Viel Lärm um nichts
J. -F. S. Lemarcou
Was für ein Gejodel auf den Bildschirmen, bei den Rundfunksendern
und im deutschen Blätterwald, seit Herr Köhler das bundespräsidiale
Handtuch warf! Nahm den Mann vorher kaum jemand zur Kenntnis, war ein
deutscher Durchschnittsgymnasiast schon froh, wenn er den Namen Merkel
kannte, so scheint jetzt jegliches Wohl und Wehe der nationalen Zukunft
von der Personalie des nächsten Bundespräsidenten abzuhängen.
Ja geht’s denn noch? Haben wir momentan wirklich keine anderen
Sorgen? Der Rücktritt Horst Köhlers ist unzweifelhaft ein
Menetekel. Das letzte Amt im Staate, das noch Respekt und Glaubwürdigkeit
besaß, ist nachhaltig beschädigt. Die Bundesrepublik und
mit ihr ganz Europa ächzen unter einer Krise, die dem Raubtierkapitalismus
ins Gesicht geschrieben ist und die den unmoralischsten Lumpen aus Spekulationskreisen
nahezu paradiesische Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Der Verlust
der Moral schlägt in die Kelleretagen der Gesellschaft durch und
in dieser Situation kehrt der Erste Bürger des Staates seinem Amt
den Rücken und schmeißt hin. Ein fürwahr verheerendes
Signal ging damit von Schloß Bellevue aus. Was aber erwartet man
nun vom Nachfolger oder von der Nachfolgerin? Was reitet selbst hochbezahlte
und versierte Journalisten die Spitzen aus der Politik immer und immer
wieder zu löchern, wer wohl als nominiert betrachtet werden könnte?
Stets gibt es dieselbe Antwort: „Personaldebatten zu führen
sei es noch nicht die Zeit“, man verweist auf die entsprechenden
Gremien, die sich zu gegebener Zeit beraten werden, dieses und jenes,
aber glasklar ist, dass sich kein Profi auch nur um ein Tüttelchen
versprechen wird. Also wird permanent sauteure Sendezeit, für die
Werbende mit 'zig-Tausenden pro Minute bezahlen, für den haargenau
gleichen Blödsinn verschwendet. Es ist, als sei die bundesdeutsche
Medienlandschaft zu einem kollektiven Irrenhaus mutiert und versuchte
nun vehement ihre Konsumenten in ein solches zu manövrieren. Es
wäre übrigens interessant zu erfahren, wie das Ausland den
deutschen Sommerzirkus bewertet. Dieser Blick aus London, Paris, Rom,
Kopenhagen oder Brüssel würde den mit ihrer unwirklichen und
skurrilen Nabelschau befassten Deutschen wahrscheinlich gut tun. Was
diesem Land fehlt ist preußischer Rationalismus. Bis zu dieser
Erkenntnis wird es wohl an Themse und Seine noch heißen: Die spinnen,
die Teutonen!