Krebs an deutschen Schulen
Eine Lehrerin verliert den Verstand
Don M. Barbagrigia
...wie hält man das als Anwalt aus, wie verkneift man sich krampfhaft
das Grinsen, wie verhindert man ein schallendes Losblöken mit Lachtränen
in den Augen, wenn eine potentielle Klientin ein abenteuerliches Ansinnen
vorträgt? Wahrscheinlich denkt man mit Grausen an den Prestigeverlust
beim vorhersehbaren Verlust des anstehenden Verfahrens. Das zwingt dann
wohl den Ernst zurück in die advokatischen Gesichtszüge.
Der Beruf so manchen Lehrers soll, behaupten böse Zungen, angeblich
keine Profession sein, sondern eine Diagnose. Eine Lehrerin aus Grevenbroich
stellte dies für sich zumindest unter anschaulichen Beweis. Sie
hat Brustkrebs. Noch eine Diagnose und die ist ganz gewiss alles andere
als humorig. Wir wären auch die letzten, die sich darüber
lustig machen würden. Manche resignieren angesichts einer solchen,
niederschmetternden Anzeigestellung. Viele hadern mit dem Schicksal,
andere ordnen gefasst ihre Verhältnisse. Aber nur wenige kamen
bisher auf den Trichter, irgendjemanden für diese Tragödie
zu verklagen. Die Kumpels aus der Wismut – die hätten Grund
dazu gehabt, die Arbeiter von Piesteritz und Bitterfeld, die waren durch
ihr Arbeits- und Lebensumfeld schwer an ihrer Gesundheit geschädigt
worden. Deren Lamento aber hätte in der DDR kaum zu mehr Erfolg
als einem Platz im Gefängnis oder im Irrenhaus geführt. Nun
aber kommt eine westdeutsche Lehrerin und klagt, der Beruf hätte
sie krank gemacht. Das ist an sich nichts neues. Man kennt das: Alleingelassen
von der Gesellschaft, angefeindet von unerzogenen Rangen und deren noch
viel bekloppteren Eltern hangeln sich viele gute Pädagogen durch
ihre Arbeitsjahre und enden nicht selten mit einem Burnout-Syndrom oder
einem Nervenzusammenbruch. Auch ein Herzkasper oder ein Schlaganfall
erscheinen uns nicht abwegig. Aber Brustkrebs? Ist die Frau verrückt
geworden? Nein, sie schiebt ihre Erkrankung auf den jahrelangen Umgang
mit Nahrungsmittelimitaten, die aus weiß der Himmel was für
abwegig kanzerogenen Materialien bestehen. Die sind also schuld am Mammakarzinom
der Frau und dafür sollen der Staat und der Arbeitgeber und wer
auch immer jetzt blechen. Tucholsky sagte einst, wenn ein Engländer
in einen Hundehaufen träte, würde er „Goddamnit!“
brubbeln und einen guten Darjeeling trinken. Der Franzose würde
„Merde!“ murmeln und einen guten Beaujolais öffnen.
Der Deutsche aber würde „Scheiße!“ brüllen
und sich umsehen, wen er dafür verklagen könne. Klage einer
Lehrerin, weil sie ihr Nervenkostüm eingebüßt hat –
ja, das wollen wir wenigstens halbherzig bejahen, denn schließlich
wusste sie ja, auf welchen Horrortrip sie sich einließ, als sie
sich für diesen Beruf in dieser lehrerfeindlichen Gesellschaft
entschied. Aber wenn wir auf dieser Argumentation herumreiten würden,
gäbe es sicherlich bald gar keine Lehrer mehr, die unserer verblödenden
Jugend etwas beibrächten. Die Gesellschaft, die sich ihrer Werte
entledigt hat, muss mit ins Boot. Unbedingt. Denn vor allem sie muss
begreifen, dass man für alles zahlt – für das, was man
tut, genauso wie für das, was man unterlässt. Aber Brustkrebs
als Berufskrankheit für Lehrer – da hört's auf. Krebs
ist unangenehm wie der Tod und viele Krebsarten führen letztlich
zu diesem. Aber er ist ein natürlich-pathologischer Prozess. Er
sorgt dafür, dass Individuen, die ihrer biologischen Pflicht Genüge
getan haben und in die Jahre gekommen sind, von der Bühne abtreten
um der nächsten Generation Platz zu schaffen. Das funktioniert
nach der selben genialen Methode, nach der sich das Leben seit Milliarden
von Jahren organisiert. Seit es Metazoen gibt. Es herrscht das Prinzip
„Ich zuerst – Privat geht vor Katastrophe“. Einzelne
Zellen verselbständigen sich und suchen für sich das Geheimnis
der Unsterblichkeit zu ergründen. Die es schaffen, bringen dann
„ihren“ Organismus um – und schlussendlich damit auch
sich selbst. Natürlich können solche Zellentartungen durch
den Kontakt mit allen möglichen Giften, Noxen und ähnlichen
Stoffen begünstigt werden. Aber so toxisch eine Klasse von respektlosen
Wohlstandsblagen auch sein mag – Zellentartungsprozesse können
sie wohl denn doch noch nicht auslösen. Vielleicht – aber
das ist nicht abgesichert – vermag es lang anhaltender Stress.
Doch wer hat den heutzutage nicht? Die Lehrerin sprach denn auch die
Nahrungsmittelimitate an, mit denen sie jahrelang unterrichtend Kontakt
hatte. Die sollen den Krebs ausgelöst haben. Sie erweitert das
Spektrum ihrer pathogenen Plagegeister auf das verrauchte Lehrerzimmer
und die Abgasemissionen vom Schulparkplatz. Sie muss wirr geworden sein
in all den Jahren ihres Arbeitslebens. Ja, hat denn eine Berufsschullehrerin
ein Anrecht auf ein steriles Arbeitsumfeld? Warum verklagt sie nicht
die deutsche und internationale Automobil- und Motorradindustrie, welche
sie jahrzehntelang vermittels des Feinstaubs im Straßenverkehr
bezüglich krebsauslösendem Materials mit quasi Hochprozentigem
versorgte. Warum nicht die Tabakindustrie, die chemischen Betriebe ihrer
Umgebung, die Mobilfunkbetreiber, die...? Die Reihe ließe sich
endlos fortsetzen. Und schließlich, wer sagt, dass ihr Brustkrebs
nicht eventuell genetisch prädisponiert ist? Dann sollte sie ihre
Ahnen zur Rechenschaft ziehen vor Gottes Gerichtshof. Übrigens
– Leztgenannter wäre auch noch eine gute Adresse für
die Zustellung einer Klagschrift. Die zielnächste gewissermaßen,
die letzte Instanz. Das könnte zwar etwas diffizil werden, weil
der oder die Alte mit Sicherheit die besseren Anwälte hat, aber
was soll's? Soll sie mit IHM oder IHR ins Gericht gehen, den Alten von
SEINEM/IHREM Hohen Richterthron herunterholen! Ist Quatsch, oder?
Also macht ihr der Landbote den Vorschlag sich an den Bösewichtern
schadlos zu halten, die sie seinerzeit beschwatzt hatten, Lehrerin zu
werden. Das hätte doch mal was!
Jedenfalls – und das ist die gute Nachricht – hatte bei
Redaktionsschluss wenigstens das Verwaltungsgericht zu Düsseldorf
unter Beweis gestellt, dass es noch bei Verstand ist: Es wies die Klage
ab. Wir wollen uns gar nicht ausmalen, was das für Konsequenzen
nach sich gezogen hätte, wären die Düsseldorfer Juristen
zu einem anderen Urteil gekommen. Die Flut der Trittbrettfahrer und
all jener, die dann für sich ebenfalls ein Klagerecht ableiten
würden, käme weitaus verheerender über die deutschen
Lande, als Oder, Elbe, Rhein und Mosel zusammen. Die Überschwemmung
von Queensland böte ein zutreffendes Analogon. Daher lautet unser
Urteilskommentar kurz und knapp: Gott sei Dank!