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Politiker – ein vielgescholtener Berufsstand

Jules-Francois Savinien Lemarcou
Nicht einmal der Beruf des Gynäkologen ist mit so ausgesprochen blödsinnigen und falschen Klischees behaftet, wie der des Politikers. Dabei stehen letztere sogar noch im täglichen Rampenlicht. An den Stammtischen tönt das Gewetter: “Diese verlogenen Lumpen, Pfründejäger, Eidbrecher...!” Ja, ja – für einige Vertreter dieser Spezies mag das ja alles zutreffen. Aber ist diese Einschätzung nicht etwas zu undifferenziert? Die Wut der Leute richtet sich doch zunächst einmal gegen einen Popanz, eine Strohpuppe, das verzerrte Bild, was die Menschen von diesem Berufsstand haben. Was stellen sie sich denn nun eigentlich vor? Sie glauben, ein guter Politiker sei einer, der fürs ganze Volk da ist. Wie das? Nun, wenn sie “Volk” sagen, dann meinen sie sich selbst und das, was sie für ihresgleichen halten. Also eine homogene Masse. Kein Volk aber besteht aus einer homogenen Masse. Am Altstädtischen Rathaus der Stadt Brandenburg an der Havel steht ein Spruch: Wenn einer kommt und saget an, er habe allen Recht gethan, so bitten wir diesen guten Herrn, er wolle uns solche Kunst auch wol lahrn.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf. Man kann Politik immer nur für eine bestimmte Klientel machen. Und darauf kommt es bei einem guten Politiker wirklich an! Er muss ein guter Vertreter seiner Mandatsgeber und deren Interessen sein. Er soll Schaden vom Volke abwenden, aber er ist nicht verpflichtet, wie einst Moses das ganze Volk ins Gelobte Land zu führen. Wahrhaftigkeit ist eine schöne Charaktereigenschaft. Auf politischem Parkett jedoch ist sie kontraproduktiv. Die gesamte zwischenmenschliche Kommunikation ist auf der Prämisse aufgebaut, dem Nächsten die Taschen vollzuhauen, ihm Illusionen vorzugaukeln. Das ist auch, vom Standpunkt der Evolution her betrachtet, durchaus korrekt und gewollt. Ich kann für mich selbst nur gewinnen, wenn ich dem anderen nehme. Da aber niemand freiwillig gibt, es sei denn aus altruistischen Erwägungen, muss ich dem Nachbarn vorgaukeln, der Kuhhandel sei zu seinem Vorteil. Kann er aber nicht sein, sonst wäre er ja zu meinem Nachteil. Es kommt also auf mein Geschick an, wie ich diese Illusion gestalte und verkaufe. Nichts anderes macht ein Politiker und wer ihm glaubt, ist selber schuld. Des weiteren ist der gute Politiker gleichzeitig ein guter Diplomat. Er muss die Schwingungen erspüren, die von den unterschiedlichen Interessen ausgelöst werden, ihre Wechselwirkung und ihre Resonanz. Wer es dann noch versteht, seine Eigeninteressen energieschonend auf einer gerade dominierenden Welle reiten zu lassen, darf schon beinahe das Prädikat „politisches Genie“ für sich in Anspruch nehmen. Es gab solche überragenden Leute: Fürst Hideyoshi, gen. der Taiko, Kardinal Mazarin, Talleyrand, Friedrich der Große, Bismarck und einige andere. All diesen Leuten war gemeinsam, dass sie sicherlich viele Situationen mit Glück bestanden. Weitaus mehr Herausforderungen des Schicksals aber meisterten sie mit dem feinen Gespür für den richtigen Augenblick zum Handeln, und dem zum passiven Beobachten. Wenn sie denn handelten, so behielten sie das Maß ihrer eingesetzten Kraft und Mittel kühl und überlegt im Auge. Ihr Einsatz war weder unter- noch überdosiert und ließ sie stets an die Folgen denken. Das ist es, was in erster Linie einen guten Politiker ausmacht. Deswegen sei dem Stammtisch angeraten, den Realitäten Rechnung zu tragen und zur Unterstützung dessen vielleicht Machiavelli zu lesen, statt ständig die alten Gute-Nacht-Geschichten zu kolportieren, die rund um die eigene Zipfelmütze kreisen. Politik mag denen, die keine eigene Lobby zu installieren vermögen, als ein dreckiges Geschäft erscheinen, unmoralisch und verkommen. Doch das ist sie nicht. Sie folgt den ursprünglichsten Gesetzen des Lebens. Das sollte man akzeptieren. Die Grenze zum Machtmissbrauch ist dünn – zugegeben. Sie wird dort überschritten, wo die unabdingbaren Moralgesetze, die den archaischen Impetus einer jeden Gesellschaft verträglich abmildern sollen, verletzt werden. Darauf muss man acht haben. Wer über die Stränge schlägt, muss weg. Wer sich in einer Demokratie ein Amt durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ergaunert, muss daraus umgehend entfernt werden. Wer aber Dinge verspricht, die er nicht einlöst, der hat nur den Anspruch darauf erworben, in der nächsten Legislaturperiode nicht wieder gewählt zu werden... wenn den Volkes Gedächtnis so weit reicht. Da aber findet sich der Ball in der Ecke der Stammtischstrategen. Kein Grund – die Politiker pauschal zu beschimpfen. Und übrigens – jeder, der das Maul aufreißt, sollte sich zuerst im stillen Kämmerlein überlegen, wie denn eigentlich er selbst handeln würde – säße er auf dem Sessel des Angefeindeten. Aber dazu ist wohl kaum jemand willens oder in der Lage.

15. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
29.01.2010