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Alle Jahre wieder
Land unter an der Oder

Kotofeij K. Bajun
„Nun ist Polen offen!“ Wieder sehen wir fürchterliche Bilder von verzweifelt betenden polnischen Frauen, von weinenden polnischen Männern, von hilflos schnatternden polnischen Gänsen inmitten eines kleinen Inselchens, was ihnen die wütend vorbei strömende Oder noch ließ. Häuser brechen zusammen, Felder und Wiesen ersaufen, Hab und Gut von Menschen, die noch nie mit Reichtum gesegnet waren, wird fortgespült in Richtung Ostsee. Der Klimawandel scheint Jahrhunderthochwasser zu jährlich wiederkehrenden Alltagserscheinungen zu degradieren.
Auf der deutschen Seite des Flusses beobachtet man angestrengt den Oderpegel in Ratzdorf. In der Zilkendorfer Niederung beginnt nun auch das große Zittern und Händeringen, in der Ernst-Thälmann-Siedlung sieht man das Wasser wieder am eigenen Halse stehen. Und das Fluchen tönt aus der Lausitz: Seit 1997 habe man um die zu niedrigen und zu schwachen Deiche gewusst und noch immer gäbe es Defizite. Was hat die Bundes- und Landesregierung versäumt! Warum fängt man erst mit dem Buddeln an, wenn die Welle bereits durch Oppeln und Breslau rauscht! Na ja, solange der ärmere Pole nicht in der Lage ist, genauso hohe Dämme an seinem Oderufer aufzuschichten, wüsste ja die Oder, wohin sie sich zurückziehen könne. Uns schaudert vor dieser brutalen Lesart des Floriansprinzips. In ganz bösen Fällen begegnen wir der Häme: Na, der Pole wollte doch nach dem letzten Krieg unbedingt bis an die Oder! Das hat er nun davon. Ach, es ist zum Kotzen.
Deiche können nicht die ultima ratio sein. Das hat langfristig noch nie funktioniert. Ein deutsch-polnisches Wettrüsten um die höchsten Oderdeiche zwischen Schlesien und Sachsen, sowie der Neumark und dem westlichen Brandenburg wäre auch ein böser Anachronismus unter dem gemeinsamen europäischen Dach, das erstmalig seit vielen Jahrzehnten wieder die Möglichkeit bietet, dass eine Region wieder zusammenwächst, die zusammengehört. Pole oder Deutscher, Zigeuner, Wende oder Jude – wen interessiert denn das? (Außer die, deren braune Ansichten schadlos von der Oderflut mitgerissen werden können.) Es gilt der Oder beidseits wieder große Polder einzuräumen und Idioten, die Mietshäuser auf Polderland errichten, mit Totschlagsprozessen zu überziehen. Solche Schweinehunde müssen zu Paaren getrieben werden, an jedem Ufer des Stromes, der uns verbinden, nicht länger trennen soll. Und wenn der Pole in Not ist, dann muß Deutschland helfen. Denn es ist gemeinsames Land, um das es dort geht. Dort hätte die Bundeswehr sehr wohl etwas verloren. Mit einem Spaten in der Hand – nicht mit einem Karabiner nota bene. Seite an Seite mit den Kameraden von der polnischen Armee muss man versuchen zu retten was zu retten ist. Und es wäre hier ganz sicher kein wahnwitziger „Auslandseinsatz“ wie die von Sarajewo, Pristina, Masar-e Sharif und Kundus. Im europäischen Rahmen gesehen wäre es ein Heimspiel. Die Oder prüft das Verhältnis der Deutschen und Polen zueinander, zeigt den Grad, aber auch die Chancen der Versöhnung und der gottgewollten Brüderlichkeit beider Völker auf. Aufgemerkt! Wird es vom zornigen Strome für zu leicht befunden, wird er es mit sich fortschwemmen, bis es für lange Zeit in den Tiefen des baltischen Meeres verschwindet.

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
31.05.2010