Der Gerechte sitzt –
die Verbrecher feiern
sollten wir unser Verhältnis zu den U.S.A.
neu bewerten oder: Wer ruft heute J'accuse?
Bradley Manning, einem
echten amerikanischen Helden, gewidmet
David Katz
Bradley Manning sitzt im Knast. 23 Stunden am Tag in einer einsamen
Zelle.
Der 24jährige ist einer der Leute, die der Weltöffentlichkeit
das Video zuspielten, welches die Amerikaner bei ihren gräulichen
Kriegsverbrechen in flagranti zeigt, die sie bei ihrem Ölraubkrieg
im Irak begehen.
Die Amerikaner, das sind die großen, ehrbaren und vor lauter Moral
triefenden Ankläger von Nürnberg, die allerdings damals schon
alle Nazis einkassierten und hofierten, die ihnen für den anstehenden
Kalten Krieg nützlich waren und den Rest öffentlichkeitswirksam
aufhenkten. So, wie Göring lauthals verkündete, wer Jude sei,
bestimme er, so bestimmten die Amerikaner nach dem Kriege, wer ein guter
und wer ein böser Nazi sei. Klaus Barbie, der Gestapo-Chef und
Schlächter von Lyon muss ein Guter gewesen sein – denn er
hatte keinen Strick um den Hals, sondern Papiere, die ihm zu einer neuen
Identität verhalfen – besorgt von den Amerikanern!
Sie warfen die zwei Atombomben – in erster Linie sicher nicht,
um die Japaner zur Kapitulation zu drängen. Die waren schon drauf
und dran, die weiße Fahne zu schwenken. Das aber wäre den
Amerikanern sehr, sehr ungelegen gekommen. Da hatten sie Millionen Dollar
in die Wüste Nevada versenkt, um sich eine Superkeule zu basteln,
und jetzt betrügen die verräterischen Samurai sie in quasi
letzter Sekunde noch um die Gelegenheit den Russen zu zeigen, wie sie
sich die Nachkriegsordnung vorstellen? Da sei der calvinistische Gott
davor!
Sie entlaubten in Vietnam, wo sie nichts verloren hatten, den Dschungel
mit Agent Orange, verbrannten kleine Mädchen mit Phosphor und schossen
das Dorf My Lai nieder, in dem nichts als wehrlose Männer, Frauen
und Kinder waren. Nur widerwillig und unter dem großen Druck der
Weltöffentlichkeit kam es zu lächerlichen Verurteilungen
Nun steht wieder ein Militärprozess an. Aber nicht gegen die Schurken,
die aus einem Hubschrauber heraus iranische Automobile und Häuser
ohne Rücksicht auf Kollateralschäden beschossen hatten und
dieses mit eiskaltem, menschenverachtendem Sarkasmus kommentierten.
Sie hatten Iraker umgenietet, die verletzte Journalisten bergen, ihre
Kinder in die Schule bringen oder einfach nur die Straße entlang
gehen wollten. "Was bringen sie auch ihre Kinder mit in die Schlacht,"
tönten die kinderliebenden amerikanischen Schützen lakonisch.
Prozessiert wird nun gegen den Mann, der geholfen hat, dass die Verbrechen
ans Licht kamen. Er ist ein Whistleblower, ein Ohrenbläser, ein
Verräter. Das ist der Stil und das Erkennungsmerkmal jeder Verbrecherorganisation,
jeder Mafia-Bande: Sie schalten diejenigen aus und ziehen denen sizilianische
Badelatschen an, welche die schmutzigen und kriminellen Machenschaften
aufdecken.
Die Army, die Navy und die US-Marine profilieren sich als eine einzige
schwerkriminelle Kriegsverbrecher-Bande im Dienste einer quasifaschistischen
Führung. Das freieste Land der Welt, die Führungsnation aller
Demokratie ein quasifaschistischer Staat? Ist diese Behauptung nicht
vermessen? Wo war denn ihre Demokratie, als der Wahlfälscher Bush
jr. ein zweites Mal an die Macht geschoben wurde? Welche Macht hat denn
ihre Demokratie gegen die Diktatur der Wallstreet und der NRA –
der National Rifle Association? Wo steht sie denn auf, diese Demokratie,
um die Verbrecher aus ihren eigenen Reihen anzuklagen, die jedem Kriegsrecht
Hohn lachen und das vor den Augen der Welt? Gab es einen Prozess vor
dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen die Strolche, die den
Irak überfallen hatten, nicht, weil Hussein dort an Massenvernichtungsmitteln
bastelte, was er erwiesener Maßen nicht tat, sondern weil die
Amerikaner ihren Zugang zu den Ölfeldern des Zweistromlandes gefährdet
sahen? Nein, einen solches Verfahren gab es nie! Prozessiert wird nur
gegen diejenigen, welche die Lumpen beim Namen nennen, die aufzeigen,
wie solche Verbrechen noch von höchster Stelle gedeckt werden.
Dass das so ist, wird durch nichts so deutlich untermauert, wie durch
die harte Verfolgung der „Whistleblower“. Wer nichts verbricht,
braucht keine Enthüllung zu fürchten. Wer aber genau weiß,
was er auf dem Kerbholz hat, der versucht, seine Untaten zu verschleiern,
koste es, was es wolle. Hatten die Nazis mit ihren Vernichtungslagern
nicht dasselbe gemacht?
Wir Deutschen aber sollten uns überlegen, ob wir den Amerikanern
noch länger hinterherhecheln wollen mit unserem pseudoamerikanischen
Getue und Gebaren in der Wirtschaft, der Öffentlichkeit, dem täglichen
Miteinander.
Vor ein paar Tagen lieh sich ein Mann in den Mittfünfzigern beim
Brandenburger Dänischen Bettenlager ein Seil aus, um eine Ladung
zu vertäuen. Er fragte die Verkäuferin, „wieviel time“
sie ihm gäbe, das Seil zurückzugeben. Der Dummschwätzer
ist wahrscheinlich Anfang der Sechziger geboren worden. Das zeigt, wie
tief der zu differenziertem Denken unfähige Durchschnittsdeutsche
schon im amerikanischen Hintern steckt.
Wir hätten Grund zur Dankbarkeit gegen die Amerikaner, weil sie
uns vom Faschismus befreiten? Das waren die Russen. Sie hätten
uns die Demokratie gebracht? Uns Ostelbiern nicht. Sie haben uns nach
dem Kriege durchgefüttert? Auch dafür brauchen wir Ostelbier
keinen Knicks zu machen. Bei uns haben sie nur ihren Mist abgeladen
in Form ihrer geistlosen Unkultur, ihrer Ballerfilme und ihrer schnoddrigen,
dummdreisten Art, die besonders bei der „coolen“, minderwertigkeitsbehafteten
Jugend großen Anklang fand und leider immer noch findet. Uns haben
sie seit Jugoslawien in beinahe jedes ihrer militärischen Abenteuer
mit hineinzuziehen versucht, nach dem Strickmuster, das schon Peter
der Große erfand, als er alle seine Bojaren zwang, die aufständischen
Strelitzen zu köpfen. Verantwortung verteilen nennen sie das. Schuld
verteilen nennen wir das.
Wir sollten uns abnabeln. Wir schulden ihnen nichts mehr. Was sie aber
uns gegenüber für historische Verpflichtungen haben, das haben
sie erfolgreich verdrängt und ad acta gelegt. Sie sind die Größten...,
zumindest die mit der größten Klappe. Sie sind bigott und
hinterwäldlerisch fromm. Sie schwören auf den Kreationismus
mit dem geladenen Colt in der Hand. Sie begehen ein Verbrechen gegen
das Völkerrecht nach dem anderen und schützen die Straftäter
aus den eigenen Reihen, während sie sich damit brüsten Saddam
an den Galgen gebracht zu haben.
Wer hat je Henry Kissinger auch nur danach gefragt, welchen Anteil er
und seine Leute am Putsch gegen Allende hatten? Der deutsche Altkanzler
Helmut Schmidt, der im Geruch der altväterlichen Weisheit steht,
nennt Kissinger einen Freund? Pfui Teufel! Wir hätten mehr von
dem alten Hanseaten erwartet, der doch sonst als moralische Institution
und global gebildeter Politiker gilt.
Lynndie England und ihre Spießgesellen wurden nur auf internationalen
Druck abgeurteilt, weil den Yankees das blanke Ohrensausen kam, wenn
sie dabei dachten, wie die arabische Welt angesichts der Bilder von
Abu Ghraib reagieren musste. Doch selbst die offensichtlich geistig
zurückgebliebene England kam schon nach anderthalb Jahren wieder
auf freien Fuß. Zu drei Jahren aber war sie verknackt worden.
Selbst bei diesen drei Jahren blieb das Gericht unter den Forderungen
der Anklage. Nachtigall, ick hör dir trapsen...! Hätte es
die Bilder nicht gegeben, mit denen sich diese spätpubertierenden
Bestien gegenseitig hochschaukelten, der intellektuell retardierten
England wäre nie auch nur das geringste geschehen. Dieses elende
Handeln der amerikanischen Militärs hat Methode. Sie wollen das
so, genau so! Lynndie-Girl ging in den Bau, nicht weil sie Iraker folterte,
sondern weil sie sich erwischen ließ. Sie brummte, nicht weil
sie irakischen Opfern, sondern amerikanischen Tätern schadete –
ihren Vorgesetzten bis hinauf in die Generalität und ins State
Department nämlich.
Doch die Zeiten haben sich geändert: Nun geht auch niemand mehr
von den GIs in den Kahn, weil er an vor aller Welt dokumentierten Kriegsverbrechen
und blankem Mord an Kindern und Wehrlosen teilnahm. Im post-Rumsfeld-Pentagon
sagt man sich: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich
ungeniert.
Aber warum, Deutschland, warum krauchst du diesen Lumpen noch hinterher?
Welche Faszination üben diese kulturlosen Großschnauzen auf
dich aus, bleiche Mutter? Warum machst du dich nicht stark für
die wenigen Amerikaner, die es verdienten, dass man sich für sie
einsetzt? Für Bradley Manning, beispielsweise? Warum lässt
du es zu, dass seit sechzig Jahren dein höchstes Kulturgut, deine
Sprache, so misshandelt wird, wie die Iraker in Abu Ghraib und die Gefangenen
von Guantanamo Bay?
Schade, wir hätten den Mann vor dem Brandenburger Dänischen
Bettenlager ansprechen sollen. Auf englisch selbstredend. Mit großer
Sicherheit wäre dem Dummschwätzer nach wenigen Worten die
Puste ausgegangen. Besieht man sich im Gegenzug die skandinavischen
Länder und Holland, so stellt man fest, dass deren Bewohner im
allgemeinen ein sehr gutes Englisch sprechen und trotzdem zwischen dem
Englischen und ihren Muttersprachen sorgfältig zu unterscheiden
wissen. Sind wir denn die einzigen rückgratlosen Arschkriecher
auf dem alten Kontinent? Es ist nichts Ehrenrühriges, einem vorbildlichen
Staatswesen zu folgen. Insofern mag die Sympathie für die Amerikaner
nach den deutschen Erfahrungen mit dem Dritten Reich durchaus gerechtfertigt
gewesen sein. 1945 gab es für die Deutschen nur eine Blickrichtung,
egal wohin sie den Kopf wandten: von unten nach oben. Selbst die stalinistische
UdSSR rangierte gemessen am Dritten Reich auf einer höheren Zivilisationsstufe.
Aber die Dinge haben sich grundlegend geändert. Wir sehen klarer.
Die rot-weiß-blauen Kaugummi-Widerkäuer sind die übelsten
Wahlbetrüger und Diktatoren. Nicht, dass es nicht noch kränkere
Typen gäbe. Nordkorea wäre da beispielsweise zu nennen oder
die lateinamerikanischen Schlächterdiktaturen der Siebziger und
Achtziger des letzten Jahrhunderts von Amerikas Gnaden. Aber niemand
hat soviel Einfluss wie die U.S.A. und darum eine so immense Verantwortung,
auf die sie Tag für Tag einen großen Haufen scheißen!
Sie demaskieren sich offenkundig als Verbrecher! Wikileaks hat es doch
anhand ihrer eigenen Dokumente nachgewiesen! Nach My Lai, Guantanamo
und Abu Ghraib haben sich die heilsbringenden Amerikaner so desavouiert,
wie das Empire nach den Massakern von Amritsar und Peshawar, seinen
Prügelorgien gegen Gandhis Satyagrahas oder die Grande Nation während
des algerischen Befreiungskampfes.
Mit der Anklage Bradley Mannings haben sie sich endgültig die letzte
Maske von der fiesen Fratze gerissen. So sind sie wirklich. Übler
als alle Aliens, Zombies und Iwans, die je über ihre Leinwände
geisterten. Jetzt, da sich die U.S.A. auf einer unaufhaltsamen wirtschaftlichen
und politischen Talfahrt befindet, jetzt, da sie zu spüren beginnen,
dass ihre Zeit abgelaufen ist, da werden sie noch brutaler, noch bestialischer,
noch verlogener. Sie schlagen um sich wie ein waidwundes Tier und haben
als ihr historisches Erbe der Welt doch nicht viel mehr anzubieten,
als eine gnadenlose Verrohung der Menschen in allen Ländern, in
die ihr Arm reichte. Sie verherrlichten mit ungezählten Filmexplosionen
und Autojagden ihre Unstete und ihren Hang zu Krawall und Feuerwerk.
Sie priesen das Recht des Stärkeren, des Schnelleren und des Gewissenloseren.
Verfügte ein Mann über solch zweifelhafte Qualitäten,
so avancierte er im amerikanischen Bewusstsein trotz aller Untaten zu
einem Heroen. Billy the Kid, Bonnie und Clyde, Al Capone, Ma Barker...
alles Schwerstkriminelle – alles amerikanische Helden. Sie stehen
stellvertretend für ihr Land und das Bild, das es so gerne von
sich selbst zeichnet. Die Chinesen und Japaner, die einen Weg der Kultur,
des Zen und des Tao entwarfen, galten diesen Schwachköpfen nur
als gelbe Affen. Die Fernseh-Serie Kung Fu aus den Siebzigern des letzten
Jahrhunderts illustrierte den Zusammenprall dieser beiden diametralen
Wesenheiten anschaulich. Die Produzenten dieses Epos konnten in Amerika
aus dem Vollen schöpfen – denn genauso sind sie, bis hinauf
in den Kongress, den Senat und das Weiße Haus.
Es soll uns nicht weiter kümmern. Die Amerikaner sind, wenn nicht
morgen, so doch spätestens übermorgen Geschichte. Es darf
uns nicht weiter kümmern, wenn wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen
wollen, dümmer als jede Ratte zu sein. Die schlauen Nager wissen
nämlich, wann es Zeit ist, einen sinkenden Seelenverkäufer
zu verlassen.
Wenn die Bundesregierung aber noch soviel Mumm und Ehre im Leib hat,
dann soll sie für den Bradley Manning tun, was sie für so
viele arme, vom Kommunismus geknechtete Landsleute jahrzehntelang tat:
Sie soll ihn freikaufen und ihm hier Asyl gewähren. Das wäre
eine Geste von Anstand, die dem deutschen Namen vor allem in der arabischen
und der Dritten Welt wieder Wohlklang verleihen würde. Den werden
wir bald dringender brauchen als wir die Zocker von der Wallstreet je
nötig hatten. Es wäre zudem ein Schritt zurück zu unserer
verloren gegangenen Selbstachtung, die sich so deutlich aus dem Munde
jenes Kunden des Dänischen Bettenlagers artikulierte. Doch das
wird wohl eine heillose Träumerei bleiben. Maschallah!