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Wegtreten oder weggetreten?
Was ist beim Barras los?

Michael L. Hübner
"Ach, was muss man oft von bösen Buben hören oder lesen...", begann Wilhelm Busch einst sein Epos vom kriminellen Gaunerpärchen Max und Moritz. Wenn sie sich nicht vom Müller haben zu Schrot und Korn mahlen lassen, wie das Ende von Buschs Moritat verkündet, dann kamen sie irgendwann einmal ins wehrfähige Alter. Dass sie eingezogen wurden, steht für uns ganz außer Frage. Wie sonst erklärt man sich, was man so aus den Reihen der Bundeswehr vernimmt. Das muss so schlimm sein, dass selbst der Herr Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Rede und Antwort steht. Da wird ein Landser in Afghanistan im Spiel von einem Kameraden, nicht einmal von den Mudschaheddin oder den Taliban, über den Haufen geballert und kehrt in einem Zinksarg in die Heimat zurück. Auf der Gorch Fock kotzt wohl schon der Klabautermann ob des Umgangs mit den zugegebenermaßen etwas verzärtelten Kadetten. Nur muss dessen Erbrochenes im Gegensatz zu dem einiger Offiziere nicht von den Rekruten aufgewischt werden. Es sollen auch manche von den Seemännern den Respekt vergessen haben, den sie den an Bord der Bark anwesenden weiblichen Kadetten schulden. Überwältigt von der auf Hoher See erzwungenen sexuellen Enthaltsamkeit muss einigen Kerlen beim Anblick von runden Hintern und gewölbten Brüsten der Verstand in die Hose gerutscht und das, was sich normalerweise darinnen befindet, herausgeglitten sein. Eine schlechte Referenz für einen zukünftigen deutschen Offizier, wenn er seiner Triebe nicht Herr wird. Wenn dann noch Kadettinnen über Bord gehen und erst Tage später als Wasserleiche an die Küste treiben, dann lohnen die Zustände auf dem Segelschulschiff wirklich einmal eine nähere Betrachtung. Die Koedukation bei der Marine ist zwar sehr löblich, aber es sieht so aus, als ginge man damit, was den halbgewalkten Rekruten abzuverlangen und zuzumuten ist, doch mehr vom Wunschdenken als von der Realität aus. Das ist nämlich auch das Problem aller deutschen Kasernen, die nunmehr in den Fokus des Bundeswehrbeauftragten gerückt sind. Die Exzesse, die sich dort hinter verschlossenen Türen abspielen, sind zwar einerseits ebenso kindisch wie unwürdig, andererseits haben diese ekligen Spielchen eine uralte Tradition. Männchen der Spezies des Nackten Affen werden für längere Zeit eingesperrt und man setzt sie mit Forderungen unter Druck, deren Umsetzung ihnen in Freiheit kaum einfallen würde. Das erzeugt Stress, der sich zu dem Zwang, sich unter den anderen Männchen zu behaupten, hinzuaddiert. An dieser Stelle wird die Mischung explosiv und kreuzgefährlich. Der Druck, den man von oben her spürt, verlangt nach einem Blitzableiter, der im Ideal- das heißt im Kriegsfalle billig zu haben ist. Die Bilder, die wir aus Abu Guhraib zu sehen bekamen, oder diejenigen, die Wikileaks veröffentlichte, sprechen eine deutliche Sprache.
Ist aber kein Feind vorhanden, müssen eben die schwächeren Kameraden herhalten. Es sind Rituale und dämliche Spielchen, wie sie auch in der NVA und in der Wehrmacht nicht unbekannt waren, wie sie aus allen möglichen Studentenbünden berichtet werden, in Deutschland, England, den U.S.A.... Entstanden sind die kranken Formen des Umgangs miteinander aus dem Bedürfnis heraus, zu sondieren, aus welchem Holz derjenige ist, dem man mit dümmlichen Mutproben oder Schikanen zusätzlich zum Alltagsdruck noch einen draufsetzt. Doch haben sich die Dinge dann irgendwann in einer Art und Weise verselbständigt, wie es aus den Experimenten amerikanischer Psychologen seit langem bekannt ist. Hemmungsloser Sadismus und das Bedürfnis, sich am Elend des Nächsten zu delektieren, daraus persönliches Amüsement zu beziehen, gesellen sich hinzu. Die Opfer werden dann oft menschliche Wracks, die, nicht selten allen gegenteiligen Schwüren zum Trotz, in die Rolle ihrer einstigen Peiniger schlüpfen, sobald sie die erste Gelegenheit dazu haben. Korpsgeist? I wo. Wenn überhaupt, dann nur nach außen. Das alles ist sattsam bekannt. Wozu also eine diesbezügliche Anhörung des Herrn Bundesverteidigungsministers? Um festzustellen, dass man dieser pathologischen Soziodynamik nie Herr wird, egal, was man anstellt? Wahlkampfgetöse? Genug Munition für ein paar kräftige Böllerschüsse beim Hornberger Schießen ist ja Gott sei Dank vorhanden. Da wären nämlich noch die geöffneten Feldpostbriefe, die geklauten elektronischen Speichermedien, die verschwundenen Pakete. Seit dem Wikileaks-Skandal scheint ein Gespenst in den Reihen der Bundeswehr umzugehen: Die räudige Angst vor dem Plappermaul, das am Ende Dinge preisgibt, die tagtäglich geschehen und die doch niemand wissen soll. Und wem bereitet das Kopfschmerzen? Den Verantwortungsträgern natürlich, die im Falle eines Skandals ihren Hut nehmen müssten, die gerüffelt werden, die schlicht und einfach Angst um ihren Arsch haben. Wir setzen mal voraus, dass keiner von den Posträubern so dämlich ist, nicht zu ahnen, dass die Sache früher oder später mit einem großen Knall auffliegt. Wenn dem aber so ist, dann muss doch die erwartete Strafe für die Vergehen im Postbereich als weitaus geringer eingeschätzt werden, als das Donnerwetter für Geschehnisse, die man mit dem Überwachen der Post vertuschen will. Das alles ist schon sehr beeindruckend und regt durchaus zum Nachdenken an. Bevor sich also die Opposition in all ihrer Erhabenheit und moralischen Überlegenheit ex cathedra auf den Herrn Bundesverteidigungsminister einschießt, sollte sie im Interesse der gesamten Republik und ihrer Parlamentsarmee darüber nachdenken, wie diesen Dingen abzuhelfen ist. Karl-Theodor zu Guttenberg hat einen Augiasstall auszumisten. Wenn man es ehrlich meint und Schaden vom deutschen Volke abzuwenden gewillt ist, statt nur auf die angestrebten Wahlergebnisse zu stieren, dann darf man sich nicht zu edel dünken, auch eine Forke in die Hand zu nehmen. Anderenfalls deklassiert man sich als bigotter Schwätzer, nicht wahr, Herr Gabriel? Nur ein geschlossenes Vorgehen des Parlaments kann die Kommandeure bewegen, in ihren Truppenteilen für die geforderte Ordnung zu sorgen und auf das alte Führungsprinzip der „Selbsterziehung“ zu verzichten. Das alles ist auch bitter nötig, es sei denn, uns gelüstet nach den unsterblichen Blamagen der U.S. Army und der amerikanischen Marine. Also schließen wir den Aufsatz mit dem militärischen Befehl an alle unproduktiven, unkooperativen und egoistischen Wadenbeißer: „Wegtreten!“

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
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