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Wann ist der Krieg zu Ende?

Kotofeij K. Bajun
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Generalität vor den alliierten Streitkräften. Das Volk atmete durch, auch wenn es sich er zunächst weitenteils nicht befreit sondern besiegt fühlte. “Keine Bombennächte mehr – aber Frieden” - stand in großen Lettern auf dem Mühlentorbunker an der Brandenburger Ziegelstraße. Im Großen und Ganzen mochte das stimmen – das Erbe des Krieges aber verfolgt noch die Enkel.
Kein Sirenenheulen warnte jenen Magdeburger Baggerfahrer, der 1994 in der Berliner Waldeyerstraße, nähe Stalinallee, mit seinem Bagger eine Baugrube für einen Neubau aushob. Die Schaufel traf eine Fliegerbombe, diese ging hoch und riss den Familienvater in den Tod. 2006 traf dasselbe Schicksal einen Kollegen an der Aschaffenburger Autobahn.
Oranienburg selbst ist ein Himmelfahrtspflaster. Die kleine Stadt nördlich von Berlin wurde von Bombenteppichen regelrecht zugepflastert und beansprucht schon beinahe einen festen Platz im regionalen Rundfunk für Bombenfund- und Evakuierungsmeldungen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die rostenden Metallteile zum Beispiel einem Säurezünder verstatten, seinen tödlichen Auftrag ins Werk zu setzen. Früher oder später wird die Erschütterung, die von einem vorüberdonnernden 40-Tonner ausgelöst werden, den Aufschlagzünder einer anderen Luftmine freisetzen. Am 1. Juno 2010 hat es Göttingen erwischt, die Stadt am Harz, von der unser geistiger Herr Großvater Dr. Heinrich Heine seinerzeit sagte, man sehe sie am besten mit dem Rücken an. Drei Menschen sehen zur Zeit des Redaktionsschlusses sich jetzt Göttingen von unten an. Kurz vor ihrer geplanten Entschärfung ging sie um halb zehn Uhr abends hoch. Mit Fug und Recht kann man die zu Tode Gekommenen als Opfer des Zweiten Weltkrieges bezeichnen, denn sie kamen, wenn auch lange nach dem Friedensvertrag, durch Kampfmittel dieses Krieges um. Für sie ist das Leben zu Ende. Aber gesetzt den Fall, ein Passant überlebt schwerverletzt. Nun sitzt er im Rollstuhl. Wer kommt für ihn auf? Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, das für diesen Krieg verantwortlich ist? Oder zählt eine explodierte Weltkriegsbombe nach 65 Jahren zur Höheren Gewalt? Warum wir auf dieser Sache herumreiten? Weil wir der Ansicht sind, dass Kriege regelmäßig weit über ihr erklärtes Ende in die Biographie sogar der Nachgeborenen hineinwirken. Das geht sogar so weit, dass wir mühelos in der Lage sind, die Spuren des Dreißigjährigen Krieges noch immer in den Seelen der Leute und in der Landschaft der Mark Brandenburg nachzuweisen. Was also bürdet die Deutsche Bundesregierung dem deutschen Volke auf, dem zu dienen und Schaden von ihm anzuwenden, sie bei Dienstantritt eidlich geschworen hat? 65 Jahre nach Kriegsende fliegt eine Bombe den Göttingern um die Ohren, bibbern Einwohner und Durchreisende des lieblichen Oranienburg um ihr Leben – an welcher Hypothek werden wir und unsere Enkel abzahlen, wenn der westlichen Welt endlich der Seifensieder aufgegangen ist, dass die Besetzung Afghanistans ein sprichwörtlicher Schuss in den Ofen war und statt Stabilität zum Hindukusch, brutales Chaos in die Welt getragen hat? Was rollt auf uns zu, wenn der letzte deutsche Soldat wieder zu Hause ist – tot oder lebendig? Zahlen werden wir, das ist gewiss! Die Göttinger Bombe bürgt dafür.

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
02.06.2010