Heinrich Heine in der Havel versenkt
Kotofeij K. Bajun
Heinrich Heine – was für ein Name, was für ein Gigant
des deutschen Volkes und seiner Sprache und seines politischen Journalismus!
Heinrich Heine steht für kristallklaren, spritzigen und humorvollen
Geist, für Kultur, für Intellekt. Nun hatte die Brandenburger
Schullandschaft einst eine Heinrich-Heine-Schule. Als Hans-Schemm-Schule
von den Nazis in rotem Backstein an der Magdeburger Straße in
Brandenburg an der Havel aufgeführt, wurde sie nach dem Kriege
dem großen Geist von Düsseldorf gewidmet. Aber bitte keine
voreiligen Schlussfolgerungen: Sie wurde nicht etwa dem Namenspatron
entsprechend als Eliteschule konzipiert, sie blieb die Bildungseinrichtung
des Nachwuchses der einfachen Stahl- und Walzwerker. Doch immerhin –
der Name bürgte wenigstens für eine gute Traditionslinie.
Dann aber wurde das Stahl und Walzwerk abgewickelt – die Stahl-
und Walzwerker wurden arbeitslos, alt und grau und starben dahin –
ihre Kinder wanderten ab – Enkel in der Walzwerksiedlung...? Nein,
es gab kaum noch kleine Kinder in diesem Wohnviertel. Zu Anfang des
neuen Jahrtausends wurde die Heinrich-Heine-Schule geschlossen. Jahr
um Jahr stand sie leer. Jahr um Jahr. Bis – ja bis sie als Schule
wieder neu aufgemacht wurde. Woher nun die Kinder kamen? Nun, aus dem
gesamten Stadtgebiet – denn die Heinrich-Heine Schule wurde als
Förderschule wieder eröffnet. Es besteht jetzt ein großer
Bedarf an Förderschulen. Die Kinder werden nämlich anscheinend
immer dämlicher, unkonzentrierter und unbeschulbarer. Das sei politisch
unkorrekt formuliert? Da scheißen wir einen großen Haufen
drauf! Es ist die drastische Realität und wir werden sie genau
so drastisch ausdrücken. Was wissen, was können denn selbst
unsere Abiturienten noch? Sollten sie nicht lieber statt „ABI
2010“ „Baumschule 2010“ auf die Heckscheiben ihrer
von Omi gesponserten kleinen Schlurren schreiben? Und was in den höheren
Bildungslagen passiert, das setzt sich logarithmisch nach unten fort.
Horden von ADS-geplagten Pillenkindern veröden stumpfsinnig in
den Klassen und halten die wenigen noch lernwilligen Kinder vom Unterricht
ab. Um das Problem noch halbwegs einzudämmen, lässt man Förderschulen
wie Pilze aus dem Boden schießen. Brandenburg an der Havel besaß
schon eine – die Pestalozzischule. Diese hatte sich über
die Zeitläufte hinweg erhalten. Nun kam eine zweite dazu –
und bezog das Gebäude der Heinrich-Heine-Schule. Das alles ist
schon tragisch genug. Natürlich darf man die geistig Zurückgebliebenen
nicht hinten runter fallen lassen. Auch sie bedürfen der Fürsorge.
Sie brauchen eine Heimstatt. Was wir aber mit Sorge betrachten ist der
Umstand, dass diese Bevölkerungsgruppe unter den gegenwärtigen
gesellschaftlichen Bedingungen rasant zu wachsen scheint. Umstände,
die schon Heine bissig aufs Korn nahm. Konsequenterweise folgte also
der wahre Paukenschlag: Die Schule erhielt zum dritten Mal einen neuen
Namen: Havelschule. Einfallsloser ging es schon nicht mehr. Die Eltern
sollen angeblich darauf bestanden haben. An und für sich keine
schlechte Reminiszenz an den großen Heine, wenn man denn unterstellen
dürfte, man wollte den hehren Namen nicht in eine wie auch immer
geartete Verbindung zu den geistesschwachen und hyperaktiven Kindern
bringen, die nun die Schulräume bevölkern. Doch ist es eher
anzunehmen, dass selbst die Eltern mit dem Namen Heine nichts anzufangen
wussten. Wie auch? Brandenburg an der Havel hat jedenfalls keine Heinrich-Heine-Schule
mehr. Keine Silbe, kein Wort der im Internet vorgestellten Schulgeschichte
verweist mehr auf den Titanen, welcher einst dem Gebäude seinen
weithin sichtbaren Namen geliehen hatte. Uns kommt es bedenklich vor
– beinahe so wie das Menetekel des geistigen und intellektuellen
Exodus aus der Havelstadt. Diesbezüglich dichtete schon der große
Düsseldorfer im vorletzten Jahrhundert: Denk ich an Deutschland
in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht!