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Ist Europa noch zu retten?

B. St. Fjøllfross
Nein! Nicht jedenfalls die alte Ordnung, so wie sie den Menschen bekannt ist. Sollte es die Menschheit in zweihundert Jahren noch geben, so wird vom alten Europa des ausgehenden 20. Jahrhunderts nur mehr die Legende von einem einstigen Paradies der Seeligen existieren. An Lagerfeuern unter alten Autobahnbrücken und in stabilen Gebäuden, die dem Verfall zumindest einigermaßen in ihrer Grundsubstanz trotzten, wird man sich die Geschichten von einem Kontinent erzählen, auf dem einst ein märchenhafter Reichtum herrschte, unvorstellbar für die armen Gestalten, die ihn dann kriegerisch oder auf der Flucht – aber immer auf der Suche nach Essbarem durchstreifen werden. Es werden Verhältnisse herrschen, die jetzt aus dem Herzen Afrikas bekannt sind – marodierende Söldnerbanden, nur ihren eigenen Gesetzen gehorchend, werden Gräueltaten begehen, welche die der Nazis vergessen machen. Sicher, wir glauben nicht, dass es einen erneuten industriellen Massenmord gibt. Dazu werden die gesellschaftlichen Einheiten einfach zu klein sein. Die gegenseitige Vernichtung wird sich auf kleinerer, auf lokaler Ebene abspielen, was einem Genozid jedoch keineswegs im Wege steht, wie uns das Beispiel der Hutu und Tutsi lehrt. So etwas wie den Dreißigjährigen Krieg, nur eben weitaus schlimmer, sehen wir auf uns zukommen. Es mag brutal klingen, aber alle Anzeichen deuten bereits jetzt schon auf das Heraufdämmern eines solche Völkermordens. Verschärft aber wird die Sache dadurch, dass die Völker Europas nach 1648 im Verlaufe von drei bis vier Jahrzehnten wieder zu einem gesellschaftlich geregelten Miteinander zurückfinden konnten, weil sie alle auf einer sie mehr oder weniger verbindenden Leitkultur, der christlich-abendländischen nämlich, zurückfinden konnten. Diese Werte wird es dann jedoch nicht mehr geben. Selbst der Islam, der als stabilisierendes Element wirken könnte und bereits jetzt massiv mit Menschen und Kapital nach Europa drängt, wird im Verlauf dieser zwanzig Jahrzehnte seine Aufklärungsperiode erleben, die ihrerseits mit Sicherheit zu schismatischen Prozessen mit all ihren blutigen Begleiterscheinungen führt.
Was diesen Verfall einläutet? Die Gier als eine der prominentesten Töchter der Menschlichen Dummheit überhaupt. Sie hat es geschafft ihr Vehikel – die Kapitalmärkte nämlich – zu globalisieren, ohne dass die Nationen der Welt die geringste Chance hatten ihre soziologischen, legislativen, und exekutiven Überbaue auch nur im mindesten adäquat zu adaptieren. Mit anderen Worten: Die Nationen und all ihre Strukturen des Miteinanders sind den Vertretern des neuen Eisernen Zeitalters der schrankenlosen Auslese hilflos ausgeliefert. Dass sich schon heute kriminelle Substrukturen in Ländern und Bereichen schimmelpilzartig herausbilden, die sich nicht mehr zu schützen vermögen, ist aus Los Angeles South Central, aus Johannisburg oder den Favelas Sao Paulos hinlänglich bekannt.
Die Staatsapparate, die solchen Dynamiken zu wehren verpflichtet sind, müssen sich aus Gründen der eigenen Unterfinanzierung längst mit den Kriminellen gemein machen und tragen somit direkt zur Stärkung dieser heraufziehenden neuen, erbarmungslosen Wertesysteme bei, die eine ähnlich gnadenlose Auslese praktizieren, wie es die Nazis in ihren Vernichtungslagern taten. Wer nicht mithalten kann, verhungert. Wer eine Weile mithalten kann, hat trotzdem früher oder später eine Kugel im Fell.
In Europa – und machen wir uns nichts vor: Fünfundsechzig Jahre Frieden haben die Leute allerorten dekadent, vergesslich und übermütig gemacht – hält sich diese gesellschaftliche Umgestaltung mit Ausnahme von Italien bis dato noch in Grenzen, weil die Menschen noch satt sind und die Staaten – zwar bereits auf unbezahlbarem Pump – aber immerhin doch noch auf dem Polster vergangenen Reichtums leben. Das aber so schrankenlos und unüberlegt, dass ein baldiges Ende abzusehen ist. Nein, die Auflösung beginnt schon. Griechenland fällt und wie die Dominosteine kippen Portugal, Spanien und Irland hinterher. Die reichen Länder der Union sollen sie stützen – ja wovon denn? Deutschland mit seinem Rekordschuldenberg, der in zweihundert Jahren nicht abzutragen ist, soll mit sechsundzwanzig Milliarden in die Bürgschaft einsteigen – für ein einziges Land, das eine Viertelbillion benötigt um überhaupt am Markt zu bleiben. Den Bürgen soll man würgen – aber gibt es denn eine Alternative? Es gibt keine. Denn Griechenland ist kein Ballast, den man nach Bedarf über Bord werfen kann, sondern ein Leck im Segler „EU“. Wenn das nicht gestopft wird, säuft der ganze Kahn ab. Und schon tun sich mit den eben erwähnten Ländern neue Lecks auf. Es ist wie bei der Titanic: Wasserdichte Schotts gibt es nicht, jedes Abteil oder Land ist mit jedem verbunden. Ist ein gewisser Pegel erreicht, schwappt die Brühe über und zieht den Dampfer ein weiteres Stückchen nach unten. Selbst Großbritannien steckt schwer im Morast – Gottlob noch kein Land der Euro-Zone. Wäre dem so, wir würden rasend schnell ins Bodenlose gezogen.Nein, es ist ein Fass ohne Boden. Und – wer genau hinsieht, bemerkt, dass der paneuropäische Gedanke, bevor er noch zu grünen begonnen hat, jetzt schon verbreitet auf den Altären des nationalen und regionalen Eigennutzes geschlachtet wird. Die Hellenen keifen auf die Deutschen und kramen schon mal launig die Hakenkreuzflagge heraus, um ihren potentiellen Oberbürgen zu erpressen. Die Teutonen fluchen auf das „faule attische Pack“, das sich in die EU hinein geschwindelt hätte und sich dort Jahrzehnte lang auf Kosten der schwer schuftenden nordischen Nationen die mediterrane Sonne auf den Pelz hat scheinen lassen. Viel Klischee, einiges sicher nicht unbegründet – aber alles zusammen ein Nährboden für genau die bewaffneten Konflikte, die derzeit noch auf griechischen Straßen zwischen der griechischen Polizei und den griechischen Demonstranten ausgetragen werden. Was aber tun Regierungen erfahrungsgemäß, wenn ihnen die internen Probleme über den Kopf wachsen? Sie bauen einen äußeren Buhmann auf, in dessen Richtung die nunmehr unter der eigenen Nationalflagge vereinten Aggressionen gelenkt werden können. Und dann gewinnt die Sache folgerichtig an Fahrt und eine nicht mehr zu steuernde Eigendynamik. Ein Wald, in dem ein Flächenbrand tobte, wird wieder wachsen. Aber danach sieht er naturgemäß grundsätzlich anders aus als vorher. Und exakt das wird mit Europa geschehen, wenn der alte Kontinent im sich nun anbahnenden Flächenbrand untergegangen sein wird. In welchem Zeitraum das passiert? Das wissen auch wir nicht vorherzusagen. Aber ein guter Leitfaden für eine Prognose ist noch immer der biologische oder Eulersche Logarithmus zur Basis 2,71828. Ihn möge man an die Zeitschiene des letzten Säculums legen und nach Belieben verlängern. Im Übrigen, die Weltwirtschaftskrise des letzten Jahres war nur der erste Posaunenstoß der sich anbahnenden Apokalypse.
Die Menschen des vierundzwanzigsten Jahrhunderts werden sich an den Kopf fassen und sich fragen, wie es nur geschehen konnte, das eine Ära des Wohlstands so leichtfertig menschlicher Gier geopfert werden konnte. Sie werden nicht begreifen und – genauso weitermachen!

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
30.04.2010