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Prophet Paul in der Klemme
Krake orakelte richtig – Deutschland nur noch im kleinen Finale

Michael L. Hübner
Wenn man eine unangenehme Antwort nicht vertragen kann, dann sollte man kein Orakel befragen. Als sich der Kopffüßler Paul im Sea Life zu Oberhausen der spanischen Flagge zuwandte, stöhnte man in Deutschland entsetzt auf. Völlig idiotisierte Zeitgenossen erklären jetzt den Octopus zum Staatsfeind Nummer Eins, in völlig debiler Verkennung der Tatsache, dass Paul den spanischen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika nicht willkürlich bestimmt, sondern nur vorhergesagt hatte. Aber so sind sie halt, die Nackten Affen.
Mithin – der spanische Sieg war absolut verdient. Das war kein Spielgewinn a la Montevideo. Wo war die deutsche Traummannschaft aus den Spielen gegen England und Argentinien? Hilf- und kopflos stolperten zehn weiß-schwarz gewandete Kicker einem Ball hinterher, der sich beinahe ausschließlich im spanischen Besitz und in der deutschen Spielfeldhälfte befand. Zweimal konnte man von einer echten deutschen Torchance sprechen – die Spanier zählten deren im Dutzend. Wären die roten Teufel aus Madrid auf den sinnigen Einfall gekommen, den deutschen Kasten um zwei Meter in Spielrichtung nach rechts zu verschieben, dann hätte es am Ende wahrscheinlich 6:0 für die Caballeros gestanden. Der einzige deutsche Recke des Abends hieß Manuel Neuer. Auch und gerade ihm ist es zu verdanken, dass die deutsche Kampfmaschine nicht so deklassiert vom Platz wanken musste, wie vor wenigen Tagen die Söhne Albions und die Gauchos aus Buenos Aires. Desungeachtet wollen wir an unserer Ankündigung festhalten und die deutsche Nationalelf bei ihrer Heimkehr hoch leben lassen. Sie haben fair gespielt und – bis auf die Begegnung mit den Spaniern – auch einen hervorragenden, erfrischenden und begeisternden Fußball gezeigt. Wir können und wollen die Attitüde des deutschen Mobs nicht teilen, der frenetisch brüllt und den Rasenkämpfern Altäre errichtet, solange diese am Siegen sind – sie aber sofort zu lynchen bereit ist, wenn es einen herben Dämpfer einzustecken gilt. Sie haben es weit gebracht, die Jungs aus Deutschland, auch wenn klar ist, dass selbst über den Vizeweltmeister niemand mehr spricht. The winner takes it all, the loser standing small beside the victory, thats (the) destiny – fasste ABBA das Geschehen einst mit knappen Worten zusammen.
Nu sind se also raus... man soll sich halt nicht zu früh freuen. Nun sind se rein: Die deutschen Fahnen nämlich. Was traurig ist, denn unmittelbar nach dem Spielverlust verschwanden viele Fähnchen von den Automobilen und Häuserfassaden. Graue Ernüchterung – das ist nicht das, was wir unter Loyalität verstehen, auch wenn wir das Brimborium um die farbigen Tücher bislang immer abgelehnt haben. Wenn man aber nicht anders kann als diese Nationalsymbole zu schwenken, sie durch die Straßen zu tragen oder Balkon und Auto mit ihnen zu schmücken, dann vermittelt ein solches Verhalten eine schäbige Gesinnung. Man steht zu seiner Nation in guten wie in schlechten Tagen oder man ist kein Patriot sondern eine Landsknechtsseele. Letzteres aber scheint genau das Geschwür zu sein, an dem Deutschland nun schon seit vielen, vielen Jahrzehnten krankt. Das ist einer der Gründe, warum Goebbels einst wahnhaft überlegte, das lateinisch entlehnte Wort „Motor“ durch „Treibling“ zu ersetzen und wir stattdessen seit dem verlorenen Krieg vor lauter Anglizismen kein einziges deutsches Wort mehr über die Lippen bekommen.
Ein Fußballteam kann nur selten leisten, was den Jungs 1954 gelang: einem Volk nämlich einen gesunden Kern, ein gesundes Selbstvertrauen und eine gesunde Mitte zu geben. Von daher kann Pauls Orakel durchaus auch als Fingerzeig Gottes verstanden werden...

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
08.07.2010