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Wie peinlich ist das denn...!
Peine peinigt das Volk mit „Shopping Guides“zum Weihnachtsfest

Kotofeij K. Bajun
Das Wort „peinlich“ kommt von Pein, Schmerz, sagt der Etymologe. Die Pein leitet sich hingegen vom lateinischen poena ab, was Sühne, Strafe und auch Rache bedeutet. Seit Kurzem aber könnte das Wort eine zweite Wurzel hinzubekommen haben. Quasi zu Weihnachten 2010. Diese Wortwurzel könnte sich von der niedersächsischen Stadt Peine herleiten. Da haben sich die Peiner nämlich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: einen "Shopping-Guide" , der Leuten helfen soll, die sich – unter dem weihnachtlichen Geschenkezwang stehend – verzweifelt auf dem letzten Drücker nach solchen Präsenten umtun. Ratlos hasten sie durch die Gassen, getrieben vom Weihnachtsterror und ihrer Angst, sich am Heiligen Abend bis auf die Knochen zu blamieren. Denn es geht ja schon lange nicht mehr darum, dem Nächsten eine Freude zu machen, seine Augen zum Leuchten zu bringen. Die eisernen Klammern einer unselig gewordenen Tradition beschert den Menschen Unmut und Verdruss. Gnadenlos rückt der Heilige Abend näher und Panik kommt auf: „Mein Gott, ich muss doch noch...“ Bar jeder Hoffnung im letzten Moment erleuchtet zu werden, sieht man sich schon Entschuldigungen stammelnd unter dem Weihnachtsbäume stehend, die Häme rieselt unerbittlich auf den einfallslosen Kopf wie sanft rieselnder Schnee.
Doch für jedes problematische Massenphänomen kennt die moderne Marktwirtschaft eine Lösung. Die Stadt Peine bei Hannover schickt Shopping-Guides auf Achse. An dieser Stelle ist die enge Verwandtschaft des Hauses Hannover mit England zu vermelden, dessen König George III. ja in Personalunion König von Hannover war. Die Verwirrung, die dem Doppelmonarchen zugeschrieben wird, scheint sich auch auf seine Untertanen teutscher Nation niedergeschlagen zu haben. Zumindest beherrschen die von Peine nicht mehr ihre eigene deutsche Zunge: „Shopping-Guide“ muss das jetzt auf englisch heißen, „Einkaufsführer“ klingt den abgehobenen Guelfen zu banal. Und was ist nun die Aufgabe dieser dinglischen Einkaufsberater? Sie sollen denen Ratlosen, Gehetzten, Panischen zu einem Weihnachtsgeschenk in letzter Minute verhelfen. Nirgends, wirklich nirgendwo kommt die Perversion, die das Weihnachtsfest in der täglich geist- und seelenloser werdenden, merkantil orientierten Gesellschaft ummantelt, deutlicher zum Ausdruck. Es ist einfach nur noch „Peinlich“. Eine Zehnjährige, die davon Kenntnis erlangte, schüttelte verständnislos den Kopf: „Die wissen doch aber das ganze Jahr über, wann Weihnachten ist...“ Ja schon, kleine D., aber es schert sie einen feuchten Kehricht! Die Leute, die pflichtgemäß beschenkt werden müssen, sind den Panischen im Grunde ihres Herzens auch vollkommen egal. Leute, die sich der Hilfe eines „Shopping-Guide“ anvertrauen müssen, sind die, welche früher einen Messerblock, einen geschmacklosen Schlips, ein paar Socken und ähnliche Brüskierungen bunt verpackt unter dem Weihnachtsbaum drapierten. Geschenke müssen halt sein. Es ist eine lästige Pflicht. Es ist eben – der Terror von Weihnachten! Das Volk stöhnt und lastet die Verantwortung auf andere ab, auf dienstleistende Profis, so, wie es üblich geworden ist in unserer phantasielosen Dienstleistungswelt. Man geht ins Bordell und lässt sich von bezahlten Huren melken, man lässt sich von Innen-Designern die Bude ausstaffieren man lässt Werbeagenturen die Trommeln für den selbst produzierten Tinnef rühren, PR-Berater „stylen“ den modernen Menschen für seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritt. Menschliche Nähe, Interesse für- und aneinander, Authentizität und Wahrhaftigkeit sind ladenhütende Auslaufmodelle. Und nun lässt man sich von Menschen, die den zu Beschenkenden aller Wahrscheinlichkeit noch nie im Leben sahen, beraten, was diesem unter den Weihnachtsbaum zu legen sei. Und genau das ist peinlich. Das ist mehr als peinlich. Das ist eine Idee aus Peine und sie ist der Gipfel der Dekadenz. Wären wir die Beschenkten und würden erfahren auf welche Weise wir zu unserem Präsent gekommen sind, wir würden den Krempel dem lieb- und phantasielosen Hallodri an den Kopf werfen. Das wäre uns keines Dankes wert. Eher noch einen Tritt in den Hintern. Denn für uns wäre so etwas ein Schlag ins Gesicht, ein hingeworfener Fehdehandschuh, ein Affront. Wem wir die Mühe nicht wert sind, uns kennenzulernen, unsere Eigenarten, unsere Befindlichkeiten und unsere heimlichen Wünsche und Begehren herauszufinden, der mag uns getrost den Buckel runterrutschen und uns vor seinen oder ihren Pflichtgeschenken verschonen. In Peine sieht man das offenbar anders. Vielleicht ist man sich der Peinlichkeit des Ganzen nicht im Mindesten bewusst. Peine soll von dem Minesterialen Lothars III. Berthold von Pagin gegründet worden sein. Von ihm leitet sich dem Vernehmen nach der Name der Stadt ab. Kann sein. Kann aber auch sein, dass Herr Berthold in die Kristallkugel blickte und dann entfuhr es ihm entsetzt: Oh P..., oh wie p...! Was ihm da über die Lippen brach? Na dann schauen sie mal, was hinter der Postleitzahl 31224 steht und hängen sie beim ersten Wort ein „e“ hintan und tauschen sie diesen letzten Buchstaben beim zweiten Wort gegen das Adjektivierungssuffix „lich“ aus! Das ist unser kleines Weihnachtsrätsel für unsere Leser. Kleiner Hinweis: herauskam die Namensgebung für eine gut 50.000 Einwohner zählende Stadt, nicht ganz drei Meilen westnordwestlich der alten Welfenmetropole Braunschweig. Übrigens: Für diese kleine Weihnachtsaufmerksamkeit an unsere Leser braucht man keinen Shopping-Guide und sie sollte weder Intelligenz noch Geschmack der Rezipienten beleidigen. Und da jede Medaille ihre zwei Seiten hatte, so sollte diese Peiner Schnapsidee auch eine Steilvorlage für Oliver Kalkofe sein, ein Präsent der Extraklasse für einen Komiker der Spitzenliga, der unter anderem in Peine aufwuchs. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn Onkel Hotte diese Grausamkeit auf seine Weise kommentierte.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
24.12.2010