 Seiten. Das heißt, die ganze Einladung bekäme man billig auf einer DIN-A4 Seite unter, bräuchte man nicht die zweite für die sich staccativen Ankündigungen aller Apokalypsen, die man amtlicherseits über den armen Delinquenten, pardon: „Kunden“ hereinbrechen lässt, wenn es diesem einfallen sollte auch nur ein Jota vom befohlenen Kurse abzuweichen. Denn der arme Sünder hat zu spuren! Schließlich ist er ein Leistungsempfänger, ein nutzloses, dafür jedoch wertvolle und hart erarbeitete Ressourcen vertilgendes Subjekt, ein Parasit eben, der notgedrungen durchgefüttert werden muss, weil gewisse ethische Erblasten dieses vorzeichnen. Ein solcher Umgangston degradiert die Anrede "sehr geehrte/r", oder die Schlussformel "mit freundlichen Grüßen" zu verlogenen und verheuchelten Makulaturen, die das Blutleere dieser Schreibung geradezu verdeutlichen.
Dabei sind zwei Dinge interessant: Zum Ersten liefern Schreiben dieser Art hervorragende Aufschlüsse darüber, wer hier an wen schreibt und auf welcher hierarchischen Stufe der Adressat wahrgenommen wird. Die Stufe, auf der man die soziale Randschicht der arbeitslosen Leistungsempfänger dem Tone der „Einladung“ folgend ansiedelt, ist eine sehr, sehr niedrige. Es ist die Sprache des altdeutschen Beamtentums dem untertanen Supplikanten gegenüber, der demütig seine Kappe in der Hand zu halten hat, den Blick gesenkt und sich artig für die Almosen verbeugend, die er von einer gnädigen Herrschaft zugeworfen bekommt. Es ist die Herrschaftssprache einer größenwahnsinnigen Obrigkeit, einer Vollstreckerin derer, welche die Mehrheit der Arbeitslosen erst in ihre elende Situation brachten, damit sich die Gauner im Nadelstreifen selbst die Taschen mit horrenden Gehältern, Boni, Gratifikationen, Beteiligungen, Gold, Aktien, Immobilien, Renten... vollstopfen können. Als größten Treppenwitz führten sie dann, dem Prinzip der seelenlosen und eiskalten Höflichkeit und damit dem Zug der Zeit folgend, den Begriff des „Kunden“ für ihre Korrespondenz und Selbstdarstellung ein, wo sie doch eigentlich minderwertiges, weil abhängiges Gesindel meinten. Gesindel, dass man ständig im Zaume halten muss; hinter dem man her sein muss ohne es auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen, dem man auf und durch die Finger sehen muss. Und vor allem:Gesindel, dem man permanent und mit jedem zweiten Satz drohen muss. Doch sollte man dieser abstoßenden Manier der Obrigkeit Gerechtigkeit widerfahren lassen: Bezeichnet ein Bundesminister die „Kundschaft“ des Arbeitsamtes mit den obengenannten Attributen, nennt er sie gar faul, versoffen und leistungsunwillig, nur listig und rege bei der Erschleichung von Leistungen zum Nachteil des steuerzahlenden Volkes, dann ist im nächsten Augenblick der Teufel los! Dabei wird doch aus der Strukturierung unserer zitierten „Einladung“, die in Kopie auf unserem Radaktionsschreibtisch liegt, durchaus deutlich ersichtlich, dass diese Ansprache in der Wahrnehmung aller dem Minister nachgeordneten Behörden durchaus mit der Realität korreliert – anderenfalls wäre doch wohl kein Grund für diese Droh-Orgien gegeben. Anderenfalls würde es sich doch keine Obrigkeit wagen, mit ihren Leistungsempfängern in diesem Tone umzuspringen. Der Dompteur Arbeitsamt dressiert also die arbeitsscheue, intellektuell minderbemittelte, asoziale, parasitierende und widerborstige Bestie „Arbeitsloser“, genannt „Kunde“, mit der Peitsche des Entzuges von Geldmitteln, die zum Überleben gebraucht werden. Das alles ist für uns nicht weiter verwunderlich. Wir leben zu lange in diesem Lande, als dass uns seine unsäglichen Gepflogenheiten, seine ekelerregende Art mit seinen Menschen umzuspringen, nicht sehr wohl geläufig wäre. Diese Art, auf die schon Tucholsky spuckte, sie widert auch uns an. Doch der andere Aspekt, den dieser Beitrag illustriert, der bringt uns tatsächlich auf die Palme: Diese unsäglichen und verlogenen Euphemismen, die von „Kunden“ und „Einladungen“ schwadronieren, die lassen uns rot sehen. Denn sie sind ein unerträglicher Hohn auf die Leute, die meist schon alles verloren haben. Eine ostpreußische Gutsherrin, die ihre leibeigene Magd mit der Peitsche bis zur Bewusstlosigkeit traktiert, wird um nichts humaner, weil sie diese – um sich selbst den Anschein einer zivilisierten Dame zu geben – mit „Sie“ anspricht, während sie den Peitschenstil auf dem Rücken des Mädchens zerbricht. Ganz im Gegenteil, die Bestialität dieser Gutsherrin, deren reales Vorbild von Friedrich dem Großen übrigens eingebuchtet wurde, kommt dadurch nur noch verstärkt zum Ausdruck. Blöd ist jetzt, dass sich die Mentalität dieser adligen Sadistin nun auf eine ganze bundesweit operierende Behörde übertragen hat, wobei auf fürchterliche Art und Weise hinzukommt, dass diese Behörde zu allem Überfluss auch noch vollständig der Emotionalität entbehrt, die der Gutsherrin wenigstens einen Rest von Menschlichkeit attestierte. Der anonymen Behörde steht nun ein anonymes Arbeitslosenheer gegenüber, dessen Individuen mit Nummern, wie sie KZ-Häftlinge tragen, entindividualisiert, entwürdigt und bis zum Zerbrechen gedemütigt werden. Sie sind Bettler, Bittsteller, Steuerauffresser, ungebraucht, überflüssig, überzählig. Die Vetreter dieser Kaste sind nämlich nicht in der Lage, eine Bank und alle deren vertrauensvolle Anleger mit Milliardenspekulationen zu ruinieren, oder mit riesigen Anlagebetrügereien ganze Volkswirtschaften zu kippen – diese besondere und weit verbreitete Inkompetenz macht sie wertlos, uninteressant. Sie sind eine lästige und ebenso unerwünschte wie überflüssige Biomasse. Deshalb redet man sie an wie Dreck, droht ihnen, behandelt sie wie unmündige Gören, aber nicht wie „Kunden“, die man zu etwas „einlädt“. Der Kunde wäre König in einer Marktwirtschaft? Das mag so gelten. Nur werden jene „Könige“ von dieser Behörde nicht besser behandelt als die Zarenfamilie von den siegreichen Bolschewisten. Darüber zu reden, die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen, ist ein Sakrileg – wir begehen es, wir sprechen es aus im Namen der armen Teufel, denen sonst nur bildungsfernes und unartikuliertes Geschimpfe und Gefluche bleibt. Ändern werden auch wir nichts – aber wir können es dokumentieren.
Am Ende des ersten Jahrzehntes des neuen Jahrtausends erscheinen uns die Jugendämter, die prügelnden und vergewaltigenden Angestellten der staatlichen und klerikalen Kinderheime der Bundesrepublik Deutschland der sechziger und siebziger Jahre als Verbrecher, als kriminelle Vereinigungen, denen heute harte Verurteilungen sicher wären. Gerade eben hat sich ein runder Tisch dazu entschlossen, die Empfehlung abzugeben, Einhundertundfünfzig Millionen Euro an die Opfer dieser geistesgestörten Sadisten im geistlichen und staatlichen Habit zu zahlen. Und es hat bis zu dem Tage, als der Damm des staatlichen Schweigens dem Druck der Opfer nicht mehr standhielt, "nur" dreißig Jahre gedauert. Der Skandal um das Berliner Canisius-Colleg brachte die Lawine ins Rollen. Das gibt uns einige Hoffnung.
Die ständige Präsenz von unterbezahlten und ausgebeuteten Sicherheitsdienst-Beschäftigten in den Arbeitsämtern ist ein deutlicher Indikator dafür, dass es dieser Obrigkeit sehr wohl bewusst ist, dass die Kommunikation zwischen ihnen und ihrer „Kundschaft“ erheblich gestört ist. Martialische Drohgesten mit der Positionierung von Sicherheitsdienstlern werden das Problem auf Dauer nicht lösen. Die kritische Lektüre einer „Einladung“ dieser Behörde durch ihre eigenen Verantwortlichen könnte ein Anfang sein. Der Anfang einer Kommunikation von Mensch zu Mensch. Der Anfang einer Anerkennung des grundgesetzlich garantierten Anspruchs auf die Würde des Menschen, der als wahrer, als anspruchsberechtigter Kunde auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzt, der sich als Herr X und Frau Y mit einem helfenden Dienstleister unterhält und nicht als Nummer 39D0xxxxx mit einem behördlichen Androiden. Das würde eine Menge gesellschaftlichen Sprengstoffs entschärfen. Zu den Leidtragenden dieses Paradigmenwechsels zählten dann zwar wahrscheinlich als Erstes die Sicherheitsdienstleister, die sich dann wohl als „Kunden“ vor jenen Schaltern wiederfänden, die sie einst zu bewachen hatten. Kein Licht ohne Schatten. Aber der Preis wäre es wert. Ganz sicher.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
15.12.2010