Ni hao, Tunis!*
Ben Ali und Europa schwimmen die Felle weg
Don M. Barbagrigia
Westliche Gesellschaftsmodelle waren noch nie etwas für die arabische
Welt, von den okzidentalen Vorstellungen über Demokratie und Menschenrechte
ganz zu schweigen. Der Orient unter der grünen Fahne des Propheten
schrieb seit jeher fort, was der Mann Abram aus Uruk im Zweistromland
an Ideen nach Kanaan mitgebracht hatte. Das waren patriarchale Ideen:
Der Vater beherrscht die Familie, der Clanchef die Sippe, der König,
Scheich, Emir, Sultan, Kalif... das Volk und über allem thront
– Allah! Selbstredend erhellt aus der logischen Abfolge dieser
Aufzählungen, dass es sich bei Allah keinesfalls um eine Frau handeln
kann, selbst wenn IHM/IHR die zu Gebote stehende Allmacht das gestattet.
Sollte der Höchste, SEIN Name sei gepriesen, auf solch schräge
Gedanken verfallen, so würde er ganz sicher Adressat einer gepfefferten
Fatwa werden, die IHM/IHR solchen Unfug austreibt. Denn der Vorrat an
Wahnsinnigen, die sich Allah Vorschriften zu machen erkühnen und
dann noch rotzfrech in SEINEM/IHREM Namen zu sprechen vorgeben, wird
nicht kleiner. So verhält es sich auch mit allem anderen, was nicht
den tradierten Überlieferungen entspricht. Demokratie und Menschenrechte
werden ebenfalls von keiner Sure thematisiert. Also was wollen die dämlichen
Franken, die Söhne des Scheitans, die sich schon vor den Mauern
von al-Quds, sprich Jerusalem, die morschen Zähne ausgebissen haben?
Man muss nicht Lawrence von Arabien heißen, um sich in die Denkweise
der Wüstensöhne hineinzuversetzen.
Wenn einzelne arabische Staaten so etwas wie Parlamente installieren,
dann, weil ihnen an den Subsidien des Westens gelegen ist, bzw. weil
ihnen die westliche Waffenhilfe gegen ihre internen Feinde ganz gelegen
kommt. Da ist der Beduine schon mal zu Kompromissen aufgelegt. Nee,
nicht in echt! Das ist nur Affentheater für die ungläubigen
Hunde. Unter der Oberfläche funktioniert das gute und altbewährte
System der Muftis, Agas, Kalifen, Scheichs, Sultane, Chefs der Baath-Partei,
Staatsoberhäupter und anderer Beherrscher der Gläubigen. Die
einzige ernstzunehmende Demokratie im Nahen Osten heißt Israel.
Auch das System Mubarak in Ägypten ist nur eine jämmerliche
Farce, wie auch die benachbarte Große Sozialistische Libysch-Arabische
Volks-Dschamahirija. Wenn der bekennende Sozialist Oberst Gaddafi nicht
so kreuzgefährlich wäre, würden wir uns im Wüstensand
kringeln vor Lachen. Aber die Krone setzte dem ganzen arabischen Possenspiel
– welches als Volksbelustigung doch so gar nicht ins panarabische
Repertoire gehört - Zine el-Abidine Ben Ali auf wie einen schlecht
gewickelten Turban. Tunesiens Herrscher von 1987 bis 2011 muss die Nähe
zum antiken Karthago nicht bekommen sein. Nachdem er Habib Bourguiba
abgelöst hatte, entwickelte er alle seine Talente zum orientalischen
Despoten wie ein Pfau seinen prachtvollen Schwanz. Er musste auf samtenen
Kissen sitzen – mochten seine Untertanen auch verrecken vor Hunger.
Warum nur tauchen beim Schreiben dieser Zeilen vor den Fenstern der
Redaktion die Schatten des Ehepaares Elena und Nicolae Ceau?escu unheilvoll
hin und her wabernd auf? Auch Ben Alis Weib ist nur eine kleine Friseuse,
eine menschliche Doppelnull wie Elena, die sich im richtigen Augenblick
erst den richtigen Mann und dann 25 Tonnen (!) Gold gekrallt hat. Woher
die auf einmal kommen? Nun, die hatte letzterer den unglücklichen,
weil bettelarmen Tunesiern im Laufe zweier Jahrzehnte abgegaunert. Touristen,
häufig aus dem reichen Westeuropa, schleppten das Geld in den Wüstenstaat.
Ob die Schatten des Roten Vampirs auch vor den Fenstern Ben Alis und
seines elenden Ehegespons' im saudiarabischen Exil herumgeistern? Das
wäre sicher sehr unangenehm, denn beider Spuklaken dürften
ziemlich druchlöchert sein von den Schüssen zu Tergowisch.
Ja, auch das zählt zu den löblichen Traditionen im goldenen
Arabien, dem Land von Weihrauch und Myrrhe: Personelle Probleme mit
wackelnden Tyrannen löst man optimal mit dem Messer, der seidenen
Schnur oder ganz unprosaisch mit einer Maschinenpistole. Doch selbst
wenn sich die bestohlenen Tunesier das Gold zurückholen, das ihnen
die diebische Friseuse geklaut hat, wird ihnen das nicht viel weiterhelfen.
782 Millionen Euro reichen vorne und hinten nicht für das in Grund
und Boden gewirtschaftete Land am Golf von Gabes. Ein wäre nur
ein symbolischer Tropfen auf dem heißen Stein. Weiter nichts.
Das eben ist die Krux an der ganzen Geschichte.
Man soll sich doch nicht blenden lassen vom märchenhaften Reichtum
der morgenländischen Emire und Scheichs. Sie verkaufen etwas, wofür
sie keinen Finger krumm machen mussten und was ihnen Allah quasi in
den Schoß gelegt hat: Den Rohstoff Erdöl nämlich. Wenn
der zur Neige geht, wird das Gros ihrer Untertanen genau das Bild abgeben,
wie es sich vor hundert, vor tausend, vor zweitausend Jahren bot: Ein
Haufen magerer Bettler, die mit krummem Dolche ihre paar Kamele und
Zicken bewachen und froh sind, wenn sie ihre Familie man eben so durchbringen.
Diese archaischen Gesellschaftsmodelle taugen nicht mehr für die
Neuzeit. Leider Gottes behindert der Ölreichtum die betroffenen
Völker an der geistigen Weiterentwicklung. Es ist so eine Art Paris-Hilton-Syndrom:
Warum die Mühen des Nachdenkens auf sich nehmen – die American
Express Card ist doch mit Millionen gedeckt! Doch wir leben in einer
Epoche die uns noch miterleben lässt wie Gods Own Country sang-
und klanglos absäuft. Spätestens wenn ein Flugzeugträger
mit dem Namen „Zheng He“ durch den Pazifik pflügt,
weiß auch der letzte Kameltreiber, dass die neue Schutz-, Welt-
und Supermacht China heißt und es keiner in ein Finanzzentrum
rasender Flugzeuge mehr bedarf. Bei den Chinesen würde sich das
sowieso niemand wagen. Denn jeder fundamentalistische Idiot weiß
schon heute ganz genau, dass der Drache ihn, seine Sippe und sein Volk
verdampfen würde, wenn sie ein solches Assassinenstückchen
auch nur in Erwägung zögen. Ansonsten ist das 1,7 Milliarden-Volk
sehr umgänglich. Das Reich der Mitte hält es nämlich
mit gewissen, in der Vergangenheit sehr bewährten und klugen geopolitischen
Traditionen, die weitaus unaufdringlicher einher kommen, als die kreuzfahrerischen,
kolonialen und neokolonialen fränkischen Hunde und ihre amerikanischen
Bastarde. Insofern wird gerade, was Afrika und Asien betrifft, das berühmte
chinesische Lächeln so breit wie der Gelbe Fluss werden. Es ist
dieses gütige Toleranz verheißende Lächeln, dass huldvoll
über alle „Handelspartner“ des Drachenthrones wärmend
hernieder scheint wie die liebe Sonne, solange diese Freunde Chinas
brav ihre Tributkarawanen nach Peking entsenden. Man kann sich darauf
verlassen, dass das Reich der Mitte bei der Ausplünderung der Welt
immer ein gesundes Maß halten wird – Ying und Yang, etwas,
was der westlichen Hemisphäre trotz aller Aufklärung seit
jeher fremd war. Selbst der vorteilhafteste Handel wird nur im Zeichen
der Harmonie geschlossen, der Ausgewogenheit und der überzeugenden
Suggestion des Übervorteilten, dass er trotz allem noch immer den
besten aller Schnitte macht. Dieses Gefühl haben die Abendländer
den Orientalen nie gegeben. Im Gegenteil: Kolonialer Dünkel wies
selbst den „verbündeten“ Arabern den Wert eines Haufen
Drecks zu. Das alles wird sich nun rächen. Peu a peu. Man darf
gewiss sein, dass der Sohn der Sonne und alle seine Mandarine die Vorgänge
in Tunis sehr interessiert ins Auge fassen. Kuba vor den Toren Europas
– und das alles mit ein bisschen Entwicklungshilfe auf Hypothekenbasis.
Besser geht’s nicht. Zumal es als gesichert gilt, dass Tunesien
ein Initialfunke sein könnte, der das arabische Pulverfass zum
explodieren bringt. Wenn das geschieht, könnte es von heute auf
morgen nicht nur vorbei sein mit Tausend und einer Nacht, sondern darüber
hinaus auch mit dem europäischen Einfluss vor seiner südlichen
und südöstlichen Haustüre. Die jugendlichen Demonstranten
von Tunis haben Hunger. Wenn Europa nicht verdammt aufpasst, werden
sie ihr Falafel in absehbarer Zeit mit Stäbchen essen – ein
Traditionsbruch, mit dem sogar das glückliche Arabien fertig werden
dürfte.
* ni hao, chin. Guten Tag