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Spiel mir das Lied vom Tod!
Lena trällert einen Sieg nach Hause

Don M. Barbagrigia
“Wir sind Eurovision, wir sind Lena...!” Soll der Landbote jetzt auch ins törichte Gebläke einstimmen? Er tut es nicht. Achtundzwanzig Jahre lang brachte Deutschland keinen Titel nach Hause. Das letzte Mal schlug die süße kleine Nicole ihre lieblichen Fingerchen in die Klampfe und bettelte um ein bisschen Frieden. Es war einer der Tiefpunkte des Sangeswettbewerbs, bei dem noch niemand ahnte, wie weit es in den Folgejahren noch in den Abgrund gehen konnte. Nicole Hohlochs engelshaftes und schon beinahe unmenschlich zynisches Gesäusel holte 1982 den letzten Sieg ins Reich. Wie debil der Text auch immer gewesen sein mochte – er wurde in der Landessprache gesungen, wie sich das gehört und – er traf den Nerv der Zeit. Die Epoche nämlich hatte panische Angst vor dem Dritten Weltkrieg, von dem gegenseitigen atomaren Anprall der Supermächte U. S. A. und Sowjetunion. Gegen diese Übermacht von schwarzen und roten Teufeln kam das kleine, deutsch-blonde, hilf- und wehrlose, klampfende Engelchen aus dem Saarland gerade recht. Das Volk jubelte – und das nicht unbegründet. Jetzt steckt die Welt in einer erneuten Krise. Auch dieses globale Wirtschaftsdebakel besitzt eine enorme Sprengkraft – auch wenn sich die Explosion etwas ziehen wird, nicht begleitet von einem schaurig-schönen, alles desinfizierenden Atompilz, sondern eher von Legionen von aggressiven um ihr erbärmliches Leben mit harten Bandagen kämpfenden Bettlern. Europa weiß – wenn dieses Szenario greift, dann verglüht in den Feuern dieses Infernos die europäisch abendländische Zivilisation mit all ihren Werten und ihren Gesetzen des bürgerlichen Miteinanders. Dann siegt wieder, wer die schnellere und härtere Faust hat, oder wer sich besser in den Hinterhalt zu legen vermag.
Deshalb stürzt sich der Noch-Gigant Europas Deutschland wie ein Irrsinniger auf den Deich, der in Griechenland bereits zu brechen beginnt und stopft ihn mit Sandsäcken, die allerdings keinen Sand, sondern statt dessen aberwitzige Zusicherungen enthalten, die nicht einmal die Konsistenz von Luft haben. Und jetzt, im Angesicht des drohenden Fiaskos bei den Weltmeisterschaften, bei dem unverschuldet die Hoffnungsträger einer nach dem anderen ausfallen und durch zweitklassige Komparsen ersetzt werden, jetzt, nachdem der Ruf „Wir sind Papst“ unter dem Eindruck der enormen Missbrauchsskandale und der mehr als zögerlichen Haltung des ausgerechnet deutschen Heiligen Vaters ganz kleinlaut verhallte, jetzt, nachdem dieser Papst der kapitalen Böcke einige mehr noch geschossen hatte – jetzt braucht die simple Seele des deutschen Michels unbedingt wieder ein bisschen Auftrieb. Macht ihn mal nicht gar so depressiv und verdrossen! Schenkt ihm doch mal einen kleinen Preis für einen Trällerwettbewerb, bei dem es um weiter nichts geht. Wie abartig schlecht der vorgetragene Beitrag ist – völlig wurscht! Die anderen sind doch auch nicht viel besser. Gebt ihm mal ein paar Stimmen – sonst stürzt der pH-Wert von Michels Stimmung und mit ihm die Taschenweite seiner Spendierhosen noch ins Bodenlose. Die Spendierfreudigkeit eines stink-sauren Michels nämlich wäre wohl sehr eingeschränkt. Sehr zum Schaden Portugals, Spaniens und der übrigen noch in den Startlöchern verharrenden Pleitekandidaten. Lena hat, folgt man dieser Theorie, nicht so sehr einen deutschen Sieg heimgeholt ins Reich – sondern wieder einmal haben sich die anderen selbst gerettet. Bemerkenswert und erschreckend zugleich ist dabei, wie sehr den Absaufenden das Wasser schon bis zum Halse stehen muss: Wüssten sie um den wahren Wert der Deckungszusagen der europäischen Granden, sie würden wohl eher Ausschau halten nach einem wirklichen Sangestalent, dem zuzuhören wenigstens keine Tortur ist. Das allerdings wäre auf diesem Sängerstreit nicht einmal mit einem Hochleistungsmikroskop zu entdecken gewesen. Das letzte Mal, dass der Europäische Sangeswettbewerb einen echten Sieger mit einem fulminanten Beitrag präsentieren konnte, war im Jahre 1974, als ABBA mit „Waterloo“ abräumte. Seitdem kann man als kultivierter Mensch nur noch beten: Herrgott, lass doch den Zirkus endlich abflauen und wieder das Tagesgeschäft im Bewusstsein der Menschen an Raum gewinnen! Ein Beinahe-Staats-Empfang für diese talentlose Trälleramsel schlägt dem Fass schier den Boden aus und lässt uns erschüttert feststellen, wie desperat der deutsche Mob sein muss, wenn er sich an dieses gehaltfreie Gequieke so fanatisch klammert und nach dem Zuspruch des Lorbeerkranzes im Freudentaumel glaubt, mit diesem Urteil wäre auch nur eine einzige, winzige, ernstgemeinte und ansatzweise objektive Aussage über die Qualität des Liedes und seines Vortrages getroffen. Schlimm die Zeit, da die Hörenden mit Geist die Hörgeschädigten und Tauben zu beneiden beginnen.

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
31.05.2010