Krawall am Nil
Pharao Hosni geht die Luft aus
Jules-François. S. Lemarcou
Wer protestiert in Kairo? Die zu kurz Gekommenen. Die, welche nicht
in ausreichendem Maße oder gar nicht teilhaben am allgegenwärtigen,
panarabischen Bakschisch-System der Korruption. Was bringt sie in Rage?
Dass sie nichts haben, wofür ihnen ein Mitbürger oder ein
Tourist etwas in den Kaftan steckt. Alles, was sie auf Allahs Erden
ihr eigen nennen, ist Hunger und ein Koran. Währenddessen glitzert
die Millionenmetropole Kairo in allen verführerischen Farben des
Orients. Superreiche leben in einem unvorstellbaren Luxus. Und es sind
gar nicht mal so wenige. Blöd nur: der Bettelarmen sind Hunderttausende
mal mehr! Dürstet es sie nach einer Demokratie westlichen Zuschnitts?
Wer's glaubt wird selig. Viele europäische Regierungen scheinen
es zu aber unseligerweise glauben. Vor allem den hinter diesen Regierungen
stehenden Wirtschaftskapitänen tun die Söhne Mohammeds unrecht,
wenn sie sie ungläubige Hunde schimpfen. Die glauben nämlich,
wenn die arabischen Staaten sich in ihren Staatsformen nach dem Okzident
hin orientierten, dann gäbe es mehr Rechtssicherheit für ihre
Geschäftstätigkeit. Gut und schön, wenn der Emir ein
Buddy ist – aber ein Millionengeschäft an einer Person festzumachen
ist immer mit einem gewissen Restrisiko verbunden. Man konnte das zur
Genüge in Russland studieren, wo die Demokratie auch nur ein Veranstaltung
ist, die zur Bespaßung der wenigen Oligarchen und des Zaren Wladimir
dient. Wer noch vor kurzer Zeit seine Dollars in Jukos-Aktien angelegt
hatte, kam ganz schön ins Schwitzen. Mindestens so wie Michail
Borissowitsch Chodorkowski, als ihm eine treue Metastase von Stalins
Blutrichter Andreij Januarjewitsch Wyschinski die Anzahl der Jahre seines
Gefängnisaufenthaltes verkündete. Natürlich auf Anweisung
des Zaren Wladimir, denn der ehemalige Jukos-Boss wollte ganz demokratisch
am Zarenthron herum rütteln... "In meinem Reiche aber herrscht
die demokratische Freiheit, dass jeder tun und sagen kann, was ich will",
beschied ihn darauf der Kremlherr.
Nun werden Sie sagen: Ja, sollte hier nicht von Arabien, speziell von
Ägypten gesprochen werden? Tun wir doch. „Quatsch, die einzige
Verbindung zwischen Moskau und dem Land der Pyramiden bestand doch darin,
dass die Russen sich einst am Nil engagierten um dem Judenstaat als
Nahostbrückenkopf der U.S.A. die rote Stirn zu bieten!“ Nein,
in unserem Falle bestehen die Parallelen in einer völkerverbindenden
Komponente, auf der Basis menschlicher Grundwerte sozusagen: Die Russen
und die Muselmänner sind sich einig in einer ausgeprägten
Abneigung gegen den westlichen Demokratiezirkus. Aber warum denn nur?
Das liegt auf der Hand und sozusagen in die russische und arabische
Seele geschrieben. Bei denen ist es so, dass Zaren und Bojaren, Kalifen,
Emire und andere Beherrscher der Gläubigen traditionell tief in
die Taschen Letztgenannter greifen, solange diese am Leben und damit
zahlungsfähig sind. Im Gegenzuge dürfen mit eintretender Insolvenz
Todes halber die frommen Seelen derer, die sich in diesem irdischen
Jammertal brav melken ließen, wofern vorhanden, in ein russisch-orthodoxes
oder aber wahlweise muselmanisches Paradies aufsteigen. Wollen sie aber,
solange sie leben, nicht ihren Zahlungsverpflichtungen der Obrigkeit
gegenüber nachkommen, dann revanchiert sich diese mit einer ganz
realen Hölle auf Erden. Das kann in den Weiten Sibiriens ebenso
effektiv ins Werk gesetzt werden, wie unter Zuhilfename von Panzern
auf den Straßen der Stadt Kairo, die man auch „die Starke“,
„die Erobernde“ nennt.
Stark und erobernd aber sieht sich selbst der greise Pharao Hosni, der
so gar nicht verstehen kann, warum die bettelarmen Ägypter seiner
überdrüssig geworden sind. So manches Mal wird sich Hosni
Mubarak deshalb wünschen, die Nilflut durch die Straßen Kairos
strömen zu lassen, damit Ägyptens heiliger Strom die Hauptstadt
vom Unflat der Rebellion reinige und die Schlammmassen die Schreihälse
gnädig bedecke! Aber nichts da! Fest gefügt steht der Assuan-Staudamm.
Da haben auch die Sowjets seinerzeit ganze Arbeit geleistet –
nur um den Amis eine Nase zu drehen und den Fuß in die Tür
zum Nahen Osten zu bekommen.
Also müssen die Panzer rollen und den demonstrierenden Unrat von
der Straße walzen. Doch das ist gefährlich. Tunis war schon
nicht so schön – aber Kairo...! Seit sich die Sowjets abgeschafft
haben, ist ein gewisses stabilisierendes Moment aus der Region entwichen
wie die Luft aus dem roten Stern vom Spaskij-Turm. Die Yankees haben
in Israel und bei ihren arabischen Marionetten das Sagen. Es gibt keine
Kommunisten mehr, die den arabischen Brüdern unter die dolchbewehrten
Arme greifen könnten, und somit für ein Gleichgewicht der
Kräfte garantierten. Aus dem ehemaligen Nebenkriegsschauplatz des
Kalten Krieges könnte also blitzschnell die Hauptbühne eines
sehr heißen Krieges werden, wie es in der jüngsten Vergangenheit
schon sechs mal passiert ist. Lass das Jordanwasser mal knapp werden
und in Ägypten das politische Chaos ausbrechen! Der Möchte-gern-Assurbannipal
von Damaskus könnte glauben, die Gelegenheit sei günstig sich
die Golanhöhen zurückzuholen und aus dem Hexenkessel Libanon
schössen alle Hisbollah der Hölle gleichzeitig Kassam-Raketen
ins Gelobte Land, weil sie meinten, die Israelische Volksarmee wäre
jetzt anderweitig beschäftigt. Alle anderen Araber jaulten freudig
auf, weil sie nun keine Haddsch mehr absolvieren müssten um den
Schaitan mit Steinen zu bewerfen – denn siehe, Israel ist doch
so nah! Die Juden wehrten sich, die Wallstreet bangte um die Nahost-Ölvorkommen,
und spätestens dann wird die Sache unangenehm.
Nicht für die NYSE! Gott bewahre! Klirren die Waffen und geben
sich die Flugzeugträger ein Stelldichein, dann schießen die
Kurse aber lustig nach oben. Wissen wir doch!
Der Rest der Welt aber könnte sich auf einen Albtraum gefasst machen.
Westliche Beobachter, wenn sie denn über genug Weitsicht verfügen,
sollten also nicht zu laut über die Krawalle von Kairo jubeln;
zumindest nicht lauter als die aus ihren Gefängnissen entsprungenen
Moslem-Brüder. Hosni Mubarak ist ein vergreisender orientalischer
Potentat, dessen Machtausübung auf Korruption, Willkür und
Folter beruht, wie das im Morgenland schon gediegene Tradition war,
als noch der lahme Timur das Szepter schwang. Daran gibt es nichts zu
rütteln. Man soll aber nicht den Unfug machen, den seinerzeit die
Grünen schon mit Bitterfeld im Sinne hatten: Wer eine alte Glühleuchte
auswechselt, sollte bereits eine intakte in petto haben, sonst wird
es nämlich urplötzlich ganz dunkel! Eine Alternative zu Sultan
Hosni ist noch nicht in Sicht. Sein wirtschaftsorientierter Sohn Gamal
wäre vielleicht eine, der Westen könnte froh und glücklich
sein – aber den wird das ägyptische Militär kaum mittragen.
Ganz zu schweigen vom Geheimdienst, der seit Cäsars Zeiten allen
Grund zur Furcht hat, Ägypten könne vom Westen wieder zu einer
Art Vorratskammer degradiert werden. Damals ging es um Korn, zwischenzeitlich
um antike Schätze und jetzt um das Öl.
Schon für die pharaonischen Untertanen war der Westen das Reich
der Toten. Dort ging die Sonne unter. Dort wohnten die Dämonen
der Wüste und hinter der Wüste die Söhne des Schaitans,
die im elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert schon mal mit
Kreuzfahrerschwertern an die Tore Kairos klopften. Die Nachfahren dieser
ungläubigen Teufel benutzten die Mumien ihrer Vorfahren als Heizmaterial
für die Wüstenbahn und stahlen die schönsten Ägypterinnen,
deren allerschönste noch heute auf der Museumsinsel zu Berlin sehnsuchtsvoll
in Richtung ihres geliebten Nil blickt – wenn auch nur mit einem
Auge. Das ist es, was die Ägypter realiter vom Westen erwarten.
Wohlstand für alle unter dem Zeichen einer Demokratie nach westlichem
Muster? Da hat ja Scheherazade bessere Märchen erzählt. Uns
sollten daher beim Anblick der Krawalle von Kairo die Ohren glühen!
Das ist definitiv kein Aufbruch in eine lichte Zukunft sondern möglicherweise
das Halali auf das äußerst labile und ebenso fragile Patt
im Nahen Osten. Der ägyptische Geschäftsmann Neguib Sawiris
schätzte jüngst Potential und Risiken seiner Heimat mit den
Worten ein, Ägypten stünde am Scheideweg zwischen Hongkong
und Teheran. Allah bewahre uns vor der persischen Option! Wir sollten
nicht glauben, dass uns Mittelmeer und Alpen vor dem Sog des daraus
entstehenden Malstroms der Gewalt schützen. Der Nahe Osten hat
diesen Namen nicht umsonst. Für Odysseus und einen Neger, der versucht
mit einem Fischerboot illegal in Europa einzureisen, mag das Mittelmeer
riesig erscheinen. In Bezug auf die globalen Auswirkungen einer grassierenden
Destabilisierung und Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse
in seinen südlichen Anrainerstaaten, speziell mit einem Epizentrum
im Großraum Kairo, ist es nicht mehr als ein etwas tief geratener
Ententeich. Das könnte uns ja alles egal sein, wenn bloß
die Juden nicht neben diesem Pulverfass zu leben gezwungen wären,
für deren Sicherheit gerade Deutschland eine ewige und bindende
Verpflichtung trägt und wenn im arabischen Boden nicht noch Millionen
von Gallonen Öl lagern würden, für die sich insbesondere
die US-Amerikaner verantwortlich fühlten.
Wenn die Ägypter uns mit in den Abgrund rissen, dann bräuchte
niemand von uns zu hoffen, dass ihm nach dem Tode auch nur eine Mastaba,
geschweige eine Pyramide zuteil werde. Und wenn schon, werden Sie sagen,
wir bekämen es eh nicht mehr mit. Maschallah!