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Heldendenkmäler ziehen um

J.-F. S. Lemarcou
Die "Generation Facebook" tritt in die Fußstapfen ihrer Vorfahren. Noch während des Kampfes werden Heldendenkmäler errichtet. Nicht so protziger Kitsch wie Husseins Säbeltor in Bagdad, keine Monolithen mit eisernem Kreuz und steinernem Stahlhelm wie auf den märkischen Dörfern – die Heldendenkmäler sind zeitgemäß ins Internet umgezogen. Bei Facebook sieht man nun die Gesichter und Lebensdaten der modernen Märtyrer im allgegenwärtigen Kampf für die Freiheit. Das hat viele Vorteile: Da muss man sich nun nicht mehr in den Sonntagsstaat werfen um dem Enkelchen den Namen des eigenen Urgroßvaters zu zeigen, der vor Verdun für Volk und Vaterland gefallen ist. Ein Klick genügt. Auf Facebook kann man auch weit mehr über den Menschen und die Umstände seines unzeitigen Todes erfahren, als das auf den Trumms der Fall ist, welche die märkischen Kirchhöfe bevölkern. Außerdem verwittert die Schrift im Internet nicht...
Ja, also, woran erinnert denn nun so ein Heldendenkmal eigentlich? Schauen wir doch mal zurück in die Frühzeit der Heldendenkmäler! Uropa hatte sich seinerzeit als Kanonenfutter freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Es ging bei dem Kampf um die Freiheit von der französischen Knechtschaft. Dann sind ihm die Gedärme aus dem Leib geschossen worden. Drei Stunden noch soll er in seinem Bombentrichter geschrien haben, nach seiner Mutter, nach seiner Else, nach der Mutter Gottes, nach allen möglichen Frauen. Aber die waren in den Schützengräben Mangelware. In der Nähe waren nur die Franzmänner, die sich just an diesem Tage ungnädigerweise mit dem Giftgaseinsatz zurückhielten, was ja Urgroßvaters Leiden erheblich abgekürzt hätte. Die eigenen Leute trauten sich nicht hin zu ihrem Kameraden Gustav. Der Erbfeind lag auf der Lauer. Uropa half es auch nichts, dass sich ob seines gräulichen Gekreisches die Schneckenfresser stöhnend die Ohren zuhielten, weil sie mit dem verblutenden Feind mitlitten. Ja, ja, die Freiheit! Die ist schon eines guten Mannes räudigen Tod wert. Ja sogar vieler Millionen guter Männer Tode... Bei Uropas Tod und dem seines Erbfeindes Maurice, der zwanzig Meter von ihm entfernt im Stacheldraht hängengeblieben und von einem Maschinengewehr der Marke 08/15 durchsiebt wurde, ging es allerdings weniger um die persönliche Freiheit von Gustav, Else, ihrem zweijährigen Emil, Maurice, Louise und der fünfjährigen Charlotte, ihren Tagesablauf nach Belieben zu gestalten. Diese Freiheit hatten sie mangels finanzieller Masse eh nie gehabt. Es ging mehr um die Freiheit von Friedrich Krupp, seine Kanonen auch an den Erbfeind verkaufen zu können. Aber das lernten weder Emil noch Charlotte in ihren Schulen auf der jeweiligen Seite des Schützengrabens. Die lernten, dass der Andere, der Unbekannte, Fremde, mit dem unaussprechlichen Namen, ein vertierter Sadist ist, der Papi mit dem Messer quer im Maul töten, Mutti schänden und ihnen, den Kindern, die Hände abhacken will. Dieses Wissen ließ sich im Angesicht der Heldendenkmäler sehr gut abstrahieren. Der andere musste eine Bestie sein, denn Papa und seine Kameraden haben sich ja schließlich nicht selber umgebracht, nicht wahr! Papi und seine Kameraden mussten ja hinaus ins Feld, um den vertierten Feind davon abzuhalten, Mutti zu schänden und den Kindern die Hände abzuhacken. Dafür wurden sie von allen Lehrern, die auf den indirekten Gehaltslisten des Friedrich Krupp standen, zu Helden erklärt. Helden sind in Kriegszeiten billig im Dutzend zu haben.
Leider vergaß das Heldendenkmal einige Namen: Die der Witwen zum Beispiel, die dann ihre Emils samt der vielen Geschwister durch den Hungerwinter bringen mussten. Wie, das weiß bis heute kein Aas. Das Tafelsilber hatte der Schwiegervater für die vierte Kriegsanleihe dahingegeben, nachdem er seinen Heldensohn samt Gewehr und Tornister zum Bahnhof gebracht hatte. Was hatten sie gelacht und gejubelt und sich freudig ausgemalt, wie sie den Chrestiens, Louis', Maurices und Francoises die Därme aufschlitzen wollten. Schwiegervater hatte ja selbst ein Eisernes Kreuz aus Sedan mitgebracht. Das bekam man nicht durchs faule Herumsitzen. „Hierher musste zielen, mein Junge, und dann immer feste druff! Jeder Stoß ein Franzos!“ Juchei! Noch ein Küsschen auf Elisen: „...und in einer Woche sind wir in Paris, mein Schätzelein. Da schicke ich dir Parfum und Champagner von den Champs-Élysées...“.
Was der Postbote dann tatsächlich brachte, war der Brief mit der schwarzen Umrandung: Gefallen für Volk und Vaterland. ...tapfer gegen den Feind, den Kameraden ein Vorbild..., ...immer in ehrendem Andenken behalten..., ...mit Solz seinen Namen.... Ja, ja, die Kameraden von Maurice konnten auch gut zielen und Handgranaten werfen.
Den stolzen Namen fanden wir dann einige Jahre später wieder auf dem Stein, schräg gegenüber der Eingangstüre der Kirche: „Gustav L., Gefr. * 01.11.1879, † 28.10.1916“.
Die Gemeinde hatte wieder Geld. Im Nachbardorf hatte es nur für eine Holztafel gereicht, die jetzt an der Nordwand des Kirchenschiffs hängt. Da sind sie nun zu lesen, die Namen der Helden. Ein bisschen Eichenlaub dazu gemalt oder gemeißelt...
Und dann dieser letzte, entscheidende Satz, allüberall, auf jedem Stein, auf jeder Holztafel: Den Toten zur Erinnerung – den Lebenden zur Mahnung! Ja welcher Mahnung denn?
Als die Freiheit erfochten war in den Revolutionskämpfen, die ja stets und ebenfalls ihre heldenhaft gefallenen Toten fordern – von den toten konterrevolutionären Schweinehunden wollen wir hier natürlich nicht reden – da kamen die Siegreichen an die Macht, bauten diese aus, festigten sie, begannen sich die Pfründe zu sichern und die Taschen vollzustopfen – ganz in der Tradition derer, die sie einst bekämpften. Aber wenn zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht das gleiche. Blöd nur, dass die heranwachsende Generation gerade diesen gewichtigen Umstand nicht einsehen will, so wenig die Revolutionäre das damals akzeptiert hätten. Jetzt, da sie am Swimmingpool ihre Medaillen aus Revolutionstagen putzen und per Telephon ein neues Heldendenkmal in Auftrag geben – für die Kameraden, die jetzt leider nicht mehr am Swimmingpool sitzen können, dafür aber eine Medaille mehr auf den Sarg gelegt bekamen – können sie gar nicht verstehen, warum die Jugendlichen da draußen auf der Straße herumschreien. Für wen haben sie, die Alten, denn schließlich all die Gefahren und Strapazen der Revolution auf sich genommen, hä? Für diese undankbaren Rangen da draußen doch. Damit die satt zu essen haben. Haben sie nicht? Na, wenn schon! Ein bisschen was können die Wohlstandsblagen ja auch für ihre Lebensqualität tun. Ihre „Freiheit“ ist ihnen ja nun schon gratis in die Wiege gelegt worden. Wenn die das nicht so empfinden, dann kann man ihnen den wirren Kopf gerne mal zurechtrücken – mit'm Knüppel nämlich.
Sie, die Alten, haben jedenfalls genug geleistet. Ihnen steht jetzt ein Platz am Swimmingpool zu und einer in der ersten Reihe, wenn man einmal im Jahr, am Jahrestag, zum Heldendenkmal defiliert, um angeblich den Toten, in Wirklichkeit sich selbst aber die Ehre angedeihen zu lassen.
Das alles ist ein uraltes Spiel. Es läuft immer nach denselben Regeln. Leider fiel es den ewigen Kämpfern irgendwann einmal ein, ihresgleichen Denkmäler zu errichten, um sich selbst zu erhöhen. Früher, in den goldenen Zeiten, kam diese Ehre nur den Königen und Heerführern zu. Die Anzahl der Klamotten, die in der Landschaft herumstanden, waren überschaubar. Nur die Könige und Heerführer hatten Namen, die es sich zu merken lohnte. Der Rest hieß nach Fernau „He du!“ „He du“s zählen aber leider Gottes nach Milliarden. Pro Generation eine Revolution – da würde am Ende jeder Kieselstein am Strand zum Heldendenkmal umgewidmet werden müssen. Na ja, die Menschheit wird hoffentlich nicht so lange bestehen, dass sie die letzten Klunkern mit ihren Heldentaten übersät und außerdem kann man ja die Gedenksteine der soeben Besiegten so lange retuschieren und neu bekritzeln, bis sie hauchdünn sind wie Pergament. Die älteren Steine sollte man übrigens stehen lassen. Sie könnten bei der Schaffung der eigenen Legende von Bedeutung sein und eine Jahrtausende alte Tradition begründen helfen.
Doch das ist alles Quatsch. Viel zu viel Arbeit. Die „Generation Facebook“ hat das begriffen. Schneller, bequemer und rascher auszulöschen sind die modernen, die digitalen Heldendenkmäler. So lange man sie braucht, dürfen sie dazu dienen, wozu Heldendenkmäler im Allgemeinen dienen sollen: sich an ihnen zu berauschen. Stellt man fest, dass einer der Geehrten dann doch nicht so ehrbar war, kann man ihn mit einem Klick verschwinden lassen. Darüber hinaus verschandeln sie nicht die Landschaft und beanspruchen nur etwas digitalen Platz. Der hinwiderum ist reichlich vorhanden. Der einzige, den das nicht freut, dürfte der Steinmetz sein.
Eines wollen wir noch klarstellen: Unser Spott gilt nicht dem armen Teufel auf beiden Seiten der Front, der nur die Wahl zwischen der Kugel des Füsilierkommandos und der des Feindes hatte. Unser Schalk zwinkert nicht angesichts der Leiden derer, die sich mutig despotischen Folterknechten in den Weg stellen, wie die Madres de Plaza del Mayo oder die tapferen Afghanen, die sich lieber von den Taliban verstümmeln ließen, ehe sie ihren Töchtern die Schule verweigerten. Denen gilt unser Gedenken. In unseren Herzen - nicht auf Steinen mit schwulstigen Inschriften. Die Bigotten aber, die Krach und Umsturz machen, damit sie an die Futtertöpfe kommen, von denen sie dann wiederum die anderen verbeißen, die sich korrumpieren lassen von der Macht um dann die Revolution ihre eigenen Kinder fressen zu lassen, all die Dantons, Marats, Robespierres aller Zeiten und aller Herren Länder – die stellen wir bloß. Spuckt sie an! Haut ihre Denkmäler in Klump und malt ihnen Fratzen über die streng und hehr in die Zukunft blickenden Gesichter. Sie haben nichts anderes verdient! Aber vergesst sie nicht! Vergesst sie niemals, nie!
Doch nun freuen wir uns erst einmal auf unsere neuen Denkmäler. Die ist der Staat uns noch schuldig und auch die Gemeinden sind gefordert. Wir brauchen doch ein würdiges Gedenken für unsere gefallenen Töchter und Söhne vom Balkan und vom Hindukusch! Also – mit ein paar Facebook-Seiten wollen wir uns nicht zufrieden geben!
Die wievielten Toten sind das eigentlich nach Verdun, nach Stalingrad, Kursk, den Seelower Höhen, Halbe-Teupitz? Wem diente denn nun das grauenhafte Verrecken Gustavs in seinem Bombentrichter zur Mahnung?
Ja, klar doch – es ist eine Auslegungsfrage: Eben weil Gustav so übel gestorben ist, darf sein Tod nicht umsonst gewesen sein. Also lasst uns neues Kanonenfutter mobilisieren und ihnen ein wenig Handgeld in die Tasche stecken, damit sie sich in Afghanistan verstümmeln und die Bäuche aufschießen lassen! Es ist eben halt nur die Frage, wer die Deutungshoheit über die Interpretationen historischer Forderungen hat...
„Ach, ihr Canaillen vom Landboten,“ schallt's von draußen in die Redaktion hinein. „Da verhöhnt ihr die Erbauer von steinernen und digitalen Denkmälern und macht doch selbst nichts anderes! Was ist denn mit eurer Tucholsky-Seite?“ Moment! DER ist im Kampf gegen die Mikrobe der menschlichen Dummheit gefallen. Das ist was anderes. Zwar genauso sinnlos aber das ist wirklich ehrenhaft. Da werfen wir uns gleich den guten Bratenrock über, setzen den Staatsdreispitz auf und pilgern hin ans Grab dieses Helden nach Mariefred. Und besuchen am Ende nach seinen Worten nur uns selbst und schwören uns gegenseitig, dass wir seine Fahne hochhalten wollen. Sieg oder Tod! Zumindest der Tod ist uns gewiss.

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
12.02.2011