Motoren aus Plaue
Gernot Stolze führte seinen Betrieb durch
die Wende
Michael L. Hübner
Gernot Stolzes Weg war vorgezeichnet. Der 1948 in eine alte Plauer Familie
hineingeborene Stolze wuchs mit dem Metallhandwerk auf. Stolzes waren
schon Schmiede zu den Zeiten der Grafen Königsmarck. Folgerichtig
erlernte der junge Gernot neben dem Abitur einen Beruf der Metallbranche,
nämlich den eines Zerspanungsfacharbeiters. An der Dresdner Technischen
Hochschule setzte er dann die Ausbildung zum Diplomingenieur für
Verkehrstechnik fort, um 1972 in den Familienbetrieb einzusteigen. Einen
Haken hatte die Sache allerdings. Mit der „Privateigentümern
an Produktionsmitteln“ stand die DDR auf Kriegsfuß. Und
so wurde aus der Firma Stolze 1967 eine Kommanditgesellschaft mit Staatsanteil
und 1972 dann endgültig ein Volkseigener Betrieb (VEB), der in
das Kombinat „KIB Max Reimann“ eingegliedert wurde. Unbeirrt
hielten die Plauer um Stolze an ihrem handwerklichen Ethos fest und
konnten sich qualitativ so profilieren, dass nur ihnen und einem Betrieb
in Weimar gestattet wurde, Mercedes-Motoren zu warten und zu reparieren.
Schon 1978 konnten sie nach Westberlin exportieren. Das hieß aber
noch lange nicht, dass man zu Schulungszweken hätte „rüber“
fahren dürfen. Die Ausbilder kamen stattdessen nach Klein-Machnow.
Als es mit der DDR zu Ende ging, blieb es in Plaue ruhig. Man kannte
sich untereinander, man arbeitete, man war stolz auf die eigene Arbeit
– Brandenburg war weit weg und Berlin noch viel weiter. Solange
der kleine Betrieb alle Erwartungen an ihn übererfüllte, verschonte
man die Firma von ideologischem Druck. Bei Stolze hatte man sich etabliert
– man wurde geschätzt, man lebte gut. Sicher, zwei gute Kollegen
waren nach Westdeutschland übergesiedelt. Das tat schon weh. Doch
die Arbeit forderte Belegschaft und Chef völlig. Keine Zeit für
politischen Umsturz. Als die Mauer dann fiel, nahm Gernot Stolze das
historische Ereignis gar nicht so recht wahr. Einen Monat später
erst fuhr er das erste Mal nach Westberlin. Andere Probleme drängten.
Die Firma war in die neue Ära zu retten. Die Modrow-Gesetze erleichterten
es ehemaligen Familienbetrieben, wieder in die Hand ihrer einstigen
Besitzer zurückzukehren. Ein weiterer Vorsprung erwuchs dem Plauer
Handwerksbetrieb aus dem Umstand, dass man sich bereits seit über
anderthalb Jahrzehnten mit westlicher Technologie befasste. Und dann
hatte Stolze noch einen Trumpf im Ärmel: Postgradual hatte er ein
Studium zum Schweißingenieur absolviert. Am ZIS war das, dem legendären
Hallenser Zentralinstitut für Schweißtechnik unter dessen
Chef Werner Gilde. Gilde zählte zu den wenigen echten Managern
der DDR, ein effektiv arbeitender Macher, einer der Vorreiter wirtschaftlichen
und rationalen Denkens inmitten einer aberwitzigen Nationalökonomie
Mittag'scher Prägung. In Halle lernte Stolze mehr als nur das Schweißen
auf hohem Niveau. Und so fiel der Umbau des VEB zur Moto-Tech GmbH nicht
ganz so radikal und schmerzhaft aus, wie bei vielen anderen Betrieben
gleicher Größenordnung. Auch die Währungsumstellung
zum 1.7.1990 verlief reibungslos für die Traditionsfirma. „Das
war noch preußische Generalstabsplanung“, lächelt der
Chef, „das wäre so heute kaum noch denkbar.“ Die Wiedervereinigung
aber, die war das beste, was seinem Betrieb passieren konnte. Natürlich
drückt der Fakt, dass der VEB 70 Mitarbeiter beschäftigte,
während heute nur noch ein Viertel davon bei Stolze arbeitet. Gerne
würde der rührige Unternehmer, der sogar schon in Moskau eine
Dependance eröffnete, mehr Leute einstellen. Die gegenwärtige
Krise macht jedoch auch um das idyllische Fischerstädtchen an der
Havel keinen Bogen. Stolze jedoch will die Arbeitsplätze seiner
Mitarbeiter langfristig sichern. So setzt er immer wieder auf innovative
Technik, wie denn seine neueste Investition in ein hochmodernes Diagnosegerät
für Dieselaggregate beweist. Das Herz aber schlägt nebenbei
noch für die Oldtimer-Restauration. Motorräder, Automobile
– selbst im Empfangsraum der Firma stehen zweirädrige Schmuckstücke
aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Stolzes Mitarbeiter
Wazda hatte dieses Hobby einst mit in die Firma gebracht. Damals schon,
selbst in den Zeiten der planbedingten Mangelwirtschaft, brachten die
Restaurateure Erstaunliches zuwege. Von Schwierigkeiten haben sich Gernot
Stolze und sein Team noch nie beeindrucken lassen, damals nicht –
und heute auch nicht.